Clintons Drama: Lieber einen mit Eiern!
Die Wahlparty war perfekt durchchoreografiert und mit Bedeutung aufgeladen. Im Javits-Kongresscenter in Manhattan, einem glitzernden Glaspalast, sollten Hillary-Fans auf Wahlergebnisse und 3722 Glasplatten schauen, Musik wie „Girl on Fire“ hören und den historischen Moment gebührend zelebrieren. „Die härteste Glasdecke ist nicht zerbrochen, aber sie hat 18 Millionen Sprünge.“ Diesen Satz hatte Hillary Clinton im Vorwahlkampf 2008 gesprochen, als sie 18 Millionen Stimmen bekommen hatte, aber Barack Obama eben deutlich mehr. Acht Jahre später sollte der Satz endlich vollendet werden und mit ihm der lange, zähe Kampf der Hillary Clinton: gläserne Decke durchbrochen, erste Frau an der Spitze der führenden Supermacht der Welt. Für ein paar anrührende Bilder reichte es dann doch an diesem denkwürdigen Wahltag am 8. November 2016: greise Frauen der Generation 100 plus, geboren vor der Einführung des Frauenwahlrechts im Jahr 1920, die sich mit Rollatoren in Wahllokale schleppten, getragen von der Hoffnung, die erste Frau im Oval Office noch mitzuerleben. Der Rest war Schock, Entsetzen, Unverständnis.
Es ist das Drama von Hillary Clinton, dass sich, frei nach Karl Marx, ihre Geschichte wiederholt, einmal als Tragödie, das zweite Mal als Farce
Gegen Barack Obama den Kürzeren zu ziehen, diesen umjubelten Menschenfischer und verklärten Hoffnungsträger, das ließ sich noch halbwegs mit Grandezza ertragen. Immerhin war auch Obama ein historisch „Erster“. Aber ausgerechnet gegen Donald Trump zu verlieren? Diesen vulgären Schreihals und brachialen Draufdrescher? Der viele verunglimpfte, vor allem Frauen, die „durch die Augen bluten oder wo auch immer sonst sie bluten“? Fraglos war selten ein Bewerber für das Weiße Haus so schlecht qualifiziert wie Trump – und kaum jemand in allen Politikfeldern derart haushoch überlegen wie Clinton.
Es ist das Drama von Hillary Clinton, dass sich, frei nach Karl Marx, ihre Geschichte wiederholt, einmal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. „Ich kandidiere, um zu gewinnen“, kündigte sie im Jänner 2007 an und startete mit einem komfortablen 20-Prozent-Vorsprung in den Vorwahlkampf der Demokraten. Mit anschwellendem Entsetzen musste sie erleben, dass Jungspund Obama über das Ende des Irakkriegs und die Versöhnung einer geteilten Nation sprach, also über dieselben Themen wie sie – nur dass es bei ihm klang wie Musik. Obama schillerte, glänzte, elektrisierte.
Damals, im Duell gegen Obama, wurden die Grundmuster für die Kampagne angelegt, die sich bei Trump gegen Clinton endgültig ins kollektive Bewusstsein einbrannten. Obama stand für: „Change“, Außenseiter, Newcomer, Hoffnung. Clinton hingegen für: System, Washington, Establishment, Wall Street, Krieg, Weiter-wie-bisher.
Über jene gewisse Leichtigkeit, die ein natürliches Showtalent ausmacht, verfügte sie nie
Schon als Studentin lehnte Clinton utopische Positionen ab, hielt sie gar für „Hirnwichserei“ und wollte pragmatisch nur Einlösbares versprechen: „Vielleicht bin ich zu alt und weiß zu genau, dass ein Präsident in Washington keinen Zauberstab hat.“ Das klingt sehr vernünftig – und wenig charismatisch. Über jene gewisse Leichtigkeit, die ein natürliches Showtalent ausmacht, verfügte sie nie. In einem raren Moment schonungsloser Offenherzigkeit sagte sie im Frühjahr: „I am no natural politician, falls Sie es noch nicht gemerkt haben – anders als mein Ehemann oder Präsident Obama.“ Clinton musste stets rackern, die Klügste, Bestvorbereitete, Fleißigste, Ausdauerndste, Hartnäckigste sein. So jemand kann Respekt einheimsen – aber selten heiße Herzen. Die flogen dem linken Wut-Opa Bernie Sanders zu, den Clinton nur mit höchster Kraftanstrengung bezwingen konnte. Und sie fehlten am Wahltag: Fast sieben Millionen demokratische Wähler blieben zu Hause.
Oder, brutaler ausgedrückt: Auf den Clinton-Satz „Ich bin das Letzte, was zwischen euch und der Apokalypse steht“ reagierten viele Wähler stoisch-achselzuckend mit: Na gut, dann halt die Apokalypse. Und wählten gar nicht oder die Knallcharge Trump.
Michael Moore, das Enfant terrible unter den Dokumentarfilmern, gehört zu den wenigen, die das vorhersagten und mit Einblicken in die Gedankenwelt des zornigen weißen Mannes begründeten: „Nachdem wir acht Jahre mitansehen mussten, wie uns ein Schwarzer rumkommandierte, sollen wir uns weitere acht Jahre von einer Frau rumschubsen lassen?“ Gediegener und wissenschaftlicher argumentierte Politologe Peter Beinhart im Magazin „The Atlantic Monthly“, dass Rassismus und Sexismus sich gegenseitig verstärken und 42 Prozent der Amerikaner klagen, die USA seien „zu weich und feminin“ geworden. Konsequenterweise lautete einer der Trump-Aufkleber „Finally Someone With Balls“, und das war noch einer seiner harmloseren Sprüche.
Für Frauen sind erst wenige Rollenbilder vorgesehen, wie die Typisierung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel zeigt
Diese „Eier“ müssen, politisch gesehen, keine Männerdomäne sein – nach gängiger Lesart hatte Margaret Thatcher durchaus welche, Obama hingegen eher nicht. Die Vorstellung, wie energische und durchsetzungsstarke Politiker auszusehen haben, ist gemeinhin von Testosteron-Schlachtrössern à la Gerhard Schröder geprägt. Für Frauen sind erst wenige Rollenbilder vorgesehen, wie die Typisierung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel zeigt: Sie kippte direkt von der Kategorisierung „Mädchen“ in die Zuschreibung „Mutti“ – beides klingt brav, arglos und lieb, aber nicht nach Macht, sondern nach rosa Kinderschuhen und altmodischen Hauspatschen. Muss niemand für ganz voll nehmen.
Merkel hat es trotzdem geschafft, die Britin Theresa May ebenfalls. Frauen in der ersten Reihe der Politik werden Teil der Normalität, es sind durchaus Fortschritte zu vermelden – auch zweifelhafte: Albernes Herummäkeln an Kleidung oder Frisur ist nicht mehr für Politikerinnen reserviert, auch bei männlichen Kollegen wird das Erscheinungsbild minutiös unter die Lupe genommen. Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer hatte seine weiße Radlerhose, Hillary Clinton ihr „Haargummi-Gate“ – das medial erteilte Pferdeschwanzverbot.
Wie einen lästigen Rucksack schleppte sie stets Skandale und Skandälchen mit
Clintons Problem lag nicht in der Suche nach einer passenden Rolle, sondern im Gegenteil davon: Sie hat in ihren Jahrzehnten in der Öffentlichkeit, mehr oder weniger freiwillig, zu viele verschiedene Rollen eingenommen, um in irgendeiner davon glaubwürdig zu wirken. Sie war „Goldwater Girl“, Unterstützerin des erzkonservativen Republikaners Barry Goldwater, dann Demokratin. Sie war selbstbewusste Erfolgsanwältin, die darauf bestand, nach ihrer Heirat weiterhin Hillary Rodham zu heißen. Nach der Abwahl ihres Ehemannes als Gouverneur von Arkansas verkündete sie: „Ich bin von jetzt an Mrs Bill Clinton.“ (Getreu der seltsamen amerikanischen Gewohnheit, sogar den Vornamen des Ehemannes anzunehmen.) Sie war nicht gewählte Ko-Präsidentin, die einen 1364 Seiten dicken Entwurf für eine Gesundheitsreform vorlegte – und sie war betrogene, gedemütigte Gattin. Erst nach dem Ausscheiden von Ehemann Bill Clinton aus dem Weißen Haus startete sie ihre eigene politische Karriere, als Senatorin, dann als Außenministerin. Wie einen lästigen Rucksack schleppte sie stets Skandale und Skandälchen mit: Whitewater, Immobilien- und Finanzgeschäfte, E-Mail-Affäre.
Nie war jemand unbeliebter als Hillary Clinton, die Amerikaner trauten ihr alles zu, vor allem das Schlechteste, und verfolgten sie mit erbittertem Hass. „Frauen brauchen eine Haut so dick wie ein Rhinozeros“, pflegte Clinton gerne Eleanor Roosevelt zu zitieren. Bei ihr war es eher ein Panzer, hinter dem die echte, authentische Clinton höchstens in Konturen zu erkennen war. Zu den vielen bitteren Erkenntnissen für Hillary gehört: Frauen wählen nicht automatisch Frauen. Clinton konnte bei schlecht gebildeten Frauen nicht punkten – und bei jungen Frauen kaum. Diesen Millennials erschien Hillary wie aus der Zeit gefallen. In der Tat leben Clinton, geboren 1947, und jüngere Frauen auf verschiedenen Planeten. Nichts hat sich in den vergangenen 50 Jahren derart dramatisch geändert wie die Geschlechterverhältnisse, wie etwa in der neuen US-Fernsehserie „Good Girls Revolt“ zu besichtigen ist, die 1970 in einer Zeitungsredaktion spielt: Frauen dürfen dort Kaffee kochen und tippen, aber keine Texte schreiben, und bei Sitzungen müssen sie artig vor der Tür warten. Das wirkt wie aus dem viktorianischen Zeitalter, ist aber erst wenige Jahrzehnte her. Damals nahm Hillary Rodham ihr Jusstudium in Yale auf – als eine von 27 Frauen unter 208 Männern, und selbst das galt schon als Fortschritt.
Frauen können alles – auch Kriege führen, korrupt oder extrem rechts sein, siehe Marine Le Pen oder Frauke Petry
In jener Zeit predigte manch Feministin noch die Heilslehre, dass die Welt besser werde, wenn Frauen an die Macht kämen. Das erwies sich als hanebüchener Humbug. Frauen können Kanzlerin oder Premierministerin sein, Chefin des Internationalen Währungsfonds oder der US-Notenbank. Frauen können alles – auch Kriege führen, korrupt oder extrem rechts sein, siehe Marine Le Pen oder Frauke Petry.
Nur US-Präsidentin sein können sie noch nicht. „Wir konnten die Glasdecke nicht zertrümmern“, sagte Clinton in ihrer wehmütigen Nachwahlrede. „Aber irgendwann wird es jemand tun, hoffentlich früher als später.“ Vielleicht. Hillary Clinton jedenfalls nicht.