Aufschrei der Regisseurin Katharina Mückstein: #MeToo lebt!
Als Anfang Juni das Urteil im brutalen Rechtsstreit zwischen den Hollywoodstars Johnny Depp und Amber Heard gesprochen wurde, musste man sich Sorgen machen. Sie wissen noch: Es ging um Missbrauch, Verleumdung und toxische Beziehungsmuster zwischen dem einstigen Schauspieler-Ehepaar. Die Geschworenen gaben Depp in allen Anklagepunkten recht, aber auch Heard hat ein bisschen recht bekommen. Das Urteil des öffentlichen Prozesses, der im Livestream übertragen wurde, wurde in den Sozialen Medien schon vorab getroffen. Sie sei Täterin, er das Opfer. Basta. Jede Regung, jedes Wort wurde von einem Millionenpublikum bewertet und analysiert; nach der Verkündung des Urteils (zehn Millionen Schadenersatz für Depp, zwei für Heard) twitterte die Republikanerin und Publizistin Meghan McCain siegesfroh “#MeToo is dead”, während die “New York Times” die bange Frage stellte: “Is the #MeToo Movement Dying?”. Hat hier wirklich #MeToo verloren? Und: Was wird aus der Bewegung, 2017 initiiert von der US-Schauspielerin Alyssa Milano, die unter anderem Hollywood-Mogul Harvey Weinstein und den Schauspieler Bill Cosby zu Fall gebracht hat? Was stand zu befürchten? Das Urteil könnte vor allem Frauen suggerieren: Ehe ihr euch künftig mit #MeToo-Vorwürfen an die Polizei oder Öffentlichkeit wendet – überlegt es euch lieber zweimal. Das Urteil wird nämlich nicht nur an den Gerichten gefällt.
Dass die #MeToo-Bewegung nun wieder neues Leben eingehaucht bekommt, ist einer Österreicherin zu verdanken. Vergangenes Wochenende machte die Wiener Regisseurin und Drehbuchautorin Katharina Mückstein, 40, über ihr Instagram-Profil Übergriffe und Demütigungen aus ihrer eigenen Ausbildungszeit öffentlich. Seitdem wird immer deutlicher sichtbar, wie tief verwurzelt sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch in der österreichischen Film- und Theaterszene zu sein scheinen. Unter anderem berichtete Mückstein von ihrem ersten Job beim Film. Sie schreibt: „Beleuchter bringt mich jeden Tag zum (heimlich) Weinen durch Beleidigung meines Körpers und sagt mir am Ende, dass er mich ficken will.“ Sie war damals gerade 19 Jahre alt. Ihr Aufschrei hat in der Film- und Theaterszene viel losgetreten. In einem Interview mit dem Radiosender FM4 erzählte die Regisseurin jetzt der Journalistin Alexandra Augustin, dass sie eigentlich nur ein paar Rückmeldungen erwartet hätte – nach kürzester Zeit hätte sie aber hunderte Erfahrungsberichte erhalten. Mückstein teilt manche der Vorwürfe seitdem anonymisiert auf ihrem Instagram-Profil; in den Storys werden Übergriffe an Filmsets, am Theater und an der Filmakademie Wien geschildert. Manche Darstellungen seien so explizit und schockierend gewesen, erzählt die Regisseurin, dass sie davon abgesehen habe, sie öffentlich zu teilen. Täter werden indes keine genannt, das juristische Risiko sei zu groß.
Zu ihrem Feminismus gehöre es, sagte Mückstein weiter, dass sie grundsätzlich optimistisch sei. Sie ist überzeugt, dass sich Dinge verändern können. Vor fünf Jahren, zu Beginn der #MeToo-Bewegung, hätte sie sich noch nicht derart öffentlich zum Thema positionieren können. Sie hätte, meint sie, viel zu viel Angst gehabt.
„In Österreich hat #metoo noch nicht einmal begonnen”, schrieb Mückstein vor ein paar Tagen in ihrem ersten Posting zum Thema noch. Wahrscheinlich hat genau sie das geschafft.
Sind Sie selbst betroffen? Dann können Sie sich an #we_do! wenden, die Wiener Anlauf- und Beratungsstelle für Missbrauchsfälle in der Filmbranche, die 2019 gegründet wurde.
Ich wünsche Ihnen schon jetzt ein geruhsames Wochenende
Philip Dulle