Blinken zu Schallenberg: „Ihr seid neutral, ohne neutral zu sein“
Einen Satz sagt Außenminister Alexander Schallenberg bei seinem Besuch in Washington immer wieder. Er lautet: „Es kann kein Zurück zum Status Quo Ante geben“. Gemeint ist Russland, mit dem Österreich vor dem brutalen Überfall auf die Ukraine ausgesprochen gute Beziehungen pflegte.
Es ist kein Zufall, dass Schallenberg diesen Satz so oft wiederholt. Die guten Beziehungen von Ländern wie Österreich und Deutschland zu Moskau und die Abhängigkeit von russischem Gas stießen den USA schon lange sauer auf.
Außenminister Schallenberg sagt seinen Satz mehrmals vor den österreichischen Journalisten, er sagt ihn beim Treffen mit Studenten der Johns Hopkins Universität und wohl auch gegenüber US-Außenminister Antony Blinken.
Beim bilateralen Gespräch am Mittwochnachmittag (Ortszeit) in Washington ging es um die zahlreichen Krisen, allen voran um den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine.
Für heuer sieht Schallenberg drei Herausforderungen: Der Westen müsse Geschlossenheit wahren sowie Augenmaß und strategische Geduld zeigen. Und er müsse seine „geopolitischen Hausaufgaben“ machen. Letzteres betreffe vor allem die unmittelbare Nachbarschaft, also etwa weitere Unterstützung für die Ukraine, aber auch für den Westbalkan. Gelinge es nicht, Geschlossenheit zu wahren, dann werde der Westen in der Welt an Einfluss verlieren. Andere Akteure, die aus Russland, der Türkei oder China kommen, könnten dieses Loch rasch ausfüllen.
Alexander Schallenberg ist kurz vor dem Jahrestag des Kriegsbeginns in die USA gereist, um die bilateralen Beziehungen auszubauen. Er arbeite daran, dass es auf allen Ebenen zu bilateralen Treffen kommen werde, auch in den Bereichen Wissenschaft und Kultur.
Neben Blinken traf Schallenberg CIA-Chef William Burns, die Chefin der US-Geheimdienste Avril Haines und den Koordinator des Weißen Hauses für den Nahen Osten und Nordafrika Brett McGurk.
Keine Debatte über Neutralität
Die Partnerschaft Europas mit Amerika war kaum wichtiger als zum Anbruch der vielzitierten Zeitenwende. Die alte Sicherheitsstruktur mit den USA als Schutzmacht Europas ist wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine wirkt die EU mehr denn je als amerikanisches Protektorat.
„Ich will die strategische Partnerschaft stärken“, sagt Schallenberg zu Beginn des Gesprächs mit Blinken. „Wir haben sie zu lange als selbstverständlich angesehen.“
Die transatlantische Achse sei einer der Grundpfeiler seiner Außenpolitik, betont er auch im Gespräch mit den Journalisten mehrmals. Die USA seien die wichtigste Stütze der freien Welt.
Das dürfte Blinken ähnlich sehen. Nur wäre es Washington recht, in der Verteidigung der „freien Welt“ mehr Unterstützung vonseiten Europas zu bekommen. Für das Festhalten Österreichs an der Neutralität hat Blinken aber durchaus Verständnis. „Ihr seid neutral, ohne neutral zu sein“, sagte der amerikanische Außenminister zu Schallenberg – eine Anspielung auf die humanitäre Hilfe Österreichs in und die politische Solidarität mit der Ukraine.
Im Gespräch mit Journalisten nach dem Treffen mit Blinken strich Schallenberg hervor, dass es „riesige Anerkennung“ für die Hilfeleistungen Österreich an die Ukraine gebe. Gemessen am BIP sei Österreich die Nummer eins in der humanitären Hilfe an das kriegsgebeutelte Land.
Was Waffenlieferung betrifft, kann Österreich freilich nichts beitragen. Wien ist und bliebt militärisch neutral, das wird sich auch in naher Zukunft nicht ändern.
Die heimische Politik hat die Debatte über die Neutralität für beendet erklärt, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Die Frage stelle sich nicht, sagt auch Schallenberg.
Das sieht nicht jeder so. Nicht nur aus Bundesheer-Kreisen heißt es, dass man die Neutralität angesichts der veränderten Bedrohungslage infrage stellen müsse. Auch hochrangige Diplomaten sprechen sich für einen Beitritt zur NATO aus – zumindest hinter vorgehaltener Hand. In der Politik, auch in der Opposition, traut sich aber niemand an das Thema heran.
„Die USA sind dankbar für unser Engagement“
Anders ist das bei den Verteidigungsausgaben. Washington moniert die geringen finanziellen Mittel der EU-Staaten für die Ausstattung ihrer Heere seit Jahren. In Österreich sind dafür heuer immerhin 0,7 Prozent des BIP vorgesehen, die Ausgaben wurden um 680 Millionen Euro erhöht. Bis 2027 soll das Budget auf knapp 1,5 Prozent des BIP erhöht werden. „Es gibt in den USA wenig Verständnis für die niedrigen Militärausgaben Österreichs“, sagt Peter Rough vom Thinktank „Hudson Institute“, der Demokraten wie Republikaner berät. Sicherheitspolitisch sei Österreich irrelevant.
Die USA hofften, dass die EU in der Sicherheit Europas mehr Verantwortung übernimmt, damit sie sich wieder stärker auf den pazifischen Raum konzentrieren könnten.
Eine wichtige Rolle in den bilateralen Beziehungen zwischen Washington und Wien spielt auch der Umgang mit den Ländern des Westbalkans. „Die USA sind dankbar für unser Engagement“, sagte Schallenberg beim Doorstep nach dem Treffen mit Blinken. Es gelte, die Staaten in die globale Gemeinschaft zu integrieren. „Wenn wir unser Gesellschaftsmodell nicht dorthin exportieren“, so Schallenberg, „dann wird es ein anderer tun – Russland, die Türkei oder die Emirate“.
Hier dürften weder Antony Blinken noch der US-Gesandte des Westbalkans Daniel Escobar etwas einzuwenden haben. Doch spielt hier, wie auch im Umgang mit Russland, die Geografie eine entscheidende Rolle.
Seinem Stehsatz mit dem Status quo hat Schallenberg noch etwas hinzuzufügen. Es sei klar, dass Russland nicht verschwinden werde. „Geschichte und Geografie ändern sich nicht“, sagt er. „Es wird eine Form des Nebeneinanders geben müssen.“