Bill Browder: Der Oligarchenjäger für schärfere Sanktionen
Von Tessa Szyszkowitz, London
An Tagen wie diesen meldet sich William Browder per Telefon: „Hey, ich habe 15 Minuten!“ Für physische Meetings hat er jetzt keine Zeit. Wie immer, wenn Wladimir Putin etwas anstellt, erscheint einer seiner schärfsten Kritiker via Videolink in allen Fernsehstudios und Zeitungsredaktionen, die mit ihm sprechen wollen. Denn das ist seine Stunde.
Der 57-jährige Amerikaner mit britischem Pass hat Erfahrung mit Wladimir Putin. Einst war Browder mit seinem Fonds Hermitage Capital einer der größten Auslandsinvestoren in Russland und in gutem Einvernehmen mit dem Präsidenten. Doch die Beziehungen erkalteten wie mit vielen mächtigen Geschäftsleuten, die sich Putins Plänen nicht unterordnen wollten: „Ich habe versucht, ihm zu erklären, wie wichtig Transparenz für Russlands Wirtschaftsentwicklung ist“, sagt Browder. Doch der Präsident hörte nicht auf ihn.
2005 verweigerte er Browder die Einreise nach Russland. 2009 kam einer von Browders russischen Anwälten, der beim Innenministerium eine Steuerhinterziehung von 230 Millionen Dollar angezeigt hatte, in einem Moskauer Gefängnis zu Tode. Sein
Name: Sergej Magnitzky.
Bill Browder war damals so schockiert, dass er eine politische Kampagne startete. Er wollte Gerechtigkeit für Magnitzky und begann, im Westen für personengebundene Sanktionen gegen all jene zu werben, die den Anwalt auf dem Gewissen hatten: die Gefängnisleitung, korrupte Steuerbeamte und Spitzenpolitiker. Anfangs hörte ihm kaum jemand zu – ein enttäuschter Putin-Freund und Milliardär, der jetzt Rache üben wollte? Der russische Präsident war westlichen Regierungen zwar nicht mehr geheuer, aber Sanktionen waren vielen zu heikel.
Heute, zwölf Jahre später, hat Bill Browder sein Ziel erreicht, der Magnitzky-Akt ist Realität geworden. Ausländische Verbrecher können für Delikte mit personenbezogenen Sanktionen belegt werden. Ihr Vermögen kann eingefroren, ihr Visum gestrichen werden. Nach langem Zögern zieht auch die EU mit.
Zuerst wurde der Magnitzky-Akt 2012 in den USA Gesetz, in den Jahren darauf in Kanada und in den baltischen Ländern, 2018 in Großbritannien. Vor zwei Jahren, nach der Vergiftung des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny, beschloss ihn auch der Europäische Rat in Brüssel unter dem Namen „EU Global Human Rights Sanctions Mechanism“.
Nicht alle Mitgliedstaaten haben diese globale Sanktionsregelung im Bereich der Menschenrechte in ihre nationale Rechtsgebung gegossen. „Für Österreich wäre es höchste Zeit“, sagt Browder. „Putinnahe Oligarchen wie Oleg Deripaska werden in den USA seit 2018 sanktioniert.“ Deripaska wird vorgeworfen, Geschäftsrivalen bedroht, einen Regierungsbeamten abgehört und sich der Erpressung schuldig gemacht zu haben. In Österreich ist der russische Oligarch nach wie vor am Bauunternehmen Strabag beteiligt.
Seit Putin die ukrainische Souveränität bedroht – und auch nach der Annektierung der Krim 2014 – beschloss die EU immer wieder Sanktionen gegen Russland. Die Anerkennung der Unabhängigkeit der selbst ernannten „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk seitens Russlands führte vorigen Dienstag zu einem ersten neuen Sanktionspaket. Es richtet sich gezielt gegen Personen und Unternehmen, die an dem völkerrechtswidrigen Vorgehen beteiligt sind.
Wegen der Invasion der russischen Armee verschärften die EU-Staatschefs bei ihrem Sondergipfel in Brüssel am Donnerstagabend die Gangart. Die Finanzsanktionen sollen bis zu 70 Prozent des russischen Bankensektors treffen und staatliche Unternehmen, insbesondere die Rüstungsindustrie, von europäischem Kapital trennen. „Diese Sanktionen werden die russischen Kreditkosten erhöhen, die Inflation steigern und Stück für Stück die industrielle Basis Russlands abtragen“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am frühen Freitagmorgen, als der Sonderrat nach sechs Stunden zu Ende war.
Bisher sind die härtesten Maßnahmen allerdings nicht inkludiert. Doch die Stimmen werden lauter, russische Banken vom internationalen Zahlungsverkehr abzuschneiden. Der Ausschluss aus der „Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication“, kurz: Swift, würde es russischen Firmen erschweren, Kredite aufzunehmen und Finanzgeschäfte abzuwickeln.
Noch schreckt die EU – und da kommt der Widerstand vor allem aus Deutschland, Österreich und Italien – vor dieser Maßnahme zurück, denn sie hätte auch für Europa drastische Konsequenzen: Österreichische Banken müssten fürchten, dass die Kredite von russischen Schuldnern nicht mehr zurückgezahlt werden. Der Zahlungsverkehr selbst für die einfachsten Handelsgeschäfte wäre dann nicht mehr möglich.
Stetig länger wird außerdem die Liste jener Personen, deren Vermögen im Westen eingefroren und denen die Einreise in die EU verweigert wird. Neben den 351 russischen Parlamentariern, die der Anerkennung der russischen Separatistenrepubliken in der Ukraine Anfang der Woche zugestimmt hatten, schienen auf dieser von der Magnitzky-Kampagne inspirierten Liste jetzt auch Putins engste Mitarbeiter sowie jene Oligarchen auf, die als seine Finanzmanager gelten. 555 Personen und 52 Organisationen umfasste die Liste am Freitag bereits.
Bloß: All diese Sanktionen haben Putin nicht davon abgehalten, über die Ukraine herzufallen. „Die EU und die EU-Regierungen müssen deshalb weiter gehen“, sagt Browder: „Für Putin geht es nicht um Russland oder um die Ukraine, ihm geht es darum,
an der Macht zu bleiben. Wenn wir ihn treffen wollen, dann müssen wir sein persönliches Vermögen aufspüren – das heißt, seine Kassawärter finden und unter Sanktionen stellen.“
Der Westen habe dabei einen entscheidenden Vorteil: „In Russland gibt es keine gesicherten Vermögensrechte, deshalb bringen die Freunde Putins ihre Gelder – für sich selbst und für ihn – in den Westen. Es würde schon reichen, die 50 Top-Verdiener rund um Putin zu bestrafen. Das würde er zu spüren bekommen.“
Am Freitagnachmittag sickerte durch, dass die EU auch Putin und Außenminister Sergej Lawrow auf die Sanktionsliste setzt und ihre Vermögen einfriert. Auch wenn Browder darauf hinweist, dass Putin in seinem Namen keine Gelder im Westen gebunkert hat und man besser seine Oligarchen-Treuhänder bestrafen sollte, begrüßt Browder die Entwicklung: „Es ist die richtige Entscheidung. Und überraschend gut von der EU, die bisher zögerlich war.“
Einst wäre Browder selbst unter diese Kategorie gefallen. Seine Wandlung vom Finanzakteur im rauen Umfeld des raubtierkapitalistischen Russlands in den 1990er-Jahren zum politischen Aktivisten und Putin-Kritiker heute mag erstaunen. Doch die Familiengeschichte der Browders weist mehrere Wendungen auf, die Bill Browder womöglich dorthin geführt haben, wo er heute ist. Die erstaunliche Geschichte von Browders russischen Abenteuern begann lange vor seiner Geburt: Sein Großvater Earl Browder war von 1930 bis 1945 Chef der kommunistischen Partei in den Vereinigten Staaten. Die Großmutter Raissa Berkman hatte Earl in Russland kennengelernt, wo er nach der bolschewistischen Revolution die kommunistische Gesellschaft aufbauen half. Bills Großeltern waren und blieben Hardcore-Stalinisten – obwohl Raissas erster Mann von Stalin ermordet worden war.
In der McCarthy-Ära in den 1950er-Jahren wurde die Familie zu Parias, die nicht einmal der befreundete Zahnarzt behandeln wollte. Bills Vater Felix, ein hochbegabter Mathematiker, fand nur mit Mühe eine Stelle. Später unterrichtete er an der University of
Chicago. Bills Mutter Eva wiederum war Wienerin – sie entkam den Nazis, weil sie als Kind zur Adoption freigegeben und nach Amerika geschickt wurde.
Und was tat William Browder als junger Mann in den 1980er-Jahren? Um seine linke Familie zu ärgern, wurde er Großkapitalist in Russland. Kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde Browders Fonds Hermitage Capital in der Tat kurzfristig der größte seiner Art in Russland.
Heute betrachtet Bill Browder die jüngsten Entwicklungen von London aus. In seinem Buch „Red Notice“ hat er sein Leben nacherzählt, das zuweilen wie russisches Roulette wirkt. Ob er nicht Angst hat, dass er wie so viele Putin-Feinde plötzlich zu Tode kommen könnte? „Klar wäre Putin mich gerne los“, sagt Browder.
Seine Arbeit für die Magnitzky-Sanktionen aber stellt er trotz der Gefahr für sein eigenes Leben nicht ein. Dass seine eindrucksvolle Kampagne so viel Zuspruch bekommen hat, ist auf Putins zunehmend diktatorische Entwicklung zurückzuführen. Das ist neben dem Erfolg auch eine bittere Erkenntnis.