Ausland

Bhutan: Happy End im Himalaya

Eines der einst ärmsten Länder Asiens schaffte den Weg nach oben – und die österreichische Entwicklungskooperation war daran beteiligt. Ein Besuch im Königreich Bhutan.

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Ein Spaziergang durch das kleine Dorf Rinchengang ist eine Zeitreise ins Mittelalter: kleine Häuser aus Lehm und Holz auf einem Berghang mit Blick auf einen Dzong, eine buddhistische Klosterburg am Fluss. Ein großer Ochse wird von einem Bauern auf die Weide geführt. Frauen in bunten Kiras, traditionellen, knöchellangen Kleidern, arbeiten auf Reisfeldern. Die Regierung des Königreichs Bhutan hat für das Dorf nahe der alten Hauptstadt Punakha einen Baustopp verhängt. Touristen sollen hier einen Eindruck vom ursprünglichen Leben im Land am Himalaya, das vom tibetischen Buddhismus geprägt wurde, bekommen.

Hier haben die österreichischen Vereine „Freunde Bhutans“ und „Renew“ mit Unterstützung des Sozialministeriums in Wien ein Hilfsprojekt für Bäuerinnen gestartet. Sie lernen das Weben traditioneller Stoffe und erhalten Nähmaschinen und Webstühle zu vergünstigten Preisen. Chenga Lhamo erzählt, dass sie dadurch monatlich bis zu 4000 Ngultrum (rund 45 Euro) dazuverdient. Sie ist Opfer häuslicher Gewalt geworden, geschieden und zieht allein ihren Sohn auf.

So wie in allen Dörfern Bhutans gibt es hier billigen Strom aus Wasserkraft. Vier Kraftwerke hat die Entwicklungsorganisation „Austrian Development Agency“ (ADA) finanziert und mit österreichischer Technik ausgestattet, das Druckwasserkraftwerk in Basochhu mit 60 Megawatt Leistung läuft seit 2001 klaglos. Die Stromexporte ins nahe Indien haben gemeinsam mit den Erlösen aus dem Tourismus die finanzielle Grundlage für den beachtlichen Aufstieg des Landes geschaffen.

Es ist eine Erfolgsgeschichte: Noch in diesem Sommer verlässt Bhutan die Gruppe der 46 ärmsten Staaten der Welt und steigt in die höhere Kategorie von Ländern mit mittlerem Einkommen auf. Das BIP pro Kopf soll heuer die 4000-US-Dollar-Marke überschreiten. In Bhutan sind Krankenversorgung und Schulbildung gratis.

„Wir sind Österreich für die geleistete großzügige Unterstützung ewig dankbar“, erklärt Außenminister Tandi Dorji bei der Eröffnung des neuen Konsulats Österreichs in Thimphu. „Unseren Aufstieg verdanken wir zu einem großen Teil den österreichischen Steuerzahlern. Überall in Bhutan sind die Fußspuren der Kooperation mit Österreich sichtbar.“ Von der Forstwirtschaft über Wasserkraftwerke bis zum königlichen Tourismusinstitut mit angeschlossenem Trainingshotel. Mönche im Kloster Pangrizampa freuen sich seit Kurzem über Warmwasser, geliefert durch Photovoltaik-Technik aus Österreich.

Hilfe bei Justizreform

Mehr als drei Jahrzehnte lang hat die ADA mit Bhutan eine Kooperation betrieben, über 90 Millionen Euro flossen aus Österreich hierher ins entlegene Königreich. Zum Ende dieses Jahres schließt die ADA ihr Büro in der Hauptstadt Thimphu endgültig. „Freundschaft und Kooperation werden jedoch nicht enden. Vor allem im Tourismus und im universitären Bereich werden wir Bhutan weiter unterstützen und österreichische Firmen mit Geschäftsmöglichkeiten hier vertraut machen“, betont ADA-Chef, Botschafter Friedrich Stift.

In Planung ist ein Biosphären-Park. Auch die Kooperation mit der Tourismusakademie in Salzburg-Klessheim und die Hilfe beim Aufbau des unabhängigen Justizsektors gehen weiter.

Gleich sechs neue Niedrigenergie-Gebäude für Bezirksgerichte hat Österreich allein oder gemeinsam mit der Schweiz finanziert. Die Bevölkerung Bhutans soll damit leichteren Zugang zur Justiz erhalten. Gemäß Verfassungsreform werden die Gerichte nach und nach aus den buddhistischen Klosterburgen abgesiedelt. So sind neben barrierefreiem Zugang auch eigene Räume für Mediationsverfahren vorgesehen. Richter Dasho Drangpon setzt sich sehr für Litigation ein, um Gerichtsverfahren zu vermeiden. Scheidungen werden häufiger, Vielehen seltener. „Für Letztere braucht es die Zustimmung der ersten Frau, was nicht mehr oft passiert“, weiß Drangpon.

Im ganzen Land, das flächenmäßig halb so groß wie Österreich ist und nur 780.000 Einwohner zählt, gab es im Vorjahr nur zwei Kapitalverbrechen. Auch der Vandalismus in Klöstern und an den buddhistischen Denkmälern, den Stupas, der mit

lebenslanger Haftstrafe geahndet wird, kommt kaum noch vor. Kriminalitätsberichterstattung fällt in Bhutan denkbar harmlos aus: So schaffte es ein Versicherungsbetrug eines ehemaligen Mönchs auf die Titelseite der Tageszeitung „Kuensel“. Er hatte Wracks von Luxusautos teuer versichert und dann nach vorgetäuschten Unfällen abkassiert.

Für das gesamte Land gilt die in der Verfassung verankerte Devise, wonach das Glück der Bewohner in allen Politikbereichen Vorrang hat. „Bruttonationalglück“ wird das genannt und geht auf den vierten König Jigme Singye Wangchuck zurück. Er hatte auf die Frage nach dem BIP Bhutans geantwortet: „Das Bruttonationalglück ist wichtiger als das Bruttonationalprodukt.“ Unter seiner Herrschaft wurde die Modernisierung vorangetrieben: Bhutan war 1999 das letzte Land der Welt, das Fernsehen zuließ. Sein Sohn Jigme Khesar Namgyel Wangchuck setzt als amtierender 5. König den Kurs fort. Er führte die konstitutionelle Monarchie mit Parlament ein, zieht aber weiter die Fäden im Land. Der Zwang zum Tragen der traditionellen Tracht, Gho und Kira, wurde gelockert. Homosexualität wurde 2021 entkriminalisiert. Ein Tabuthema stellt die Vertreibung von Zuwanderern aus Nepal Anfang der 1990er-Jahre dar. Noch immer leben ein paar Tausend von ihnen in einem Lager in Nepal und hoffen auf die Rückkehr nach Bhutan.

Das ist eine der Schattenseiten im Land des staatlich geförderten Glücks, wo ein eigenes Glücksministerium regelmäßig die Erreichung der Ziele durch Befragungen von ausgesuchten Bürgerinnen und Bürgern überprüft.

Jahrhundertelang war Bhutan, dessen Unabhängigkeit formell 1910 von Großbritannien anerkannt wurde, von der Außenwelt völlig abgeschottet. Erst seit 1974 ist Ausländern die Einreise gestattet. Jetzt soll der Tourismus entwickelt werden, allerdings erheblich gefiltert durch eine neue, „nachhaltige Entwicklungsgebühr“ von 200 US-Dollar, die jeder Tourist aus dem Ausland pro Tag zusätzlich zu Ausgaben für Hotels, Mahlzeiten, Fahrten und dem vorgeschriebenen „Guide“ entrichten muss.

Derzeit wird über eine teilweise Streichung der Tagesgebühr für längere Aufenthalte, beispielsweise für beliebte Trekkingtouren im Gebirge, diskutiert. „Ich sehe die Gebühren als Entwicklungshilfe“, erklärt ein Schweizer Bankmanager. Und einem Texaner war die Spezialreise für Vogelfreunde ihr Geld wert. Er konnte den seltenen Schwarzhals-Kranich beobachten und fotografieren.

Braindrain nach Australien

Was nicht zum Image des „glücklichsten Landes der Welt“ passt, ist die aktuelle Auswanderungswelle. Fast 30.000 Bhutaner emigrierten bereits nach Westaustralien, mit Studentenvisa, die Universitäten im Raum Perth ausstellen. Partner samt Kindern dürfen mitgenommen werden und erhalten auch eine Arbeitsbewilligung für bis zu vier Jahre.

Früher kehrten die meisten nach Studium und Arbeit nach Bhutan zurück, wo sie das ersparte Geld investierten. Jetzt bleiben viele von ihnen in Australien. „Wir wurden Opfer unseres eigenen Erfolgs“, klagt Tenzing Lamsang, Chefredakteur der Wochenzeitung „The Bhutanese“. „Sogar unsere Lehrer und Ärzte gehen nach Australien, offiziell für ein Postgraduate-Studium, aber in Wahrheit dann doch oft für immer.“ Die Schuld an diesem „braindrain“ gibt Lamsang der Vernachlässigung des privaten Sektors in der Wirtschaft. Außerdem ist vor allem die Jugendarbeitslosigkeit als Folge der Corona-Pandemie, die in Bhutan mit einer rigorosen Isolation und Impfpolitik erfolgreich bekämpft wurde, auf knapp 30 Prozent gestiegen. Mangels Arbeitslosen-Unterstützung sprang der König in der Pandemie mit Zuwendungen aus eigener Schatulle ein.

Jetzt will die Regierung mit Plänen für Industrieparks sowie Investitionen in den IT-Sektor Gegensteuerungsmaßnahmen ergreifen. Eine in Kooperation mit Singapur geplante „Smart City“ im Süden des Landes mit einem neuen Flughafen soll Zukunftsfirmen ansiedeln. Mit dem Stromüberschuss soll auch energieintensives „mining“ von Kryptowährungen wie beispielsweise Bitcoin gefördert werden. Dies passt nicht so recht zum Konzept von Nachhaltigkeit und Ökologie. Es zeigt sich, dass das Bruttoinlandsprodukt wohl doch mehr mit dem Glück der Bevölkerung zu tun hat, als man wahrhaben wollte.