Deutschland

Aus der Ampel-Regierung: Schlussgemacht

Die Ampelregierung ist Geschichte, im März soll es Neuwahlen geben. Wie konnte es soweit kommen – und was folgt auf das Ende von Rot-Grün-Gelb?

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Es war eine Trennung mit Anlauf, und die Worte, die sie besiegelten, hören sich an wie Dialogschnipsel aus einer zerrütteten Beziehung. Man attestierte sich gegenseitig charakterliche Defizite, übte verbal Rache, sprach von Vertrauensbruch.

Mittwochabend im Berliner Kanzleramt. Die Regierung hat ihr Kabinettstreffen für eine Pause unterbrochen, da veröffentlicht die Bild-Zeitung einen Artikel mit dem Titel „Ampel-Hammer: Lindner schlägt Scholz Neuwahlen vor!“ Unmittelbar davor war FDP-Finanzminister Christian Lindner bei SPD-Kanzler Olaf Scholz mit seinem Vorschlag gescheitert – und stach ihn daraufhin offenbar an die Presse durch. Es ist nicht das erste Mal, dass Lindner die „Bild“ nutzt, um seinen Koalitionspartnern etwas auszurichten. Doch es wird wohl das letzte Mal gewesen sein.

Als die Minister nach der Besprechungspause wieder zusammenkommen, wendet sich Scholz an Lindner und sagt den Satz, der das Ende der Ampel besiegelt. „Ich möchte nicht mehr, dass du meinem Kabinett angehörst“, so der genaue Wortlaut laut „Spiegel“, „und ich werde morgen dem Bundespräsidenten mitteilen, dass du entlassen wirst“. Wenig später rächt sich Lindner, spricht von einem Kanzler, der „nicht die Kraft“ habe, die es nun brauche, von einem „kalkulierten Bruch“. Und Scholz legt nach: Lindner sei „verantwortungslos“, er habe jeglichen Kompromiss verweigert, ihm gehe es nur „um die eigene Klientel“ und „um das kurzfristige Überleben seiner Partei“.

„In der Partei geht die Angst um, in einem halben Jahr noch schlechter dazustehen.“

Eine Grünen-Abgeordnete

spekuliert über Lindners Motive

Das Ende der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und der wirtschaftsliberalen FDP kommt alles andere als überraschend, der Bruch hat sich lange angedeutet. Doch in Berlin hofften viele, dass die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA die Koalition noch einmal zusammenschweißen würde. Immerhin geht es um die Regierung des mächtigsten Landes Europas. Nun wollen SPD und Grüne allein weitermachen, zumindest bis zu den für Ende März geplanten Neuwahlen.

Zwei Sargnägel für die Ampel

Am Ende waren es zwei Papiere, die den Sargnagel für die deutsche Ampel bedeuteten. Seit vergangener Woche tragen Scholz und Lindner ihren Kampf um die Ausrichtung des deutschen Bundeshaushalts auf offener Bühne aus. Der Streit eskalierte, als Medien ein 18-seitiges Papier aus dem Ressort Lindners zugespielt wurde, dem die SPD niemals zugestimmt hätte: Lindner wollte den Solidaritätsbeitrag streichen, den Unternehmen, Selbstständige und Besserverdiener bezahlen. Er wurde 1991 eingeführt und sollte die deutsche Wiedervereinigung und den Aufbau in Ostdeutschland fördern.

Auch sonst lesen sich Lindners Vorschläge wie die Wunschliste deutscher Top-Manager: niedrigere Körperschaftssteuern für Unternehmen, ein vollständiger Stopp neuer Regulierungen, weitreichende Einsparungen im Sozialbereich, ein Aufschub der Klimaziele, und, allen voran: die Schuldenbremse bleibt, komme, was wolle.

Dabei braucht Deutschland dringend Geld. Investieren wollte Kanzler Scholz in leistbare Energie, in Investitionsanreize für Unternehmen, die Sicherung von Industriearbeitsplätzen und eine Aufstockung der Ukraine-Hilfen. All das geht sich mit der Schuldenbremse nicht aus, die besagt, dass sich Deutschland jährlich nur mit maximal 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung neuverschulden darf. Mit einer Ausnahmegenehmigung wollte Scholz zumindest die geplanten drei Milliarden an Ukraine-Hilfen durchbringen, doch Lindner stellte sich auch hier quer – und schlug stattdessen vor, Taurus-Marschflugkörper an Kiew zu liefern. Das wiederum überschreitet Scholz„ rote Linie: Der Kanzler fürchtet eine „große Eskalationsgefahr“, immerhin könnten die Präzisionswaffen mit ihrer Reichweite von 500 Kilometern auch Ziele tief im russischen Territorium treffen. Der Sozialdemokrat Scholz vermag den Forderungen der FDP ebenso wenig zuzustimmen, wie der wirtschaftsliberale Lindner die Vorschläge Scholz’ mittragen kann.

Vergiftetes Klima

Anders als Scholz äußerten die Grünen Bedauern über das Ende der Ampel. „Falsch“ und „tragisch“ sei die Sprengung der Koalition gewesen, sagte Vizekanzler Robert Habeck am Donnerstag – und räumte ein: „Wir haben uns viel gestritten“. Nach drei Jahren Gezerre um jeden Millimeter bei Umweltthemen ist die Beziehung der FDP mit dem grünen Koalitionspartner vergiftet.

Will man den Beginn des Dauerstreits in Berlin an einem Zeitpunkt festmachen, dann ist es wohl der Februar 2023. „Habeck will Öl- und Gasheizungen verbieten“, titelte die „Bild“– und leakte den Gesetzesentwurf zum „Heizungsgesetz“. Es sah vor, dass ab 2024 möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden soll. Die Angelegenheit wurde zum größten Streit in der Ampelregierung. Die FDP sprach von einer „Verbotsorgie“ – und in großen Teilen der Bevölkerung setzte sich die Überzeugung durch, Habeck wolle den Menschen ihre alten Heizungen herausreißen und ihnen teure Wärmepumpen aufzwingen. Am Ende gelang zwar ein Kompromiss, doch der Schaden war angerichtet. Habecks Beliebtheitswerte stürzten ab, das Gerangel beschädigte die Beziehungen zwischen FDP und Grünen nachhaltig.

Nach drei Jahren Dauerstreit hat das Ende der Ampel auch etwas Befreiendes. Die FDP macht nach dem Bruch, was sie am besten kann: Opposition. Und die SPD regiert vorerst mit den Grünen allein weiter.

Lindners Ressort übernimmt Verkehrsminister Volker Wissing, er ist dafür aus der FDP ausgetreten; der Grüne Agrarminister Cem Özdemir ersetzt Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Doch der Handlungsspielraum der Rumpfregierung ist ohnehin gering. Neue Maßnahmen können SPD und Grüne nicht beschließen, nur bereits Beschlossenes umsetzen. Bis zur Bildung einer neuen Koalition werden es lange Monate werden, für die Wirtschaft bedeutet das einmal mehr: Stillstand.

Am 15. Jänner möchte Scholz im Bundestag die Vertrauensfrage stellen, danach ist der Weg für Neuwahlen frei. Viele, allen voran die CDU, würden am liebsten schon kommende Woche abstimmen. Doch Anfang März finden in Hamburg Wahlen statt, der SPD wird ein Sieg vorhergesagt, und Scholz will den Schwung wohl für die Bundestagswahl nutzen. Etwas Hilfe könnte er gut gebrauchen.

Rückkehr zur GroKo?

In Umfragen schneidet die Union mit mehr als 30 Prozent doppelt so gut ab wie die SPD – und der wirtschaftspolitische Konkurrent der CDU, die liberale FDP, ist auf drei Prozent abgestürzt (siehe Grafik). Brutal abgestraft wurde sie schon im September bei den Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern. in Thüringen verpasste die FDP mit 1,1 Prozent der Stimmen den Einzug in den Landtag; und in Sachsen und Brandenburg wird sie mit jeweils weniger als einem Prozent unter der Rubrik „andere“ geführt.

Gut möglich, dass es am Ende vor allem die schlechten Werte waren, die das Motiv zum Bruch gegeben haben, zumindest für die FDP. „In der Partei geht die Angst um, in einem halben Jahr noch schlechter dazustehen“, heißt es aus grünen Kreisen in Berlin. Das Verhalten Lindners, das ständige Blockieren, sein Gebären als Sprengmeister sei als „Selbstmord aus Angst vor dem Tod“ zu verstehen.

Wenn ihm keine groben Fehler mehr passieren, wird der nächste Bundeskanzler wohl Friedrich Merz heißen. Nach den Neuwahlen gilt die große Koalition als wahrscheinlichste Variante, etwas anderes geht sich, zumindest aus heutiger Sicht, nicht aus. Deutschland könnte also den Weg zurück in die Vergangenheit suchen. In altbewährte Muster – ohne bunte Koalitionsexperimente.

Raphael Bossniak

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.

Marina  Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".