US-Wahl

Cybercrime-Experte Klimburg: „Geistige Landesverteidigung muss Topagenda sein“

Russische Trollfarmen, manipulierte Algorithmen und Influencer als „nützliche Idioten“ von Geheimdiensten. Der Cybercrime-Experte Alexander Klimburg über die vielen digitalen Fronten des US-Wahlkampfs.

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Das Attentat gegen Trump ist eine Zäsur und hat den Intensivwahlkampf eingeläutet. Polemische Frage: Was hätte ihm Besseres passieren können? Das Internet ist voll mit heroischen Bildern.
Klimburg
Die Bilder sind fast überheroisch – vor allem für Amerikaner. Es gibt einige bemerkenswerte Fotos, aber eines erinnert frappant an eine der wohl berühmtesten Kriegsfotografien überhaupt, aus der auch ein viel besuchtes Denkmal in Washington DC wurde – das Flaggenhissen über Iwo Jima. Es entstand gegen Ende des Zweiten Weltkrieges im Rahmen des Pazifikkrieges zwischen den Streitkräften Japans und der USA und zeigt sechs Soldaten, die eine US-Flagge aufstellen. So wie Trump die Hand nach oben streckt, wie ihn seine Securities umgeben, der Kontrast zum Blauen Himmel, es ist fast eine Persiflage auf diese Fotografie und ein irrsinnig starkes, einprägsames Bild. Aber der Effekt dieser Bilder wird vielleicht trotzdem nicht so stark sein, wie man in den ersten 48 Stunden vermutete.
Viele glauben, dass Trump deswegen die Wahl gewinnen wird. Sie nicht?
Klimburg
Die erste Reaktion vieler Demokraten nach diesem Attentat war „We are done“. Nach der Aufregung gibt es aber doch Umfragen, die zeigen, dass sein Vorsprung kaum gewachsen ist: Ja, für viele Republikaner ist Trump jetzt ein Held, einer, der von Gott beschützt wird. Aber die hätten ihn vorher auch gewählt. Und ja, die Demokraten haben Probleme, aber das hat mit den jüngsten Ereignissen nur wenig zu tun. Es wird sich in den nächsten Wochen hier viel tun, wahrscheinlich können wir erst in vier Wochen sagen, ob dieser Effekt nachhaltig sein wird.

Die erste Reaktion vieler Demokraten nach diesem Attentat war „We are done“. 

Alexander Klimburg

zu den ersten Reaktionen nach dem Trump-Attentat

Es dauerte nach dem Attentat gefühlt nur Sekunden oder Minuten bis Social Media von den Bildern überschwemmt war – es ging irrsinnig schnell. Es kursieren Theorien, dass das gesteuert war. Gibt es darauf Hinweise?
Klimburg
Wir sind mitten im Wahlkampf. Das war einfach die weltweite Schlagzeile. Twitter (X), die wohl größte politische Plattform, hat ihren Algorithmus Ende letzten Jahres geändert. Jetzt werden prinzipiell öfter Tweets vorgeschlagen, die zu Diskussionen anregen sollen – ob sie es schaffen ist eine andere Frage. Laut einem Buch der Journalistin Zoe Schiffer war Elon Musk persönlich gekränkt, als einer seiner Tweets zu einem Football-Spiel weniger Interesse erregte als ein ähnlicher von Joe Biden, und hat diesbezüglich den Twitter-Algorithmus ändern lassen, um auch kürzeren Nachrichten von „gewichtigen“ Accounts mehr Platz einzuräumen. Das Attentat wurde von wichtigen Accounts ausführlich diskutiert, das reichte, um die Nachrichten zu dominieren.
Es sind aber auch sofort einen Haufen Verschwörungstheorien verbreitet worden. Wo kommen die eigentlich her?
Klimburg
Das hat durchaus mit den neuen Regeln von Twitter unter Elon Musk zu tun hat. Bevor er die Plattform übernahm, wurden Accounts, die für Fake News und Desinformation standen, im Algorithmus herabgestuft oder geblockt. Das hat Musk abgestellt – er behauptete, dass Inhalte bevorzugt worden wären, die den Demokraten zugute kommen. Das stimmt aber einfach nicht: Diese Accounts haben nur vielfach gegen Regeln verstoßen, die Twitter hatte, um gegen offensichtliche Falschinfos und Fake Accounts vorzugehen. Mit einem hat Musk aber Recht: Rechte Wähler interessieren sich viel stärker für Desinformation als Linke, das weiß man auch aus der Forschung. Somit gibt es auch eine veritable Industrie, die diesen Markt bedient und dabei gut verdient – der berühmte Verschwörungstheoretiker Alex Jones ist nur ein Beispiel von vielen. Das Problem ist, dass viel Desinformation direkt von namhaften Politikern verbreitet wird. Manchmal werden dabei Quellen zitiert, die ganz klar komplett falsche Webseiten erfinden. Die russische „Doppelgänger“-Kampagne hat zum Beispiel online Artikel von namhaften Medien wie „Spiegel“ oder „The Guardian“ zum Ukrainekrieg gefälscht und verbreitet. Die Meldungen wurden dann auch von bekannten Republikanern zitiert.

Zur Person

Alexander Klimburg ist Senior Fellow am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien. Der Politikwissenschaftler und ehemalige Führungskraft des World Economic Forum berät internationale Organisationen und Regierungen zum Thema Cybersicherheit und forschte unter anderem an der Harvard-Universität und verschiedenen amerikanischen europäischen Think-Tanks. Er ist Autor mehrerer Publikationen, darunter das Buch „The Darkening Web: The War for Cyberspace“. 

Sie haben den Trump-Wahlkampf im Jahr 2016 vielfach auf russische Einflussnahme analysiert und erforscht. Was hat man damals gesehen?
Klimburg
Die russischen Geheimdienste waren hier höchst aktiv, sie haben durch „Hack and Leak“ Operationen viel Aufmerksamkeit gesteuert. Dazu hat Yevgeny Prigozhin, der ehemalige Chef der russischen Wagner-Gruppe und langjährige Putin-Vertraute, damals ganz intensiv angefangen, eine große Trollarmee in St. Petersburg aufzubauen: die Internet Research Agency. Im Jahr 2016 haben sie massiv versucht, Donald Trump als Kandidaten zu pushen. Aber mindestens so wichtig waren die Versuche, demokratische Wähler zu demotivieren. Etwa, indem man sich auf die „Black Lives Matter“-Bewegung setzte und verbreitete, was die Demokraten alles zu wenig für diese Gruppen getan hätten. Da gab es dann unterschiedliche Spielweisen und Narrative.
Waren es immer nur staatliche Stellen, die so etwas betrieben?
Klimburg
Nein, es ist ein ganzes Ökosystem involviert, und dabei spielte Geld von Anfang an eine wichtige Rolle. Es gab 2016 den berühmten Fall, wo die kleine nordmazedonische Stadt Veles eine Mini-Trollfarm stellte. Oft waren es Teenager, die gezielt Fake News für die republikanische Bubble verkauften und dabei sehr gut mit Werbeschaltungen verdienten. Heute ist sehr viel automatisiert, und es gibt kleine Firmen die problemlos mit ihren Fake Accounts als wichtiger Verstärker für Online-Auftritte verwendet werden können – übrigens nicht nur für Politiker. Auch im Onlinehandel läuft einiges mit Fake-Reviews.

Ikonisches Attentatbild

"Es gibt einige bemerkenswerte Fotos, aber eines erinnert frappant an eine der wohl berühmtesten Kriegsfotografien überhaupt, aus der auch ein viel besuchtes Denkmal in Washington DC wurde – das Flaggenhissen über Iwo Jima", analysiert Klimburg.

Und was sieht man davon, was es schon 2016 gegeben hat, jetzt in diesem Wahlkampf?
KIimburg
Prinzipiell sieht man – nicht nur in diesem Wahlkampf – dass sich die Strategien der Desinformation gewandelt haben. Man setzt jetzt viel weniger auf frei erfundene Narrative, sondern nimmt die vorhandenen und versucht sie zu verstärken. Dabei kann man eine historische Entwicklung beobachten. Mit der Operation „Denver“ hat der KGB in den 1980er-Jahren versucht, das HIV-Virus als ein Projekt der US-Army zu verkaufen. Dafür haben sie viel Geld in den Hand genommen. Im US-Wahljahr 2016 war es wichtiger, eine Vielzahl von kleinen Narrativen zu pushen, die zusammen eine „demotivierende“ Wirkung hatten. Heute wird selten – abgesehen von der zur Zeit laufenden Operation „Doppelgänger“ – etwas komplett Neues erfunden. Dazu steuert das Ökosystem ohnehin genug Rohmaterial bei. Aber es wird weiterhin im großen Stil „Message Amplifcation“ betrieben. Manchmal sind das Bots, manchmal große Telegram- und WhatsApp-Gruppen oder Troll-Farmen, manchmal auch die Kooptierung von Möchtegern-„Influencern“ auf Youtube und TikTok.
Also geht es um Masse…
Klimburg
Darum geht es immer, wenn man auf Social Media im Algorithmus vorne gereiht werden möchte. Die Chinesen haben seit mehr als zehn Jahren die „50 Cent Armee“. Das sind Personen, die zu Hause sitzen und für jeden Post bezahlt werden – und wahrscheinlich sind es mehr als eine Million Menschen, die da mitmachen. Sie werden hauptsächlich für Ablenkung bezahlt – wenn eine dem Regime unangenehme Diskussionen zu Politik aufflammt, dann wird diese Armee aktiviert. Dann reden zum Beispiel plötzlich alle über das Wetter. In letzter Zeit aber häufen sich die Indizien, dass auch die Armee verwendet wird, um aggressiv gegen Regimekritiker vorzugehen.

 

Prinzipiell sieht man – nicht nur in diesem Wahlkampf – dass sich die Strategien der Desinformation gewandelt haben.

Alexander Klimburg

erforschte den Trump-Wahlkampf 2016

Sind Influencer auch Ziele von Geheimdiensten, versucht man, die umzudrehen?
Klimburg
Ja, manche sind definitiv Ziele. Und ein paar werden womöglich sogar bezahlt. Aber viele im rechten Spektrum sind tatsächlich einfach ideologisch anti-liberal, oder Opportunisten, die glauben, alleine zu Geld und Macht zu kommen. Hier trifft der altbekannte KGB-Begriff des „nützlichen Idioten“ wahrscheinlich zu.

Nun hat man im Trump-Wahlkampf 2016 gesehen, was passieren kann – hat man daraus etwas gelernt und für dieses Mal vorgebaut?Viel zu wenig. Man versucht, ein wenig mit außenpolitischer Abschreckung dagegen anzukämpfen – aber seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs ist die Eskalationsschraube fast bis zum Maximum aufgedreht worden. Es gibt auch immer wieder Versuche, mit Regulierungen dagegenzuwirken – das Digital Service Act der EU ist ein positives Beispiel. Dennoch müssen wir in Europa und noch mehr in den USA viel mehr in Resilienz investieren.

Wie macht man das?
Klimburg
In Österreich gibt es immer noch die sogenannte „geistige Landesverteidigung“ – ein Werkzeug des Kalten Krieges, das hier nochmals gut überlegt und eingesetzt werden könnte. Unabdingbar ist ein starkes und unabhängiger ORF – hier muss noch einiges passieren, um die Politik zurückzudrängen, auch um das Vertrauen der Bevölkerung zu sichern. Gleichzeitig muss wohl die Medienförderung stark ausgebaut und reformiert werden. Man hat hierzulande – und auch in anderen westlichen Staaten – durchaus noch qualitativ hochwertige Medienmarken, die großes Vertrauen genießen. Sie leiden aber unter wirtschaftlicher Perforierung und haben Ressourcenprobleme, um sich so zu wandeln, dass sie attraktiv mit Riesen wie Instagram, Twitter oder Tiktok mithalten oder dort mitspielen können. Darum muss diese geistige Landesverteidigung wieder unsere Topagenda sein. Dazu gehört, eine ordentliche Medienförderung mit einer wirklich unabhängigen Medienbehörde aufzubauen. Was derzeit im Geldtopf für Förderung von Medien ist, ist viel zu wenig und müsste ordentlich aufgestockt werden. Und natürlich die Frage Bildung – politisch aber auch medial – muss viel stärker angepackt werden. Politisch ist das freilich nicht besonders sexy: Resilienz aufzubauen, das dauert – es braucht langfristige Strategien, das dauert schon einmal zehn Jahre. Politische Entscheidungen zu treffen, die erst in der nächsten Legislaturperiode spürbar werden, ist leider aber auch in andere Themenbereiche schwierig.
Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.