Der Ur-Trump: Der erste Populist im Weißen Haus
Von goldenem Glitzern umgeben, blickt er in das Oval Office, die Haartolle in ausschweifendem Bogen über den Kopf frisiert, den Mantelkragen nach oben geschlagen. Er ist der Mann des Volkes, die Revolution von unten, die feste Hand, die das gepeinigte Heimatland den verweichlichten Eliten Washingtons entreißen wird. Er ist der Präsident der einfachen Leute: weiß, stark, amerikanisch!
Das Porträt dieses Mannes hat Donald Trump an die Wand des Oval Office hängen lassen: in Öl gemalt, mit Gold umrahmt, unter der kleinen Statue eines Cowboys, der einen bockigen Hengst reitet. Es ist das Bild jenes Politikers, dessen Geist Trump nun wiedererwecken will: Andrew Jackson, der siebte Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.
Übervater
Wenn die Pressefotografen Trump am Schreibtisch sitzend oder telefonierend ablichten, ist der Alte stets mit im Bild, so als würde der Übervater ihm über die Schulter blicken. Andrew Jackson wacht über den 45. US-Präsidenten, der unermüdlich daran arbeitet, alles so zu machen, wie es einmal war und wieder sein soll. Barack Obama hatte für dasselbe Stück Wand noch einen Null-Risiko-Konsens gewählt: ein Gemälde der Freiheitsstatue.
Man kann Donald Trump vieles nachsagen, aber sicher nicht, dass er risikoscheu oder konsensversessen wäre. Er gibt sich laut, populistisch, stur, polarisierend. Sein Wahlsieg wird dem Frust einer weißen Arbeiterschaft zugeschrieben, die sich von den politischen Eliten übervorteilt fühlt. Diese wiederum sehen in ihm einen autoritären Macht- und Medienjunkie, der das Land spaltet und einen Bruch mit dem demokratischen System herbeiführen will.
Verwandte Seelen
Viele dieser Eigenschaften teilt er mit Jackson, dem ersten Populisten der USA. Deshalb hat er dessen Konterfei für das Oval Office ausgewählt, und deshalb betonen seine Berater und Einflüsterer bei jeder Gelegenheit die Parallelen zwischen den beiden. Der einflussreiche republikanische Ex-Politiker, Berater und Kommentator Newt Gingrich sieht in ihnen verwandte Seelen. Der New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani verglich Trumps Wahlsieg mit jenem von Jackson im Jahr 1829 und sagte: "Das Volk hat das Establishment geschlagen.“ Und Trumps umstrittener Chefberater Steve Bannon schwelgt in Aufbruchsstimmung: "Wie Jacksons Populismus werden wir eine völlig neue politische Bewegung aufbauen.“ Sogar rote Haare hatte der Ur-Trump, bevor sie ergrauten.
Die Rückbesinnung auf den Uraltpräsidenten erscheint auf den ersten Blick mehr als waghalsig: Andrew Jackson wird am 15. März 1767 an einem unbekannten Ort im rauen Bergland an der Grenze zwischen den heutigen Bundesstaaten North Carolina und South Carolina geboren. Die Eltern sind irisch-schottische Einwanderer und bitterarm. Vater Andrew senior stirbt drei Tage vor Jacksons Geburt. Als Teenager verdient sich Andrew als Kurier für die revoltierenden Amerikaner seine ersten Sporen im Krieg gegen die Briten. Zusammen mit seinem älteren Bruder Robert gerät er in Gefangenschaft; er wird geschlagen und muss barfuß durch den Schlamm marschieren. Nur zwei Tage, nachdem Elizabeth Jackson ihre Söhne freibekommt, stirbt Robert an Erschöpfung. Der erst 13-jährige Andrew erholt sich erst nach langen Monaten, ein Jahr später erliegt die Mutter einer schweren Krankheit. Andrew Jackson ist mit 14 Jahren ein Vollwaise und schrubbt für ein paar Pennys die Böden von Büros.
Doch im Lauf der Jahrzehnte wird der Mann zum Mythos: Erst als Colonel, schließlich als General gewinnt er entscheidende Schlachten, darunter jene um New Orleans im Jahr 1815. Jackson gilt als hart, stur und unerschrocken. Seine Soldaten geben ihm den Spitznamen "Old Hickory“, weil er nie nachgibt, wie ein alter, knorriger Baum. Neben Malaria, Bronchitis, Rheuma und den Pocken übersteht Jackson auch das erste dokumentierte Mordattentat auf einen amtierenden US-Präsidenten: Im Jahr 1835 versucht ein geistig verwirrter, mit zwei Pistolen bewaffneter Mann, ihn zu erschießen, scheitert aber, weil beide Waffen versagen. Der durch Krankheiten geschwächte und damals 67-jährige Jackson verprügelt den Angreifer mit seinem Gehstock - geschnitzt aus Hickory-Holz.
Pioniermythen
Heute würde man einen wie Andrew Jackson durchaus als Verrückten bezeichnen: Der Held der Nation war nicht nur ein berüchtigter Spieler und skrupelloser Geschäftsmann, sondern konnte auch schwer mit Kränkungen umgehen. Unzählige Male duellierte er sich, weil ein Mann seine Frau Rachel beleidigte (die er vermutlich schon geheiratet hatte, bevor ihre erste Ehe aufgelöst worden war). Einmal trafen ihn zwei Kugeln in Oberarm und Schulter. Die Ärzte wollten amputieren, doch Jackson winkte aus Sorge um seine Militärkarriere ab. Ein anderes Mal traf ihn ein Schuss mitten in der Brust. Der Legende nach tupfte sich Jackson mit einem Taschentuch das Blut ab und schoss zurück. Die Kugel, die in seinem eigenen Körper steckte, wurde nicht entfernt und bereitete ihm in der Folge heftige Brustschmerzen. Aus solchen Geschichten sind die Pioniermythen Amerikas gestrickt.
Wie will Donald Trump da ernsthaft mithalten - ein hochprivilegiertes Großstadtkind, das sich wegen ein paar Knochensplittern im Fuß vom Vietnamkrieg freistellen ließ und seine Jugend in den Elite-Schulen des Landes verbrachte?
Doch Trump und seinen Beratern geht es weniger um akkurat gezogene historische Linien als um tief in der kollektiven Erinnerung vergrabene Töne - um das Wie, nicht um das Was. "Trumps Rhetorik harmoniert mit einer bestimmten amerikanischen Tradition“, schrieb der Jackson-Biograf Steve Inskeep im Februar des vergangenen Jahres in der "New York Times“: "Die Wähler mögen die Details dieser Tradition nicht kennen, aber sie spüren sie instinktiv, wenn ein Politiker sie anzapft.“
Reich und berühmt
Der eitle New Yorker Trump ähnelt dem nicht weniger eitlen, aber knochenharten Landbuben Jackson in vielen Dingen - bewusst oder unbewusst. Er will nur die Probleme seiner Unterstützer lösen; alle anderen sind ihm egal. Er ist reich und berühmt (Jackson kam vor seiner politischen Karriere durch Heirat und Immobiliendeals zu großem Wohlstand). Er verspricht, sich als Superpatriot für das Land einzusetzen. Er will die Korruption bekämpfen und dem einfachen Mann auf der Straße helfen. Er schert sich wenig um die Widersprüche, die dabei entstehen: Wie Jackson führte Trump seinen Wahlkampf gegen die vermögenden Eliten, auch wenn er selbst zu ihnen gehörte.
Andrew Jackson hat jedenfalls ein Narrativ geschaffen, das die amerikanische Demokratie bis heute prägt. Im Jahr 1824 bewarb er sich das erste Mal um das Präsidentenamt - eine echte Herausforderung, denn nach dem dritten Präsidenten Thomas Jefferson kamen vier weitere aus der von ihm gegründeten "Demokratischen-Republikanischen Partei“. Nur wenige Bürger gingen zu den Urnen oder hatten das Recht dazu. Doch der aus armem Haus stammende Kriegsheld und nunmehrige Plantagenbesitzer Jackson appellierte an die Sehnsüchte der Arbeiter und bekam die meisten Stimmen (rund 40 Prozent). Für den Sieg reichte es trotzdem nicht: Der US-Präsident musste schließlich vom Repräsentantenhaus bestimmt werden; mit Quincy Adams setzte sich der Kandidat des Establishments durch. Jackson fühlte sich betrogen. Obwohl die Wahl verfassungskonform verlaufen war, nannte er das ganze System "manipuliert“ und warf der neuen US-Regierung "Korruption“ vor.
Erdrutschsieg
In den folgenden vier Jahren arbeitete er an seiner Revanche. Jackson war ein Mann der neu aufkommenden Zeitungen und schaffte es mit seinen Kampagnen, immer im Gespräch zu bleiben. Im Kongress blockierten seine Gefolgsleute, wo immer es ging; gleichzeitig weitete die US-Regierung die Wahlrechte aus (in nur vier Jahren verdreifachte sich die Zahl der Wahlberechtigten). Im Jahr 1828 feierte Jackson einen Erdrutschsieg. Er hatte der Revolution von unten die Tür zum Zentrum der Macht geöffnet - und zwar buchstäblich: In einer wilden Party rund um Jacksons Amtsantritt 1829 zerlegten seine Anhänger das Innere des Weiße Hauses.
Es ist dieser historische Moment, in dem sich Trump und sein Beraterstab wiedererkennen wollen: der Triumph des einfachen Volkes über die Schnösel, ein Sieg der Arbeiter und Unterdrückten, zu denen in den jungen Tagen der Demokratie vor allem weiße Männer zählten (für Frauen, Sklaven und Ureinwohner hatte Jackson ähnlich viel übrig wie sein selbst ernannter Wiedergänger).
Trump, der neue Jackson
Trotzdem wird Trump an dieser Legende scheitern. Er bekam mehr als zwei Millionen weniger Stimmen als Hillary Clinton und gewann nur wegen eines Wahlsystems, das er selbst zuvor in Jackson-Manier als "manipuliert“ bezeichnet hatte. Die Bilder der leeren Plätze und Tribünen bei seinem Amtsantritt gingen um die Welt. Wenn Trump und seine Mitstreiter in ihren erbitterten Worttiraden versuchen, das alles wegzuwischen, geht es nicht nur um ihr Ego - sie beschwören eine hehre Erzählung herauf, der sie allerdings nicht ansatzweise gerecht werden: Trump, der Mann des Volkes. Trump, der Revolutionär der Vergessenen. Trump, der neue Jackson.
Das politische Vermächtnis des nach vier Jahren wiedergewählten Trump-Vorbilds fiel äußerst durchwachsen aus: Andrew Jackson gründete mit der "Demokratischen Partei“ eine neue - damals konservative - Bewegung. Das Land regierte er mit seinem berüchtigten "Küchenkabinett“, das er mit Plantagenbesitzern, Zeitungszaren und Geschäftsleuten besetzt hatte. Während er nach Westen drängte und die Infrastruktur ausbaute, führte er eine Fehde gegen die US-Zentralbank und deren Papiergeld; schließlich schaffte er die Bank einfach ab. Auf einen kurzen Wirtschaftsboom in seiner Amtszeit folgte schnell die schlimmste Krise, die das Land bis dahin erlebt hatte. Zudem initiierte Jackson die brutale Vertreibung der Ureinwohner: Abertausende mussten ihr wertvolles Ackerland verlassen - aufgrund des von Jackson erlassenen "Indian Removal Act“, an dem er selbst tüchtig mitverdiente: Der Präsident und seine Gefolgsleute sicherten sich die besten Grundstücke und machten damit ein Vermögen.
"Old Hickory“
Während Trump im Oval Office demonstrativ unter Jacksons Porträt posiert, arbeiten andere daran, das Antlitz von "Old Hickory“ aus dem Alltag zu verbannen. Vergangenes Jahr beschloss das Finanzministerium, die 20-Dollar-Note neu zu gestalten. Darauf war bislang die geschwungene Tolle Jacksons zu sehen, in Zukunft soll das Gesicht von Harriet Tubman sie zieren: Die Afroamerikanerin verhalf im 19. Jahrhundert unzähligen Sklaven zur Flucht. Der erste weiße Populist weicht einer schwarzen Heldin.
Wenn Donald Trump es nicht verhindert. Denn die Noten sind noch nicht gedruckt worden.