Sebastian Kurz

„Ich habe keine Angst vor Referenden“

Außenminister Sebastian Kurz über den Umgang mit den Briten nach dem Brexit.

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profil: David Cameron glaubte, mit Reformen wie der Kürzung von Sozialleistungen für Einwanderer eine positivere EU-Stimmung im Land erkaufen zu können und ist gescheitert. Sehen Sie das auch so? Sebastian Kurz: David Cameron und weite Teile der Regierung haben intensiv für einen Verbleib Großbritanniens in der EU gekämpft. Das habe ich am Tag des Referendums selbst in London miterlebt. Das Hauptthema in der Kampagne waren die Migrations- und Flüchtlingskrise – und im Hinblick darauf war der Vertrauensverlust in die Europäische Union so ausgeprägt, dass es leider nicht gelungen ist, eine Mehrheit für den Verbleib zustandezubringen. Viele Briten waren bereit, sogar die Gefahr von wirtschaftlich negativen Auswirkungen in Kauf zu nehmen, nur um dafür ein Zeichen zu setzen. profil: Hat Cameron, „too little, too late“ agiert – oder hat er einfach die falsche Strategie gewählt? Kurz: Es geht hier weder um Strategien noch um „too little, too late“. Das große Problem besteht darin, dass das Vertrauen in die Lösungskompetenz der EU in den entscheidenden Fragen derzeit alles andere als ausgeprägt ist. Entscheidend ist jetzt, alles zu tun, um es zurückzugewinnen. Und das schafft man nicht mit Durchhalteparolen und dem Schimpfen auf die Populisten, sondern nur durch Taten.

profil: Welche zum Beispiel? Kurz: Zentral ist sicher die Lösung der Flüchtlings- und Migrationskrise. Zudem braucht es eine klarere Kompetenzverteilung innerhalb der EU. Europa muss in den großen Fragen wie der Verteidigungs-, Sicherheits- und Asylpolitik stärker werden, und es muss sich in kleineren Fragen zurücknehmen, wo Nationalstaaten und Regionen besser entscheiden können als die Union im Ganzen. profil: Die Sprachregelung im Moment lautet „Draußen ist draußen“. Soll man Härte gegenüber Großbritannien zeigen oder versuchen, das Land wieder an den Binnenmarkt heranzuführen? Kurz: „Draußen ist draußen“ ist ein Faktum und noch kein politisches Statement. Soll man Härte zeigen? Nein, es geht ja nicht darum, jemanden zu sanktionieren, sondern um eine gute wirtschaftliche Kooperation zwischen Großbritannien und der EU, weil das ja für beide Seiten von Vorteil ist. Soll man den Austritt rasch abwickeln? Ich bin der Meinung, dass wir zügig vorgehen sollten, weil wir in der aktuellen Situation ein handlungsfähiges Europa brauchen, das sich darauf konzentriert, wie es sich weiterentwickeln und neu aufstellen kann. Und das funktioniert nur, wenn der Austritt Großbritanniens schnell über die Bühne geht.

Die Zeit, in der mit Durchhalteparolen an die Bevölkerung gearbeitet wurde, ist mit dem Referendum hoffentlich vorbei.

profil: Sie sind für eine europäische Lösung der Flüchtlingsfrage. Diese ist aber daran gescheitert, dass man nur scheinbar einen Konsens gefunden hat. Ist das jetzt leichter geworden? Kurz: Das Problem war aus meiner Sicht, dass man auf den falschen Zugang gesetzt hat. Den massiven Zustrom von Menschen nach Europa einzig und allein mit besserer Verteilung begegnen zu wollen, war schlicht der falsche Zugang. Erst jetzt setzt sich bei vielen die späte Einsicht durch, dass es das Wichtigste ist, den Zustrom zu reduzieren und einen ordentlichen Schutz der EU-Außengrenzen zu gewährleisten. Hier braucht es die richtige Politik. Die Zeit, in der mit Durchhalteparolen an die Bevölkerung gearbeitet wurde, ist mit dem Referendum hoffentlich vorbei.

profil: Frankreich wählt kommendes Jahr einen neuen Präsidenten, Front-National-Chefin Marine Le Pen fordert bereits ein EU-Referendum, und auch bei den Konservativen scheint die Idee langsam Fuß zu fassen. Kurz: Ich bin niemand, der glaubt, Probleme zu lösen, indem man fest den Deckel draufhält. Frust und Unzufriedenheit müssen ernst genommen, Probleme müssen gelöst werden. Ich möchte in keinem Europa leben, in dem die Bevölkerung nur deshalb zusammengehalten wird, weil wir die Menschen nicht darüber entscheiden lassen, ob sie hinter der EU stehen oder nicht. Ich möchte in einem Europa leben, in dem die Zustimmung zur Union stark ausgeprägt ist. Und das werden wir nur schaffen, wenn die EU Lösungskompetenz in den großen Fragen beweist. Insofern braucht man sich nicht vor der Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger zu fürchten. Wenn wir alle unseren Job möglichst gut machen, dann wird es auch eine klare Zustimmung für Europa in allen Mitgliedsstaaten geben können.

profil: Weitere Referenden schrecken Sie also nicht? Kurz: Ich habe keine Angst vor Referenden, sondern Angst davor, dass die Europäische Union kein Vertrauen in der Bevölkerung hat – und das gewinnt man nur durch Taten zurück. Insofern werde ich alles tun, damit sich die EU neu ausrichtet und stärkt.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur