Auf diese fünf Wahlen sollte man 2024 blicken
Von Franziska Tschinderle und Siobhán Geets
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1. Taiwan wählt, trotz Drohungen Chinas
Kommt Lai Ching-te an die Macht, muss er es mit Xi Jinping aufnehmen.
Wenn die Wahlberechtigten Taiwans am 13. Januar zu den Urnen schreiten, wird sich die Aufmerksamkeit der Welt vor allem in eine Richtung drehen: nach China. Denn der Wahlausgang wird die Beziehungen zwischen Taiwan und China maßgeblich mitbestimmen.
Taiwan ist ein demokratisches Land, Präsidentschafts- und Parlamentswahlen wie am kommenden Samstag sind nichts Außergewöhnliches. Wäre da nicht Peking, das auf eine Wiedervereinigung mit der seit 1912 de facto unabhängigen, aber nur von 13 Staaten anerkannten Republik besteht. In den Umfragen führt Vizepräsident Lai Ching-te von der liberalen Demokratischen Partei Taiwans (DPP). Lai ist ein bekennender Befürworter der Unabhängigkeit seines Landes. Mit seinen Aussagen hat er China immer wieder verärgert und die USA beunruhigt, die am Status quo festhalten wollen. Jeder formelle Schritt in Richtung einer Anerkennung würde gegen die Ein-China-Politik Pekings verstoßen – und könnte zu einem Angriff Chinas auf die „abtrünnige Provinz“ führen. Vor den Wahlen wurde der Ton aus Peking jedenfalls wieder rauer. „China wird mit Sicherheit wiedervereinigt werden“, sagte Chinas Staatschef Xi Jinping in seiner Neujahrsansprache. Im Vorjahr hatte er die Menschen Chinas und Taiwans noch als „Mitglieder ein und derselben Familie“ bezeichnet.
2. Großbritannien: Für die Tories wird es knapp
Seit 13 Jahren regieren die Konservativen. Treten sie nach Rishi Sunak ab?
Seit 13 Jahren regieren die Konservativen die Insel. Fünf Regierungschefs hat das Land in dieser Zeit gesehen.
Irgendwann in diesem Jahr wird im Vereinigten Königreich ein neues Parlament gewählt, wann genau, das entscheidet der Premier, und Rishi Sunak hat noch kein genaues Datum genannt. Vielleicht will er auch gar nicht daran denken? Die oppositionelle Labour-Partei liegt in den Umfragen konstant 20 Prozentpunkte vor den konservativen Tories. Labour-Chef Keir Starmer ist zwar nicht gerade beliebt, der 61-Jährige gilt als eher langweilig, aber wahrscheinlich ist es genau das, was sich die Britinnen und Briten nach Jahren des Chaos unter den Tories wünschen. Die Folgen des Brexits schaden der Wirtschaft, die Infrastruktur fällt vielerorts auseinander, das Gesundheitssystem ist überlastet, die Energiekosten sind hoch. Um davon abzulenken, setzen die Tories alles auf das Thema Migration.
Seit 13 Jahren regieren die Konservativen die Insel. Fünf Regierungschefs hat das Land in dieser Zeit gesehen. David Cameron führte das Königreich Richtung Brexit, die glücklose Theresa May musste ihn ablösen, Boris Johnson setzte den EU-Austritt um, seine Nachfolgerin Liz Truss wird den Briten als kürzest-dienende Premierministerin aller Zeiten in Erinnerung bleiben (49 Tage). Rishi Sunak konnte zwar wieder etwas Vertrauen aufbauen. Doch in Umfragen wollten zuletzt rund 60 Prozent der Befragten einen anderen Premier.
Die Krise, in der sich viele Mitte-Rechts Parteien befinden, zeigt sich in Großbritannien besonders deutlich. Während des Wahlkampfes zum Brexit-Referendum sind die Tories nach rechts gerückt, seither treibt ihr eigener rechter Rand sie vor sich her. Die Partei scheint sich nicht entscheiden zu können, was sie sein will: konservativ oder doch rechtsnational?
Die britische Wirtschaft bereitet sich jedenfalls schon auf einen Regierungswechsel vor.
3. Belgien: Ein Sezessionist liegt vorne
Tom Van Grieken droht, Flandern abzutrennen
Zeitgleich zur Europawahl stimmt auch das Land ab, in dem die EU ihren Sitz hat. Der Urnengang gilt als komplex, denn Belgien ist ein zutiefst gespaltenes Land. Es besteht aus drei Regionen: Flandern, Wallonien und Brüssel-Hauptstadt. Alle drei verfügen über eigene Parlamente und Regierungen. Belgien unterscheidet sich von anderen Ländern vor allem darin, dass es keine großen Nationalparteien gibt, sondern von jeder Parteienfamilie mindestens zwei Ableger. Dementsprechend schwierig ist es, sich auf eine Koalition zu einigen. Belgien war deswegen 600 Tage ohne Regierung. Ein Weltrekord.
Belgien war deswegen 600 Tage ohne Regierung. Ein Weltrekord.
Schließlich einigten sich 2020 doch noch sieben Parteien auf eine Koalition mit Alexander De Croo als Premierminister an der Spitze. De Croo, ein Liberaler, muss sich bei der nächsten Wahl unter anderem gegen den konservativen Bürgermeister von Antwerpen Bart De Wever behaupten sowie gegen den Sozialisten Paul Magnette. Der gefährlichste Herausforderer dürfte aber die rechte Partei Vlaams Belang sein. Sie liegt Umfragen zufolge bei rund 25 Prozent. Parteichef Tom Van Grieken droht, die nördliche Landeshälfte Flandern vom Gesamtstaat abspalten zu wollen. Er spricht von einer „Zwangsheirat“ mit Wallonien. Käme es tatsächlich zu einer „Scheidung“, würde die Hauptstadt Brüssel unverhofft in einem neuen Staat aufwachen.
4. Iran: Keine Wahl bringt ihn zu Fall
Im Gottesstaat von Ali Khamenei sind Wahlen eine Farce.
Auch in autoritären Gottesstaaten wird alle paar Jahre ein neues Parlament gewählt. Im Falle des Iran sind es die ersten Wahlen nach den Massendemonstrationen. Im September 2022 löste der Tod von Mahsa Amini eine beispiellose Protestwelle in der Islamischen Republik aus. Die junge Kurdin war wegen eines nicht korrekt getragenen Kopftuches von der Sittenpolizei festgenommen und misshandelt worden und erlag in Haft ihren schweren Verletzungen.
Die Proteste haben gezeigt: Weite Teile der Gesellschaft stellen das System von Revolutionsführer Ali Khamenei in Frage. Der 84-Jährige ist die höchste politische und religiöse Instanz im Gottesstaat. Auch Präsident Ebrahim Raisi steht in seinem Schatten. Er kann sogar von diesem abgesetzt werden.
Die Proteste haben gezeigt: Weite Teile der Gesellschaft stellen das System von Revolutionsführer Ali Khamenei in Frage.
Und das Parlament? Es kann Gesetzesvorschläge einbringen, allerdings mit Einschränkungen. Diese müssen auf ihre Vereinbarkeit mit der islamischen Rechtstradition geprüft werden. Ein mit Theologen besetzter Wächterrat kann das Gesetz so lange zurückweisen, bis es den Vorstellungen des religiösen Führers entspricht. Dasselbe gilt für die Kandidaten. Wegen „mangelhafter ideologischer Qualifikation“ wurden diese bereits im Vorfeld aussortiert. Viele dürfen erst gar nicht antreten. Von einer richtigen Wahl kann im Iran also nicht die Rede sein.
5. Indien: Eine dritte Amtszeit ist ihm sicher
Warum Premier Narendra Modi auf Instagram setzt.
In Indien sind eine Milliarde Menschen wahlberechtigt
Eine Milliarde Wahlberechtigte sind im April und Mai aufgerufen, das Parlament der bevölkerungsreichsten Nation der Welt zu wählen. Die größten Erfolgsaussichten hat die hindu-nationalistische Partei von Premierminister Narendra Modi. Der 73-Jährige kam 2014 an die Macht. Derzeit verfügt seine Bharatiya Janata Party (BJP) über eine absolute Mehrheit. Zweitstärkste Kraft ist die als säkular geltende Kongresspartei. „Diese wird seit Jahrzehnten von englischsprachigen Dynasten aus der Nehru-Gandhi-Familie geführt. Modi stellt diese als eine vom Leben und den Sorgen der indischen Durchschnittsbürger weit entrückte Elite dar“, erklärt Elias Marini Schäfer. Er leitet das Büro der deutschen Konrad Adenauer Stiftung (KAS) in Neu Dehli. Weitaus populärer sei die Lebensgeschichte Modis, der sich vom einfachen Teeverkäufer zum Premierminister der größten Demokratie der Welt hochgearbeitet hat. Modi gilt aber auch als Nationalist. Die hinduistische Bevölkerung, die rund 80 Prozent des Landes stellt, bildet laut ihm den Kern der Nation. Gegen religiöse Minderheiten, vor allem die rund 200 Millionen Muslime, macht seine Partei gezielt Stimmung. Dennoch bleibt Modi insbesondere bei jungen Wählern beliebt. Und die sind bei dieser Wahl entscheidend. Über 65 Prozent der Inder sind unter 35 Jahre alt. Modi hat 80 Millionen Follower auf Instagram. Mal postet er Fotos von sich als Pilot eines Kampfflugzeuges, dann wieder als Guru in tiefer Meditation in einer Höhle. Ein Widerspruch? Keineswegs meint Schäfer von der KAS: „Modis Fähigkeit ist es, beides zu verkörpern. Den politischen wie auch den spirituellen Führer.“
Franziska Tschinderle
schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.
Siobhán Geets
ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.