Deutschland

AfD-Wahlkampf in Thüringen: „Ach, Sie sind aus der Ostmark“

Am Sonntag in einer Woche könnte zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg eine rechtsextreme Partei eine Landtagswahl in Deutschland gewinnen. Ein Besuch im Bundesland Thüringen, wo AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke mit Endzeit-Narrativen punktet und sich als Heilsbringer inszeniert.

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Der Untergang der westlichen Zivilisation ist nichts für schwache Nerven. Er bricht nicht in ferner Zukunft über uns herein, sondern findet längst statt, jetzt und hier. Wir sind in Gera, einer verschlafenen Stadt im ostdeutschen Thüringen, Marktplatz mit Renaissance-Rathaus, knapp 95.000 Einwohner, der Ortskern wirkt ausgestorben – nur heute nicht.

An diesem heißen Freitagnachmittag Mitte August zieht es die Menschen auf den Vorplatz des Kulturzentrums. Es sind Anhänger der Alternative für Deutschland (AfD), das Thüringer Amt für Verfassungsschutz stuft die Partei als „erwiesen rechtsextrem“ ein. Gekommen sind rund 600 Leute, Pensionisten, überwiegend Männer, aber auch Familien mit Kindern, Jugendliche mit strengem Seitenscheitel, Althippies mit langen Haaren, Männer in Funktionskleidung. In der flimmernden Hitze lauschen sie den Rednern auf der Bühne, zuerst den Direktkandidaten der umliegenden Wahlkreise für die bevorstehenden Landtagswahlen, danach dem Spitzenkandidaten Björn Höcke, AfD-Chef in Thüringen und zweifach verurteilt wegen der Verwendung einer Naziparole. Höcke und seine Parteifreunde sehen das Ende der Welt, wie wir sie kennen, unmittelbar bevorstehen.

Und das kommt so: Gegen das deutsche Volk ist eine nie da gewesene Verschwörung im Gang. Ausländer, die Regierung in Berlin, die „Altparteien“ und die Medien haben sich zusammengetan, um das Land und seine Kultur zu zerstören. Von „Genspritzen“ ist da die Rede (gemeint ist die Covid-Impfung), von einem bevorstehenden Bürgerkrieg, Ökodiktatur und Kriegshetze, „Massen- und Messermigration“.

Das offizielle Motto lautet „Sommer, Sonne, Remigration“, die Stimmung pendelt zwischen Angstlust und Erweckungseuphorie. Deutschland, so der Eindruck, steht vor dem Abgrund, und allein die AfD kann den Absturz verhindern.

In einem schmalen Schattenstreifen am Rande des Platzes haben sich ein paar Dutzend Pensionisten versammelt. Eine Frau fächelt sich mit einem AfD-Bierdeckel Luft zu, eine andere nutzt dafür eine Fliegenklatsche mit dem Parteiemblem. Ein älterer Herr hält eine Plakette mit der Wahlwerbung für Björn Höcke wie einen Schutzschild vor sich.

Der Osten kann Berlin erschüttern und uns alle von diesen Volksverrätern befreien!

Stephan Brandner

AfD-Bundestagsabgeordneter

„Wir müssen die gesamte Politiker-Elite und die Amerikaner nach Hause schicken“, sagt er. Höcke solle Ministerpräsident Thüringens werden, „aber man weiß nicht, welche Tricks sie sich ausdenken werden, wie bei Trump in Amerika“. Er selbst sei ein „Kriegskind“, er habe die DDR-Diktatur miterlebt, aber jetzt sei alles noch viel schlimmer: „Bei den Corona-Demos haben sie uns wie Hunde zusammengetrieben und Strafe kassiert.“

„Sagen Sie nicht zu viel“, zischt eine Frau, „das wird immer falsch ausgelegt von den Medien.“ Der Mann huscht zurück in den Schutz seiner Gruppe.

Der ganz normale Rechtsextremismus

In Gera feiert die AfD an diesem Freitagnachmittag Mitte August den Höhepunkt ihres Wahlkampfes in der Region. Am 1. September finden hier Landtagswahlen statt, und die AfD liegt in Umfragen mit rund 30 Prozent auf dem ersten Platz.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.