Alles außer gewöhnlich: Fünf exzentrische EU-Abgeordnete und ihre Geschichten
Von Natalia Anders
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1. Nigel Farage: Der bekannteste Hater Europas
Eine Auflistung schräger EU-Abgeordneter ohne Nigel Farage wäre definitiv unvollständig. Insgesamt fünf Legislaturperioden lang (1999 bis zum Brexit 2020) war der Brite im Europäischen Parlament – und etwa genauso lange einer der bekanntesten EU-Kritiker. 1993 zählte er zu den Gründungsmitgliedern der UK Independence Party (UKIP), die sich für Großbritanniens Austritt aus der EU einsetzte – schließlich mit Erfolg.
In Erinnerung bleiben Farages Reden im EU-Parlament. Unvergessen, wie der Brite im Jahr 2010 den damaligen Präsidenten des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, beschrieb: „Ich will nicht unhöflich sein, aber Sie haben die Ausstrahlung eines feuchten Lappens und das Aussehen eines minderwertigen Bankangestellten (…)“.
Im Mai vergangenen Jahres kritisierte Farage dann auch den Brexit. Dieser sei seiner Meinung nach gescheitert. Im November 2023 nahm Farage an der britischen Version der Reality-TV-Show „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ teil, zog ins Dschungelcamp und belegte dort am Ende den respektablen dritten Platz.
2. Hans-Peter Martin: Der Detektiv
15 Jahre lang (1999–2014) saß der Österreicher im Europaparlament, zuerst als Abgeordneter der SPÖ, zuletzt mit seiner eigenen „Liste Dr. Martin“. Der Vorarlberger beschäftigte sich vor allem mit Finanz- und Wirtschaftsthemen. Vor seiner politischen Karriere war Martin als Buchautor und Investigativjournalist tätig. Zusammen mit dem Autor und „Spiegel“-Journalisten Harald Schumann verfasste Martin das Aufdeckerbuch „Die Globalisierungsfalle“, das zum weltweiten Bestseller und in insgesamt 27 Sprachen übersetzt wurde. Seine Investigativfähigkeiten setzte Martin auch im Europaparlament ein, 2004 warf er etlichen seiner Kollegen Korruption und Bereicherung durch unredliche Spesen- und Reisekostenabrechnungen vor. Martin filmte EU-Parlamentarier dabei, wie sie sich in die Tagegeldlisten eintrugen, die Sitzungen kurz danach aber wieder verließen – und veröffentlichte eine Liste mit 57 Namen. 2011 war er schließlich selbst in einen Skandal verwickelt. Martin Ehrenhauser, ehemals Mandatar der „Liste Dr. Martin“ im EU-Parlament, erstattete bei der Staatsanwaltschaft Wien Anzeige gegen Martin. Der Vorwurf: Martin hätte bei der Europawahl 2009 rund 950.000 Euro staatliche Wahlkampfgelder für private Zwecke verwendet. 2015 wurden die Ermittlungen eingestellt.Nach diesem Skandal verabschiedete sich der Vorarlberger aus der Politik und setzte sich wieder an die Schreibmaschine. 2018 erschien sein Buch „Game Over: Wohlstand für wenige, Demokratie für niemand, Nationalismus für alle – und dann?“. Martin ist freier Journalist und arbeitet unter anderem für die linksalternative deutsche Tageszeitung „taz“.
3. Janusz Korwin-Mikke: Der rechte Frauenfeind
Aufgefallen ist Janusz Korwin-Mikke in seinen vier Jahren als fraktionsloser polnischer EU-Abgeordneter immer wieder, zum Beispiel, als er im Juli 2015 bei einer Rede, in der er sich gegen die Migration in die EU aussprach, den Hitlergruß machte. Oder als er im März 2017 für den „Gender Pay Gap“ plädierte: „Natürlich sollten Frauen weniger verdienen als Männer. Sie sind kleiner, schwächer und weniger intelligent.“ Korwin-Mikkes Verhaltensauffälligkeiten kosteten den rechten Politiker schon einiges: Nach seinen frauenfeindlichen Äußerungen durfte er zehn Tage lang nicht an Aktivitäten des EU-Parlaments teilnehmen und musste für 30 Tage auf sein Gehalt verzichten. Nach dem Hitlergruß blechte der polnische Politiker 3380 Euro Strafe und wurde ebenfalls für zehn Tage suspendiert. Seit 2018 sitzt Korwin-Mikke nicht mehr im Europaparlament: Er wurde in Warschau gebraucht. Bis zu den Wahlen 2023 war er Abgeordneter in der polnischen Regierung. Mit seiner rechten und EU-skeptischen Partei „KORWiN“ bildete er eine Koalition mit der nationalistischen PiS. Bei den Kommunalwahlen 2024 wollte Korwin-Mikke schließlich Warschauer Bürgermeister werden – unterlag allerdings gegen Rafał Trzaskowski von der Tusk-Partei „Bürgerplattform“. Doch Janusz Korwin-Mikke gibt nicht auf. Heuer kandidiert er wieder für die EU-Wahlen.
4. Nico Semsrott: Der depressive Satiriker
Nach den Europawahlen 2024 wird der deutsche Comedian Nico Semsrott von der Satirepartei „Die Partei“ das EU-Parlament verlassen. Mit seinem offensiv gleichgültigen Auftreten – schwarzer Hoodie, Kapuze über dem Kopf, trauriger Gesichtsausdruck – brachte es Semsrott im deutschsprachigen Raum zu einer gewissen Bekanntheit. Auch im Europaparlament fiel der Deutsche mit eigenwilligen Redebeiträgen auf („Sehr geehrter Hochadel, euer Finanzplan ist zeitgemäß fürs Mittelalter!“).
Über seine Zeit als EU-Abgeordneter schrieb Semsrott auch ein Buch mit dem Titel: „Brüssel sehen und sterben. Wie ich im Europaparlament meinen Glauben an (fast) alles verloren habe“. Das Europäische Parlament ist seiner Ansicht nach vor allem: Steuerverschwendung und „grober Unfug“.
5. Alessandra Mussolini: Die Enkelin
Ja, die Mussolini. Die Enkelin des italienischen Diktators Benito Mussolini sitzt tatsächlich im Europaparlament. Und nicht zum ersten Mal: Mussolini war bereits von 2004 bis 2008 sowie von 2014 bis 2019 EU-Abgeordnete. Davor und zwischendurch war sie Abgeordnete im italienischen Parlament, anfangs für eine neofaschistische, rechtsextreme Kleinstpartei, zuletzt für Berlusconis „Forza Italia“. 2019 wollte die postfaschistische Politikerin wieder nach Brüssel, geklappt hat es damals mangels Vorzugsstimmen nicht. Nach dieser Niederlage verließ die Diktatoren-Enkelin die Politik – allerdings nicht für lange. Nachdem 2022 Giorgia Meloni von der postfaschistischen „Fratelli d’Italia“ Ministerpräsidentin wurde, schickte sie Mussolini wieder nach Brüssel.
Mussolinis politische Gesinnung ist schwer fassbar. Italienischen Medienberichten zufolge erklärte sie einst, sie wäre „lieber Faschistin als Schwuchtel“, andererseits setzte sie sich aber auch für ein Gesetz ein, das homophobe Gewalt stärker bestrafen sollte. Im EU-Parlament stellte Mussolini Anträge gegen das Bienensterben durch die Verbreitung der asiatischen Hornisse und zur Bedrohung der italienischen Landwirtschaft durch Dürre und Wassernotstand.
Natalia Anders
ist Teil des Online-Ressorts und für Social Media zuständig.