Chaos am Flughafen in Kabul

Afghanistan: Das große Versagen

Hätte der Westen erst gar nicht versuchen sollen, Afghanistan zu einer demokratischen Republik zu machen? Ist das „Nation-building“ ein überholtes Konzept? [E-Paper]

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Trauben von Menschen klammern sich auf dem Flughafen in Kabul verzweifelt an den Rumpf und das Fahrwerk eines startenden Transportflugzeugs vom Typ Boeing C-17A der US Air Force, werden nach und nach durch die zunehmende Geschwindigkeit abgeschüttelt, doch nicht alle. Schließlich hebt die Maschine ab, und Sekunden später fangen Kameras ein, wie zwei Körper in die Tiefe stürzen. Diese schaurigen Bilder werden wiederkehren, wann immer von dem August-Wochenende die Rede sein wird, als die USA und ihre Verbündeten fluchtartig Afghanistan verließen und das Land an die Taliban fiel.

Beinahe 20 Jahre zuvor, am 11. September 2001, fielen in New York auch Menschen vom Himmel. Sie stürzten von den brennenden Türmen des World Trade Centers in den Tod, ehe die Gebäude in sich zusammenkrachten. So begann die lange Geschichte des Krieges in Afghanistan, die jetzt auf schmerzvolle, verstörende Art zu Ende gegangen ist.

Die USA und ihre Verbündeten, die NATO und auch neutrale Staaten wie Österreich haben zwei Jahrzehnte lang versucht, Afghanistan und die Welt von dem zu befreien, was der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 12. September, einen Tag nach den Terroranschlägen in New York und Washington, in der Resolution 1368 als „Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ bezeichnete.

Diese Bedrohung ging von dem Land aus, das damals die Taliban beherrschten und in dem sie Stützpunkte von Terrormilizen wie der Al Kaida beherbergten – das Islamische Emirat Afghanistan. Selten war sich die internationale Gemeinschaft – der Westen – so einig und so sicher, das Richtige zu tun: Die Taliban mussten gestürzt, die Al Kaida zerschlagen werden. Am 7. Oktober 2001 begann der Krieg mit Bombardements der USA.

Irgendwann auf dem langen Weg bis zum Fall von Kabul am vergangenen Wochenende hat der Westen – und damit wir alle – versagt. War es die falsche Strategie oder die falschen Ziele? Haben wir die Afghanen und Afghaninnen verraten – oder sie uns? Ist der Westen zu schwach geworden oder bloß unwillig?

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Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur