Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev vor Flaggen der UN und Aserbaidschan bei der cop29
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Weltklimakonferenz in Aserbaidschan: Kritiker hinter Gittern

Vor der UN-Klimakonferenz in Baku wandern Journalisten und Oppositionelle ins Gefängnis. Wie Aserbaidschans Chef-Autokrat Ilham Aliyev seine Kritiker vor der cop29 mundtot machte.

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Journalist Ulvi Hasanli reckt noch ein letztes Mal seine Hand geformt zu einem Victory-Zeichen hoch, bevor er umringt von etwa einem Dutzend Polizisten in einen schwarzen Van gezwängt wird. Vergangenes Jahr verhafteten Leiter der Aufdecker-Webseite „Abzas Media" folgen bald seine Kollegen nach: Fast die ganze Redaktion, insgesamt sechs Personen, wandert ins Gefängnis. „Die Behörden haben unsere Redaktion in Aserbaidschan komplett geschlossen“, erzählt Leyla Mustafayeva, die „Abzas Media" als Übergangschefredakteurin seitdem aus dem Exil in Deutschland leitet.

Der Auslöser für die Verhaftungen, glaubt Mustafayeva, waren Recherchen von „Abzas Media", wonach Wiederaufbauprojekte im vergangenen Jahr militärisch eroberten Bergkarabach an Firmen, die führenden Politikern oder Blutsverwandten von Präsident Ilham Aliyev gehören, vergeben wurden. „Abzas war das einzige Medium, das dazu recherchiert hatte. Und es ist ein sehr heikles Thema“, sagt die Aufdeckerjournalistin zu profil.

Kritik unerwünscht

Eine Welle der Verhaftungen rollt im Jahr vor der UN-Klimakonferenz durch Aserbaidschan. Ihr Ziel: Journalisten, Regierungskritiker, Oppositionspolitiker aus dem nationalistischen und islamisch-konservativen Lager. Von über 40 neuen politischen Gefangenen seit Ende 2023 spricht der aserbaidschanische Journalist Nurlan Libre Gahramanli: „In den letzten eineinhalb Jahren wurden immer mehr bekannte Personen inhaftiert. Alle unabhängigen Journalisten sind aktuell im Gefängnis.“

Um ins Visier der Behörden zu geraten, reicht bereits der Kontakt zur falschen Person: Wie bei Farid Mehralizade, der als Journalist für das US-Staatsmedium „Radio Free Europe" (RFE) arbeitete, und als Wirtschaftsexperte wiederholt „Abzas Media" Interviews gab. Die Polizei verhaftet Mehralizade im Sommer wegen seinen Verbindungen zu „Abzas Media". „Farid Mehralizade arbeitet nicht für 'Abzas Media' und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe sind haltlos. Mit seiner Inhaftierung versucht man seine ehrliche Berichterstattung zum Schweigen zu bringen“, sagt Ilkin Mammadov, Programmchef von RFE in Aserbaidschan, gegenüber profil.

Porträt von Farid Mehralizade

Gegen "Abzas Media" laufen sieben Ermittlungsverfahren, darunter wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung. „Gerade der Vorwurf von Finanzverbrechen ist eine Strategie, um Journalisten einzuschüchtern und zu diskreditieren“, erklärt die Journalistin Ulviyya Ali, die über den Fall intensiv berichtet hatte. Weit verbreitet ist die Taktik bei Hausdurchsuchungen, entweder hohe Bargeldsummen oder Drogen zu deponieren um Strafverfahren zu fingieren. 

Das soll neben Haftstrafen oder Bußgeldern auch den journalistischen Ruf zerstören, erzählt Ali. „Journalisten, die noch auf freiem Fuß sind, werden darauf als Zeugen zu Verhören eingeladen“, erklärt sie. „Indirekt wird damit natürlich die Nachricht gesendet ‚Wenn du weiter so machst, wartet auf dich auch das Gefängnis‘.“ 

„Ich fühle mich wie Vieh im Schlachthaus.“

Eine Taktik, die Journalist Gahramanli nur zu gut kennt: Seit 2018 sei er unzählige Male verhaftet und verhört worden. „Jedes Mal, wenn ich festgehalten werde, bin ich es leid den banalen Ausführungen der Polizei zuzuhören zu müssen“, erzählt Gahramanli, der erst kürzlich aus dem Exil der Türkei zurückgekehrt ist. „Ich hatte es satt außerhalb des Landes leben zu müssen. Mein Kind ist vier Jahre alt, und es ist schwierig von ihm getrennt zu sein“, erzählt er. „Ich fühle mich wie Vieh im Schlachthaus.“

Gleich mehrere Freunde Gahramanlis sitzen im Gefängnis. Einer von ihnen: Der Wissenschaftler Bahruz Samadov, der an der Karls-Universität in Prag forschte und im Sommer festgenommen wurde. „Er ist jemand, der gerne über sein Wissen über aserbaidschanische Politik in den Neunzigern prahlt“, erzählt Cavid Aga, ein Bekannter von Samadov.

Der 29-Jährige sei auf einmal verschwunden, erzählt Gahramanli: „Bahruz kam nicht zu einem Treffen mit einem gemeinsamen Freund.“ Ihnen sei schnell klar geworden, dass er festgenommen wurde, erzählt Gahramanli. Dem Wissenschaftler wird Hochverrat vorgeworfen, weil er Austausch mit Armeniern suchte. Armenien gilt dank des Konflikts um die Region Bergkarabach als Erzfeind Aserbaidschans. „Sie nutzen wohl Chat-Unterhaltungen mit Armeniern für den Vorwurf, für Armenien spioniert zu haben“, glaubt Aga. Es droht eine lebenslange Haftstrafe.

Prestigeprojekt cop29

Der Durchschnittsaserbaidschaner konnte dieses Jahr der UN-Klimakonferenz cop29 medial nicht entkommen. So dominant war die Veranstaltung in den Regierungsmedien. Die sonst üblichen Herbstferien wurden von fünf auf 17 Tage verlängert. Aserbaidschanische Medien berichten über leergefegte Straßen. Sogar die Parlamentswahlen wurden vorgezogen, damit sie nicht das Mega-Event stören. Eines ist klar: Die UN-Klimakonferenz ist Thema Nummer Eins für die aserbaidschanische Regierung. Doch warum steckt man so viel Energie in die cop29?

Der Grund: Ein gewonnener Krieg. Aserbaidschan eroberte letztes Jahr die mit Armenien umstrittene Region Bergkarabach. Jedoch ohne deren Bevölkerung: Die dort lebenden 120.000 Karabach-Armenier flüchteten nach Jahren entmenschlichender Rhetorik aus Angst, von den Besatzern misshandelt oder getötet zu werden. Aserbaidschan möchte nun den Imageschäden, der durch die Vertreibungen entstanden ist, kaschieren. 

Doch auch Versuche die Wirtschaft des Kaukasuslandes, besonders im Tourismus, neu aufzustellen und sich als „internationaler Player" zu inszenieren, schwingen mit. Kritiker, wie die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, sprechen von „Greenwashing“, also dem Nutzen von Klimaschutz, um sein Image aufzupolieren.

Karabach-Armenier: „Fühlen uns verraten"

Die Karabach-Armenierin Narine zeigt ein Video her: Man sieht eine kleine Menschenmenge, die vor der aserbaidschanischen Botschaft in Armeniens Hauptstadt Jerewan protestiert. Neben Narine ist auch Greta Thunberg, die für die Protestaktion angereist ist, vor Ort. „Aserbaidschan hat Blut an den Händen“, sagt die Schwedin. Verbittert und frustriert sei man auf der Demo gewesen, erzählt Narine. „Jeder, der an dieser Konferenz teilnimmt, lenkt von dem menschlichen und ökologischen Schaden ab, den Aserbaidschan angerichtet hat“, sagt sie.

„Verraten“ fühlt sich auch der Karabach-Armenier Saro: „Euch sind die Menschen, die vom Gastland betroffen sind, egal. Ihr biedert euch einer Petro-Diktatur an.“ Der in Armenien lebende Flüchtling ist resigniert. Kritische Wortmeldungen am Rande der cop29 erwartet er nicht.

Österreich: Kein Treffen mit Regimegegnern

Wie stehen Österreichs Vertretern auf der cop29 dazu? Gibt man einer Diktatur eine Chance sich zu profilieren? Nein, heißt es vom Umweltministerium von Leonore Gewessler, das mit einer Delegation von zirka 30 Personen in Baku vertreten ist. „Wer von Klimakonferenzen fernbleibt, erweist dem Kampf gegen die größte Herausforderung unserer Zeit einen Bärendienst“, heißt es in einer Stellungnahme. Man argumentiert, ein Boykott Österreichs verändere an der Menschenrechtslage sowieso nichts, schade aber potenziell dem Versuch, international Klimapolitik durchzusetzen.

Umweltministerin Leonore Gewessler vor einer EU- und Österreichflagge

Doch wird sich Umweltministerin Gewessler, die für die zweite Woche der cop29 erwartet wird, mit Kritikern des aserbaidschanischen Regimes treffen? Einige EU-Abgeordnete, darunter auch die Grüne Lena Schilling, forderten am ersten Tag der Weltklimakonferenz verhaftete Oppositionelle sprechen zu können. Leonore Gewessler werde „keine Termine abseits der Klimakonferenz wahrnehmen“, heißt es aus dem Ministerium.

Auch die NGO Greenpeace, die ebenfalls 30 Personen auf die Konferenz schickt, will sich nicht um Treffen mit Regierungsgegnern bemühen, so die Umweltorganisation gegenüber profil. Man verweist auf Menschenrechtsorganisationen mit dem „nötigen Fachwissen und den Fähigkeiten, sich für diese ebenso wichtigen und komplizierten Themen einzusetzen“, so Greenpeace in einem Statement.
 

Raphael  Bossniak

Raphael Bossniak

seit November 2024 Volontär im Digitalteam und im Ausland-Ressort.