Nahost

Der Österreicher in den Händen der Hamas

Tal Shoham ist die einzige österreichische Geisel in Gaza. Seine Mutter klammert sich an die Hoffnung, dass er noch lebt.

Drucken

Schriftgröße

Nitza Korngold, 63, sitzt in ihrem Schlafzimmer, ein Headset auf den blonden Locken. Im letzten Jahr hat sie die Presse gemieden. Heute, an einem Freitagmorgen, will sie mit profil erstmals über ihren Sohn sprechen. 

Tal Shoham, 39, Ehemann und Vater von zwei kleinen Kindern im Alter von vier und neun Jahren, wurde am 7. Oktober von der radikalislamistischen Hamas nach Gaza verschleppt. Diese Woche jährt sich das Massaker zum ersten Mal, bei dem 1.200 Menschen ermordet, Tausende verletzt sowie über 250 als Geiseln verschleppt wurden. Der 7. Oktober war der Auslöser einer groß angelegten israelischen Militäroffensive, seither tobt Krieg in Gaza (siehe Text Seite …) und neuerdings auch im Libanon. 

Knapp 100 Geiseln befinden sich noch in der Gewalt der Hamas. Israels Regierung geht davon aus, dass die Hälfte von ihnen tot sein könnte.  

„Ich vermisse ihn sehr. Mein Mann und ich denken jede Sekunde an ihn. Wir können nicht schlafen. Wir können nicht atmen. Es ist einfach zu lange“, sagt Tal Shohams Mutter.  

Tal ist Nitza Korngolds ältester Sohn und österreichisch-israelischer Doppelstaatsbürger. Seine Großmutter wurde in Wien geboren und floh in den 1930er-Jahren vor den Nazis. „Tal hat die österreichische Staatsbürgerschaft vor etwa drei Jahren bekommen“, erzählt sie. Sie wollten als Familie gemeinsam nach Wien reisen, die Stadt seiner Vorfahren. Aber dazu kam es nie. 

Eine israelische Familie und ihr Schicksal 

profil hat im vergangenen Jahr immer wieder über das Schicksal der Familie berichtet, die in Beeri, einem Kibbuz im Süden Israels, Opfer eines beispiellosen Verbrechens wurde. 

Dabei hätte es so ein schönes Wochenende werden sollen, erzählt Nitza Korngold. Über die Feiertage reisen Tal und seine Familie zu den Schwiegereltern, die erste Nacht verbringen sie in Beeri und übernachten bei Adis Eltern. Am Samstagmorgen um 10 Uhr sind sie mit Nitza Korngold und ihrem Mann Gilad verabredet. „Wir wollten mit den Kindern an den Pool gehen und dann Mittag essen“, erinnert sie sich. 

Im Morgengrauen des 7. Oktober um 5.55 Uhr, dringen Hamas-Terroristen in den Kibbuz Beeri ein. 17 Stunden lang ziehen die Islamisten von Haus zu Haus und begehen unbeschreibliche Verbrechen. Sie werfen brennende Reifen in Häuser, um die Menschen zu zwingen herauszukommen. Sie töten Eltern vor ihren Kindern, Schwangere, Babys. Sie filmen das Massaker und schicken die Videos an Familienmitglieder, um diese zusätzlich zu quälen. Am Ende ist jeder Zehnte in Beeri tot. Tal Shoham und seine Familie werden auf einen Jeep gezerrt und nach Gaza verschleppt. profil nimmt kurze Zeit später Kontakt mit den Angehörigen auf und erfährt, dass drei Generationen und insgesamt zehn Mitglieder der Familie verschwunden sind. Die Jüngste: Tals drei Jahre alte Tochter Yahel. Die Älteste: Seine 68-jährige Schwiegermutter Shoshan. 

Im Zuge eines Geiseldeals kommen Ende November mehr als 100 in Gaza Festgehaltene frei, darunter auch Tals Kinder und seine Frau Adi. Seitdem stellen Yahel, 4, und Naveh, 9, jeden Tag quälende Fragen.

„Wann kommt Papa zurück?“

„Wann ist dieser Krieg vorbei?“

„Wird Papa ein alter Mann sein, wenn er wieder kommt?“ 

Tals Dorf

Zik Barak kennt die Kinder, die diese Fragen stellen. Sein Haus liegt zweihundert Meter von ihrem entfernt. Tal Shoham war sein Nachbar, er ist einer seiner besten Freunde. 

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.