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Vatikan

Der neue Papst: Wie aus Bob Leo XIV. wurde

Der neue Papst ist der Sohn von Einwanderern. Im streng konservativen Milieu werden Vorwürfe gegen ihn erhoben.

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Donnerstag, 18.05 Uhr. Im vierten Wahlgang stieg weißer Rauch aus dem Schornstein auf dem Dach der Sixtinischen Kapelle auf. Rund 40.000 Menschen auf dem Petersplatz in Rom brachen in Jubel aus. Zahllose Handys wurden in die Höhe gereckt, um den weißen Rauch zu fotografieren und zu filmen. Eine ausgelassene Stimmung wie bei einem Pop-Konzert. Die Glocken von Sankt Peter läuteten zu diesem Ausbruch der Freude mit voller Kraft.

Nur vier Wahlgänge waren nötig gewesen, wie im Jahr 2005 bei der Wahl von Joseph Ratzinger. Und vier Möwen. Eine Möwenfamilie, Eltern und zwei Kleine, umkreisen den Schornstein. Der sieben Minuten lang aufsteigende Rauch schien sie anfangs nicht zu stören. Doch der Jubel vor dem Petersdom schwoll so sehr an, dass die Möwenfamilie schließlich das Weite suchte.

Sämtliche Anwesende fragten sich, wer auf den Balkon treten werde. Rund 5.000 Journalisten aus aller Welt warteten mit Spannung darauf, dass sich die hohen Türen der Benediktionsloggia öffnen und der Name des 267. Papstes der römisch-katholischen Kirche verkündet wird.

Doch Gläubige, Pilger, Touristen und die internationale Presse mussten warten. Bevor es auf die Benediktionsloggia ging, betrat der neue Papst wie vorgesehen die „Stanza delle lacrime“, den Raum der Tränen.

Im Raum der Tränen

Ein kleiner Raum direkt bei der Sixtinischen Kapelle, in dem der Nachfolger Petri eingekleidet wurde. Bei diesem Vorgang zeigten sich in der Vergangenheit frisch gewählte Päpste so ergriffen, dass sie weinten. Zur Einkleidung standen auch dieses Mal drei weiße Gewänder zur Auswahl. Drei Kleidergrößen, da man ja nicht weiß, wie der Neue gebaut ist. Anschließend präsentierte sich der neue Papst den übrigen 132 Kardinälen, die ihm Gehorsam schworen. Erst dann ging es feierlichen Schrittes zur Benediktionsloggia.

Bevor der Name verkündet wurde, zog die vatikanische Blaskapelle auf den Petersplatz, gefolgt von Schweizer Gardisten. Die Stimmung wurde noch ausgelassener. Die Kapelle spielte die vatikanische Hymne. Viele der Anwesenden sangen lautstark mit. Es folgte ein langer und lauter Applaus. Die Spannung auf der Piazza war intensiv zu spüren.

Ebenfalls vor der Verkündigung des Namens wurde durch britische Bookmaker bekannt, dass der Italiener Pietro Parolin, der ehemalige Kardinalstaatssekretär von Franziskus, als „neuer Papst“ gehandelt wurde. Parolin, der von Anfang an als aussichtsreichster „papabile“ galt, als möglicher Papstnachfolger. Auch Italiens Medienvertreter, normalerweise gut informiert, flüsterten einander den Namen „Parolin“ zu.

Noch blieb die Tür zur Benediktionsloggia verschlossen. Die Spannung stieg. Auch Schwester Raffaella Petrini zeigte sich nervös. Die Ordensfrau wartete auf dem Petersplatz auf die Verkündung des Namens. Sie ist keine x-beliebige Nonne, Petrini wurde von Papst Franziskus zur ersten Frau der katholischen Kirche ernannt, die die Rolle des Präsidenten der Regierung des Kirchenstaats einnimmt. Keine einflussreiche Rolle, aber doch ein extrem ungewöhnlicher Akt in einem Staat, in dem bis dahin nur Männer Regierungsaufgaben erfüllten.

19.12 Uhr: die Tür öffnete sich. Kardinal Protodiakon Dominique Mamberti erschien, der Applaus erreichte einen Höhepunkt, und dann fielen die entscheidenden Worte: „Habemus Papam“. Das Rennen machte nicht der favorisierte Italiener, sondern Robert Francis Prevost. Ein US-Amerikaner. Er gab sich den Namen Leo XIV.

Die ersten Worte waren dem Frieden gewidmet

Noch einmal ertönte die Vatikanhymne, und dann zeigte sich ein Papst, der seine Gefühle nur schwer verbergen konnte. Er schien Tränen in den Augen zu haben. Ein Papst, der fließend Italienisch spricht. Seine ersten Worte waren dem Frieden gewidmet; Frieden in den Familien, wie auch auf dem gesamten Globus. Ein Programm für sein Pontifikat?

Prevost war keiner der „papabiles“ gewesen. Umso größer war die Überraschung. Prevost, 69 Jahre, geboren am 14. September 1955 in Chicago, ist zwar Nordamerikaner, aber kein Papst, der US-Präsident Donald Trump gefallen wird. Im Gegenteil.

Leo XIV. kommt aus einer Einwandererfamilie. Sein Vater hat italienische und französische Ursprünge, die Familie der Mutter stammt aus Spanien. Der ursprüngliche Augustinermönch absolvierte sein Universitätsdiplom in Mathematik und Philosophie in Philadelphia.

Er wurde ein Mann der Mission und der Idee einer weltoffenen Kirche. 1985 zog Prevost als Missionar nach Peru. 1987 schrieb er in Rom seine Doktorarbeit zum kanonischen Recht und zur Theologie des Heiligen Augustinus. Ein Jahr später kehrte Prevost nach Peru zurück, wo er Direktor des Augustinerseminars wurde. Ein Mann des Volkes und gleichzeitig ein Intellektueller, unterrichtete er an verschiedenen Diözesanseminaren. 1999 kehrte er nach Chicago zurück. 2001 ernannte ihn seine Kirche zum Generalprior seines dortigen Ordens.

Karrieresprung

2015 vollzog er den entscheidenden Karrieresprung. Papst Franziskus ernannte ihn zum apostolischen Verwalter von Chicago und zum Bischof. 2019 wurde er Mitglied der römischen Klerus-Kongregation und ein Jahr später auch der Kongregation der Bischöfe. Damit war sein Weg vorherbestimmt.

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2023 machte Franziskus den US-Amerikaner zum Präfekten der Bischofs-Kongregation und zum Präsidenten der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika. Im gleichen Jahr wurde er von Papst Franziskus zum Kardinal ernannt.

Aus gutem Grund machte Franziskus den US-Amerikaner bald zu einem seiner engsten Mitarbeiter. Gilt Prevost doch als Mann der Verständigung, als Kenner Südamerikas und als Experte der römischen Kirchenverwaltung.

Unbestritten ist Leo XIV. kein Franziskus II. Die Kardinäle werden ihn wohl gewählt haben, um zum einen bestimmte Reformen, die Franziskus anstieß, fortzuführen, und zum anderen der Kurie zu neuem Einfluss zu verhelfen. Und das war nur möglich mit einem Kardinal, der sich in der Kirchenverwaltung gut auskennt.

Leo XIV. repräsentiert keinesfalls den primär konservativen US-Klerus, der in Papst Franziskus einen Linken und Einwanderungsfreund sah.

Öffnung der Kirche zur Welt

Während Benedikt XVI. die römische Kurie, die Zentralverwaltung der Kirche, arbeiten ließ, versuchte Franziskus – oft vergeblich – dieses Organ zu umgehen. Mit Leo XIV. hoffen viele Kardinäle sicherlich, die von Franziskus angestoßene Öffnung der Kirche zur Welt fortzuführen, und zwar auf vielen Gebieten: in puncto anderer Religionen, der Rolle geschiedener und gleichgeschlechtlicher Gläubiger, der Initiativen in Sachen Frieden, der Annäherung an Asien, der Beziehungen zu China und weiterer Themen. Immer aber mit Blick auf eine erhoffte engere Zusammenarbeit mit der Kurie – und ohne kirchenpolitische Alleingänge wie unter Franziskus.

Vorwürfe

„Bob“, wie Prevost von Freunden genannt wird, ist in den vergangenen Jahren von konservativer Seite heftig angegriffen worden. Nicht nur wegen seiner Ideen in Sachen Einwanderung. So veröffentlichte etwa die spanische Website Infovaticana.com ein Dossier, in dem ihm vorgeworfen wird, Fälle von sexuellem Missbrauch vertuscht zu haben.

Die Anschuldigungen wurden auch von der Zeitung „La Nuova Bussola Quotidiana“, einem Organ des konservativsten Milieus, aufgegriffen. In einem in dieser Zeitung erschienenen Artikel wurde ein Brief von drei Frauen veröffentlicht, die Prevost beschuldigen, zwischen 2006 und 2010 die Fälle von zwei der Pädophilie beschuldigten Priestern vertuscht zu haben. Diese Anschuldigungen konnten jedoch nie bewiesen werden.

Ein aktuelles Dossier von März 2025 betrifft einen weiteren für den neuen Papst peinlichen Brief. Darin wirft der Präsident des „Survivors Network of those Abused by Priests“, ein Netzwerk von Missbrauchsopfern, Kardinal Prevost vor, „zivil- und kanonische, administrative oder strafrechtliche Untersuchungen gegen Priester der Diözese Chicago zu behindern oder zu vermeiden“.

Starker Tobak gegen den neuen Papst. Vorwürfe, die allerdings noch zu beweisen sind.

Thomas Migge

ist freier Journalist und Korrespondent für die dpa in Rom.