"Atlas of Torture”: Warum wir Folter weiterhin sichtbar machen müssen
profil: Sie haben das Projekt “Atlas of Torture” ins Leben gerufen. Worum geht es dabei? Gerrit Zach: Die "Atlas of Torture“- Website ist eine Plattform, die von der Abteilung “Menschenwürde und öffentliche Sicherheit” am Wiener Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte in Kooperation mit den IT-Expert*innen der Genfer NGO HURIDOCS entwickelt wird. Unsere Abteilung hat Institutsleiter Manfred Nowak, der von 2004 bis 2010 auch UN-Sonderberichterstatter über Folter war, unterstützt. Wir haben somit viele Jahre Erfahrung und Expertise zu Folter und Folterprävention. Während die rechtlichen Rahmenbedingungen recht klar sind, ist die Umsetzung des Folterverbots weltweit immer noch lückenhaft. Daher wollen wir mit dem „Atlas of Torture“ eine internationale Plattform schaffen, die alle wichtigen Informationen bündelt, vernetzt, aufklärt.
profil: Auf welche Themen soll der digitale Atlas aufmerksam machen? Zach: Die Seite soll auf die Existenz von Folter und Misshandlung aufmerksam machen. Aber auch Lösungen zur effektiven Folterprävention aufzeigen. Wir wissen, dass Foltern keine verlässlichen Beweise liefert. Ganz im Gegenteil: Es wird nicht nur die gefolterte Person angegriffen, sondern auch die Gesellschaft, weil es das Vertrauen in staatliche Strukturen erodiert. Wirkungsvolle Präventionsmaßnahmen sind zum Beispiel investigative Interviewtechniken, die Vertrauen fördern anstatt Zwang anzuwenden. Diese ist zum Beispiel erfolgreich bei Anders Breivik in Norwegen angewandt worden.
Was ich noch hinzufügen möchte: Das Projekt heißt zwar "Atlas of Torture“, aber der Fokus liegt auch auf Polizeigewalt und Haftbedingungen in Straf- beziehungsweise Migrationshaft. Gerade in so sensiblen Bereichen wie Asyl oder Migration werden Menschen immer noch kaserniert. Da soll das Projekt auch alternative Handlungsweisen aufzeigen.
profil: Wie ist die Website aufgebaut? Zach: Die Seite soll die größte Datenbank weltweit zu dem Themenkomplex werden. Momentan gibt es ähnliche Datenbanken beispielsweise von der UN, wo aber nur UN-Berichte abrufbar sind. „Atlas of Torture“ soll mit Suchfunktion eine effektive Recherche ermöglichen, die Informationen aus der Dokumentationsarbeit von verschiedenen Akteur*innen weltweit in diesem Bereich bündelt. Gleichzeitig können auch Berichte von NGOs zu Einzelfällen hochgestellt werden, die wir vorab inhaltlich prüfen.
Es besteht viel zu wenig fachlicher Austausch.
profil: Wer ist die Zielgruppe des Projekts? Zach: Es geht um die grenzübergreifende Vernetzung und den direkten Austausch von Akteur*innen, Organisationen und Menschen, die in diesem Bereich tätig oder betroffen sind. Es gibt viel Wissen, es ist aber oftmals schlecht vernetzt. Es besteht viel zu wenig fachlicher Austausch beispielsweise zwischen Jurist*innen und Ärzt*innen, auch wenn die jeweiligen Diskurse sich in dem Themenbereich oftmals überschneiden. Außerdem sollen kleinere Organisationen in ihrer Tätigkeit sichtbarer gemacht werden und somit mehr am internationalen Diskurs andocken zu können.
Die Zugänglichkeit zu gebündeltem Wissen soll auch auf politischer Ebene seine Wirkung zeigen, da momentan von einflussreichen Akteur*innen, wie beispielsweise von US-Präsident Donald Trump, nicht-evidenzbasierte politische Entscheidungen propagiert werden.
profil: Welche Formen von Folter sind am häufigsten? Zach: In vielen Ländern ist die systematische Anwendung von Folter weiterhin stark verbreitet. Beispielsweise zählen in vielen Ländern Geständnisse als einzig wesentliche Beweisgrundlage und Polizist*innen müssen eine gewisse Quote an Fällen monatlich „aufklären“, z.B. in Kirgistan. Die Anwendung von Foltermethoden ist aber auch in Österreich noch nicht so lange her. In den 1990ern fand das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter(CPT)bei seinem Österreichbesuch heraus, dass Beschuldigten Plastiksackerln aufgesetzt wurden. Das hat sich heute glücklicherweise geändert. Sichtbar wird die niedrige Hemmschwelle zu diesen Methoden auch, wenn beispielsweise in Großbritannien oder den USA der Krieg gegen den Terror ausgerufen wird. Auch in der Bevölkerung würde die Frage, ob Folter in gewissen Ausnahmefällen - zum Beispiel bei Vergewaltigungen oder Kindesentführungen - zulässig sein sollte eine hohe Zustimmungsrate erzielen. Wir sind hier aber eindeutig: Folter ist immer kontraproduktiv.
Es wird immer schwieriger, unsere Arbeit zu finanzieren.
profil: Wie wird das Projekt finanziert? Zach: Wir arbeiten mit Unterstützung des „Open Innovation Center in Science“ der Ludwig Boltzmann Gesellschaft an einer Crowdfunding- Kampagne. Das Crowdfunding geht noch zehn Tage und wir sind ungefähr bei der Hälfte des erforderlichen Betrags. Nur wenn wir bis zum 13. Juli die nötigen 50,000 Euros zusammenbekommen können wir den Atlas of Torture einrichten. In Österreich gibt es wenig Unterstützung für Institute wie unseres durch Ministerien. In anderen EU-Ländern wie zum Beispiel in Dänemark ist das besser. Ein Großteil unserer Finanzierungen sind von EU Förderungen abhängig. Da diese jedoch immer eine nationale Co-Finanzierung benötigen, wird es immer schwieriger, unsere Arbeit zu finanzieren.
Zur Person Gerrit Zach (34) arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte. Ihre Schwerpunkte sind Folterprävention, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsschutz in der EU.