Corona-Maßnahmen: Was falsch gelaufen ist
Großbritannien
Boris Johnson hat seit Beginn der Corona-Pandemie einiges bereut: etwa die Krise in den Altenheimen, in denen das Virus lange Zeit ungebremst wütete, oder die Schließung von Volksschulen während der ersten Welle. Aktuell tut es dem konservativen Regierungschef leid, sein Land im März 2020 nicht früher in den Lockdown geschickt zu haben.
Es ist einiges schiefgelaufen im Vereinigten Königreich. In keinem großen Industrieland ist die Todesrate höher, mehr als 126.000 Menschen sind mittlerweile an den Folgen einer Erkrankung mit Covid-19 gestorben.
Nun mehren sich die Rufe nach einer unabhängigen Untersuchung über das Corona-Management der Regierung. Laut einer Umfrage des britischen „Guardian“ sprechen sich 47 Prozent der Befragten dafür aus. Sie wollen etwa wissen, wie gut die Regierung auf die Pandemie vorbereitet war und wie sinnvoll Zeitpunkt und Strategie der Lockdowns waren. Doch die Regierung winkt ab: Jetzt sei nicht der richtige Zeitpunkt dafür, heißt es dazu aus der Downing Street.
Frankreich
Der Sondergerichtshof in Frankreich sieht das offenbar anders. Er ermittelt bereits seit vergangenem Juli zum Corona-Krisenmanagement der Regierung. Der „Cour de Justice de la République“ ist das einzige Gericht, das Regierungsmitgliedern für ihr Handeln im Amt den Prozess machen kann. Lediglich Staatschef Emmanuel Macron genießt Immunität.
Auch die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen eingeleitet – unter anderem wegen „fahrlässiger Tötung“ und „vorsätzlicher Unterlassung der Bekämpfung einer Katastrophe“. Im Oktober durchsuchte die Polizei die Wohnungen mehrerer hochrangiger Politiker, darunter Ex-Premier Édouard Philippe und Gesundheitsminister Olivier Véran. Die Beamten suchten nach Beweisen für eine mögliche Fahrlässigkeit in der Krise und beschlagnahmten Computer und Festplatten.
Zuvor hatten Ärzte, Covid-19-Patienten und Pflegekräfte eine Rekordzahl von 90 Beschwerden bei dem Gericht eingereicht. Es habe zu wenig Schutzausrüstung gegeben, so einer der Vorwürfe. Wenige Stunden nach der Bekanntgabe der Ermittlungen trat Philippe zurück. Im Fall einer Verurteilung wegen Versagens im Kampf gegen die Krise drohen ihm bis zu zwei Jahre Haft.
Spanien
Auch im schwer von der Pandemie getroffenen Spanien sind zahlreiche Anzeigen gegen die Regierung eingegangen. Der Vorwurf: „fahrlässige Tötung“. Laut der Online-Zeitung „Público“ hat die Staatsanwaltschaft seit März 2020 mehr als 440 Strafverfahren wegen Todesfällen von Pflegeheimbewohnern eröffnet.
Italien
Auch in Italien klagten 500 Familien von Corona-Opfern gegen Spitzenpolitiker der Lombardei. Im norditalienischen Bergamo wütete das Coronavirus lange ungebremst. Die Leichenhallen waren überfüllt, die Toten wurden unter internationalem Aufsehen in Militärkonvois aus der Stadt gebracht. Der Verein „Noi Denunceremo“ (Wir klagen an) wirft den Behörden Fahrlässigkeit im Kampf gegen das Virus vor. Die Angehörigen wollen wissen, warum Italien zu Beginn der Krise keinen aktualisierten Pandemieplan hatte und wieso das Gesundheitssystem der Lombardei dermaßen versagt hat.
Österreich
Hier ist man nicht so weit, zumindest noch nicht. Zwar gibt es einen „kleinen U-Ausschuss“ zu den Beschaffungen im Zuge der Pandemie (Masken, Tests, Impfstoff), doch der schließt die Maßnahmen der Regierung nicht mit ein.
Dabei wäre es der Opposition durchaus ein Anliegen, das türkis-grüne Krisenmanagement umfassend zu untersuchen. Rechtswidrige Verordnungen, zu wenige Gratis-Wohnzimmer-Tests, Impfchaos – „das ist eine einzige Pleiten-, Pech- und Pannenshow“, sagt SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher gegenüber profil. Nur: Die Opposition kann derzeit keinen Untersuchungsausschuss einsetzen, weil mit jenem zum Ibiza-Skandal bereits einer läuft. Für einen zweiten U-Ausschuss bräuchte es die Stimmen der Regierungsfraktionen – und die haben naturgemäß erhebliche Vorbehalte, gegen sich selbst zu ermitteln.