Ahmad Mansour

Unheilige Bücher: Die Islamthesen von Thilo Sarrazin und Ahmad Mansour

Ein nach rechts gedrifteter Sozialdemokrat und ein ehemaliger Muslim-Fundamentalist schreiben über den Islam, prangern ähnliche Probleme an, ziehen daraus aber komplett andere Schlüsse: Warum es unsinnig wäre, Thilo Sarrazin zu ignorieren – aber sinnvoller, stattdessen Ahmad Mansour zu lesen.

Drucken

Schriftgröße

Zwei Autoren, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Der eine stammt aus einem gutbürgerlichen deutschen Elternhaus, macht Karriere in der Sozialdemokratie und konvertiert im Alter zu einem radikalen Nationalkonservatismus. Der andere wird als Sohn einer arabischen Familie in Israel geboren, entwickelt sich dort zum muslimischen Fundamentalisten und integriert sich schließlich als Zuwanderer in Deutschland. Und beide treffen bei der Beschäftigung mit einem Thema aufeinander, das die Gesellschaft derzeit aufwühlt und spaltet wie kaum ein anderes: dem Islam und seiner Wirkung auf Europa.

Fast gleichzeitig haben Thilo Sarrazin und Ahmad Mansour vor Kurzem einschlägige Bücher veröffentlicht. „Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“ heißt jenes des ehemaligen SPD-Finanzsenators und Bundesbankers Sarrazin; „Klartext zur Integration. Gegen falsche Toleranz und Panikmache“ hat der Diplompsychologe und frühere Islamist Mansour das seinige genannt.

Und beide rufen heftige Ablehnung hervor. Bei Sarrazin kommt das nicht unerwartet: Er brachte mit seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“, der im Jahr 2010 den Untergang des Abendlandes durch Überfremdung prophezeite, nicht nur eingefleischte Linke gegen sich auf. Auch Liberale und viele Konservative können mit seiner rabiaten Ablehnung gegen Zuwanderung, namentlich aus der islamischen Welt, wenig anfangen.

Thilo Sarrazin stellt bei einer Pressekonferenz sein neues Buch "Feindliche Übernahme - Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht" vor.

Mehr noch als Sarrazin sitzt Mansour zwischen allen Stühlen. Drohungen, Verleumdungen und Beschimpfungen aus der eigenen Glaubensgemeinschaft gehören für ihn zum Alltag, weil er mehr Integrationsbereitschaft von Muslimen einfordert. Nicht zuletzt deswegen ist er auch bei der Linken alles andere als beliebt.

Wer findet, dass es ohnehin nur Ausdruck von strukturellem Rassismus ist, die Eingliederung von Flüchtlingen und Migranten in die europäische Gesellschaft zu problematisieren, kann sich also getrost beide Bücher sparen.

Peinliche Fehler

Sarrazin liefert seinen Gegnern sogar selbst Argumente dafür, „Feindliche Übernahme“ nicht zu lesen. Seine fast 500 Seiten umfassende Abrechnung leistet sich bereits zu Beginn eine besondere Peinlichkeit. Im ersten Kapitel wird die Zahl der Suren des Korans, den der Autor „von der ersten bis zur letzten Zeile gelesen“ haben will und auf dem er seine gesamte Anklage gegen die Muslime aufbaut, falsch angegeben: 113 sind es laut Sarrazin – in Wahrheit jedoch 114. Aber dieser Lapsus ist bei aller Peinlichkeit auch wieder vernachlässigbar, jedenfalls im Vergleich zu einer ganzen Reihe weiterer Faktenfehler und dem obsessiven Bedürfnis, dem Gegenstand seiner Betrachtung nur das Schlechteste nachzusagen. Entsprechend gallig wurde das Buch nicht nur in der linken „taz“ und in der liberalen „Zeit“, sondern auch in konservativen Zeitungen wie der „FAZ“ oder der „Welt“ rezensiert.

Es wäre dennoch unsinnig, Sarrazin zu ignorieren. So wie seine Fans akzeptieren müssen, dass in „Feindliche Übernahme“ bei Weitem nicht alles stimmt, müssen seine Gegner nämlich damit zurechtkommen, dass dort auch bei Weitem nicht alles falsch ist. Um abzuschätzen, wo die Grenze zwischen unangenehmer Wahrheit und böswilliger Verzerrung verläuft, ist „Klartext zur Integration“ ein guter Referenzpunkt. Mansour – der als Person so ziemlich alle antimuslimischen Klischees von Sarrazin widerlegt – kommt darin ebenfalls zu kritischen Befunden. Zuwanderer aus islamischen Gesellschaften hätten teilweise immense Schwierigkeiten damit, die Werte der liberalen, demokratischen Gesellschaft anzunehmen und zu leben, konstatiert er beispielsweise.

Die Unterschiede zwischen den beiden Büchern sind dennoch substanziell: Wie beide an ihr gemeinsames Thema herangehen, lässt sich anhand von zwei Zitaten illustrieren. „Stets erlebte ich ihn als freundlich, sachlich und sozial engagiert“, heißt es auf Seite 323 von Sarrazins „Feindliche Übernahme“ über Kazim Erdoğan, einen Deutsch-Türken, den er offenkundig kennt. Allerdings sei evident, „dass es nur wenige Kazim Erdoğans und Millionen von Muslimen in Europa gibt“.

"Langer und schwieriger Prozess"

Integration sei im Wesentlichen die Bringschuld der Zugewanderten und ein „langer und schwieriger Prozess“, schreibt Mansour in „Klartext zur Integration“ auf Seite 33: „Sie ist aber möglich, sehr gut sogar. Ich darf das so klar sagen, weil ich täglich auch Menschen in diesem Land begegne, die anderen Menschen erfolgreich demokratische Werte, die deutsche Verfassung und was sie bedeutet, Empathie, Toleranz und Akzeptanz näher- und beibringen.“

Sarrazin kann zur Untermauerung seiner Thesen mehr oder minder ausschließlich Statistiken sowie Berichte aus zweiter Hand präsentieren, weil er es offenbar nach Möglichkeit vermieden hat, mit Muslimen in Kontakt zu treten. Mansour stützt sich hingegen auf persönliche Erfahrungen aus jahrelanger Coaching-Tätigkeit in Schulen, Gefängnissen und anderen Einrichtungen.

Sarrazin leitet jegliches Verhalten von Muslimen mit brachialer Simplizität aus dem Koran her und dekretiert, dass jemand, der in die islamische Glaubensgemeinschaft hineingeboren wird, für die demokratische Moderne verloren sei. Mansour beschreibt stattdessen patriarchal geprägte Gesellschaftsstrukturen, die sich religiöse Vorschriften nutzbar machen, um ihren Fortbestand zu sichern.

Glaubwürdigkeit durch Differenzierung

Sarrazin sieht im positiven Einzelfall die Ausnahme, welche die Regel des negativen Gesamten bestätigt. Mansour erblickt auch im negativen Beispiel eine Chance – zumindest jene, daraus zu lernen. Wo sich Sarrazin mit Verallgemeinerungen angreifbar macht, verschafft sich Mansour Glaubwürdigkeit durch Differenzierung.

Es sagt auch einiges, dass Sarrazin in „Feindliche Übernahme“ Mansour zwar mehrmals zitiert – allerdings so, dass man meinen könnte, dieser lasse ebenfalls an keiner Muslima und keinem Muslim ein gutes Haar.

Ist Mansour naiv? Und Sarrazin realistisch? Der Schluss, den Mansour aus seinen Erfahrungen zieht, ist nicht nur pessimistisch: „Warum soll das, was anderen Religionen – dem Katholizismus, dem Protestantismus, dem Judentum – durch Kritik und Reform von innen und außen in der großen Mehrheit gelungen ist, nicht auch im Islam gelingen? Warum erhalten wir dafür nicht Solidarität von den Progressiven im Land?“, fragt er in seinem Buch.

Ohne direkt gefragt worden zu sein, hat Sarrazin eine Antwort darauf parat: „Die Wahrscheinlichkeit, dass es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu einer breit angelegten Reform des Islam in Richtung Demokratie und Pluralität kommt, ist eher niedrig … Die Länder des Westens sollten sich in ihrer Einwanderungs- und Integrationspolitik entsprechend aufstellen, um daraus erwachsende Gefahren vorbeugend abzuwehren.“

Welche Antwort dem Publikum besser gefällt, ist eindeutig. Ende vergangener Woche stand „Feindliche Übernahme“ auf den wichtigsten Bestsellerlisten an erster Stelle, „Klartext zur Integration“ lag weit abgeschlagen dahinter.