Seinen Anfang nahm dieses Ende ein Jahr zuvor mit einem Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts. Dieses erklärte Teile des Bundeshaushalts für verfassungswidrig, womit rund 60 Milliarden Euro plötzlich nicht mehr darzustellen waren. Den Koalitionären ging damit der finanzielle Puffer aus, mit dem politische Differenzen abgefedert werden könnten. Dazu kommen serienweise Wahlniederlagen. Aus Partnern werden Konkurrenten, das gegenseitige Vertrauen schwindet drastisch.
Schon am 3. Juli soll Scholz vor den grünen Regierungsmitgliedern Robert Habeck, Annalena Baerbock und den Partei- und Fraktionsspitzen von SPD und Grünen überlegt haben, den Haushaltsabschluss 2025 mit der Vertrauensfrage im Parlament zu verknüpfen. Zwei Tage später einigen sich Scholz und Finanzminister Lindner doch noch auf einen Haushaltsentwurf – bis die Einigung Ende November wieder infrage gestellt wird, diesmal auf offener Bühne.
Am Sonntagabend, dem 3. November, sind Scholz und Lindner zum Abendessen in Scholz’ Wohnung im achten Stock des Kanzleramts verabredet. Dort besprechen sie Lindners Provokation vom Donnerstag davor, als er ein „Konzept für Wachstum und Generationengerechtigkeit“ verschickte, dessen Forderungen quer gegen die Koalitionsvereinbarungen stehen. Bei dem Abendessen legt Lindner Scholz nahe, gemeinsam Neuwahlen anzustreben und dies als großen Neubeginn darzustellen. Im aktuellen Haushaltsstreit bleibt er bei seiner Ablehnung zusätzlicher Schulden.
Am Montag wird ab 12.15 Uhr in der sogenannten Neunerrunde rund um Scholz, Habeck und Lindner weiter um den Haushalt gerungen, am Dienstag folgt von 8 bis 10 Uhr eine weitere Krisensitzung in gleicher Besetzung, wieder ergebnislos.
Am frühen Vormittag des 6. November wird klar, dass Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten gewählt worden ist. Im Kanzleramt sitzen Scholz, Lindner und Habeck zusammen, Scholz legt einen neuen Vorschlag auf den Tisch: einen sogenannten Überschreitungsbeschluss, mit dem zwölf Milliarden Euro an Ukraine-Hilfen aus dem regulären Budget herausgerechnet werden könnten. Bei den Grünen, die den Zoff zwischen SPD und FDP schon länger als Beifahrer beobachten, herrscht zu diesem Zeitpunkt noch die Ansicht, dass Lindner angesichts des Trump-Erfolgs wohl zu Staatsräson und Stabilität finden werde.
Ab 18 Uhr geht es in den letzten Akt, den Koalitionsausschuss. Scholz spricht über seinen Vorschlag, Lindner berichtet von dem vertraulichen Abendessen am Sonntag und seiner Idee, gemeinsam Neuwahlen anzustreben. FDP-Fraktionschef Christian Dürr ergreift das Wort und geht zur Tagesordnung über, Lindner setzt nach: „Christian, ich habe hier doch gerade etwas Dramatisches gesagt!“ Die Sitzung wird auf Bitte der FDP unterbrochen, wenig später, um 20.03 Uhr, vermeldet die „Bild“-Zeitung (die schon in den Tagen davor immer wieder quasi live aus den Gremien berichtet hat), Lindner habe Scholz soeben Neuwahlen vorgeschlagen, der Kanzler diesen Plan aber verworfen.
Im Kanzleramt ist nun jegliches Vertrauen dahin, Scholz meldet sich – noch immer in der Sitzungspause – telefonisch bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und informiert diesen vorab, dass er Lindner entlassen werde. Um halb neun kommt man noch einmal zusammen, Scholz sagt seinen Satz.
Um 21.21 Uhr tritt zunächst Scholz dann vor die Kameras und liest vom Teleprompter eine regelrechte Wutrede ab: „Zu oft hat Bundesminister Lindner Gesetze sachfremd blockiert. Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.“ Auch Lindner meldet sich zu Wort und wirft dem Kanzler vor, dass dessen offenbar gut vorbereitete Ansprache wohl zeige, dass der Kanzler den Koalitionsbruch mit Anlauf genommen habe. Scholz konterte, es habe halt drei Versionen der Rede gegeben, eine für jeden möglichen Ausgang der entscheidenden Sitzung. Ein paar Tage später wird Lindner in Erklärungsnotstand geraten, als bekannt wird, dass sich das Generalsekretariat der FDP schon seit September akribisch auf den Koalitionsbruch („D-Day“) vorbereitet, ja diesen bewusst provoziert hatte.
Auch Robert Habeck sagt an diesem Mittwochabend noch etwas. In einem kurzen Statement vor dem Kanzleramt spricht er wohl allen Beteiligten aus der Seele, indem er betont, „dass sich das heute Abend falsch und nicht richtig anfühlt“.