Bosnien: Gefährliches Spiel mit der Abspaltung
Belgrad. Vor 26 Jahren beendete das Friedensabkommen von Dayton den blutigen Krieg in Bosnien-Herzegowina. Bosniaken, Serben und Kroaten leben seitdem in einem komplizierten Staatsgebilde, das aus zwei halb-autonomen „Entitäten“ besteht, der Bosnisch-Kroatischen Föderation (FBiH) und der Serbischen Republik (RS). Es ist ein Staat mit vielen Mängeln, mit einer ineffizienten Verwaltung und korrupten politischen Eliten. Aber es herrscht Frieden im Land, nachdem zwischen 1992 und 1995 rund 100.000 Menschen gestorben und ganze Landstriche entvölkert worden waren.
Dieser Friede ist nun bedroht, glaubt man dem obersten internationalen Diplomaten in Sarajevo, dem Deutschen Christian Schmidt. Der Grund: die zunehmend konkreter werdende Abspaltungspolitik der nationalistischen Führung in der RS. Deren „starker Mann“, der Autokrat Milorad Dodik, betreibt offen die Zerstörung gesamtstaatlicher Institutionen, darunter der gemeinsamen Gerichtsbarkeit, Staatsanwaltschaft, Bundespolizei und Steuerverwaltung. Dodik kündigte auch die Schaffung einer eigenen Armee an – die vor 15 Jahren geschaffen gesamtstaatliche Armee müsste dann die Kasernen in der Serben-Republik verlassen. Bereits im Vormonat beschloss das RS-Parlament ein Gesetz, auf dessen Grundlage sich die Arzneimittelbehörde aus der zuständigen gesamtstaatlichen Behörde abspalten wird. Eine neue „Anti-Terror-Polizei“, bewaffnet und ausgebildet mit russischer Hilfe, hält immer wieder martialische Manöver ab.
In seinem an sich routinemäßigen Bericht an den UNO-Sicherheitsrat stellte Schmidt die möglichen Folgen der serbischen Sezessionsbestrebungen in Worten dar, wie sie in dieser Deutlichkeit von Diplomaten eher selten zu hören sind. „Sollten die RS-Behörden bei ihren Unternehmungen ungehindert Erfolg haben, würden sie einen neuen Verfassungs- und Rechtsrahmen schaffen und die RS damit aus dem Gefüge des Dayton-Abkommens und insbesondere aus der bosnischen Verfassungsordnung herauslösen“, schrieb Schmidt. "Es käme einer Sezession ohne Proklamation (der Unabhängigkeit) gleich.“ Die Auswirkungen auf die Region und darüber hinaus könnten sich „äußerst gefährlich“ gestalten. Der Bericht lag profil vor.
Schmidt ist der sogenannte Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien, eine Funktion, die gleichfalls ein Produkt des Dayton-Abkommens ist und von Dodik energisch bekämpft wird. Der Inhaber des Amtes soll über die Einhaltung des Dayton-Abkommens wachen. Er hat weitreichende Kompetenzen, mit denen er in das politische Geschehen in Bosnien eingreifen kann, etwa indem er verfassungswidrig agierende Politiker aus dem Amt entfernt. In den letzten zwei Jahrzehnten machten die Hohen Repräsentanten von ihrer Macht aber kaum Gebrauch.
Schmidt, ein ehemaliger Landwirtschaftsminister, der aus der bayerischen CSU kommt, ist erst seit Anfang August im Amt. Er folgte dem Österreicher Valentin Inzko nach, der zwölf Jahre amtierte und wegen des fehlenden Rückhalts der internationalen Gemeinschaft zuletzt nur wenig auszurichten vermochte. Das stetig sinkende Interesse des Westens an Bosnien führte zu einer verstärkten Präsenz anderer Mächte wie Russland, China und der Türkei.
Vor allem Russland unterstützt im Verbund mit der nationalistischen Regierung in Serbien die Abspaltungspolitik Dodiks. Schmidt hätte seinen Bericht am vergangenen Mittwoch im UNO-Sicherheitsrat vortragen sollen. Aufgrund einer russischen Erpressung sagte das Gremium die Anhörung kurzfristig ab. Die östliche Vetomacht hatte nämlich damit gedroht, der – an sich routinemäßgen – Verlängerung des Mandats der EU-Schutztruppe EUFOR in Bosnien nicht zuzustimmen. Nach der Ausladung Schmidts wollte der Sicherheitsrat die einjährige Verlängerung der 600 Mann starken Militärmission billigen, die seit diesem Jänner vom österreichischen Generalmajor Alexander Platzer kommandiert wird.