Deniz Yücel, Alice Schwarzer, Eva Menasse, Lars Eidinger, Herta Müller, Peter Weibel
Titelgeschichte

Der Streit um den Krieg

Zwei einander widersprechende offene Briefe von Intellektuellen haben die Debatte über die Strategie des Westens entzündet. Sind die Waffenlieferungen ein Irrweg? Oder ist doch der Pazifismus ein Fehler?

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Der Krieg ist die Ausnahmesituation schlechthin. Er ist das bedrohlichste Ereignis für die Bevölkerung, die Staaten, die Weltordnung. So einig die Menschen darin zu sein scheinen, dass eine Welt ohne Krieg besser wäre, so uneinig sind sie darüber, was zu tun ist, sobald einer ausbricht. Plötzlich ist alles strittig: Wer hat ihn begonnen? Ist es überhaupt ein Krieg? Was war die Ursache? War er unausweichlich? Wie kann man ihn beenden?
Gerade weil der Krieg und das Leid, das er mit sich bringt, so unerträglich sind, entzündet sich an diesen Fragen rasch eine heftige Debatte, denn wer überzeugt ist, die richtige Lösung gefunden zu haben, ist auch bereit, dafür zu kämpfen. Schließlich geht es um Krieg und Frieden, also: um alles.

Jetzt tobt der Streit. Die einen wollen den Krieg um jeden Preis beenden und meinen, sie wüssten, wie das ginge. Die anderen glauben, über eine realistischere Einschätzung zu verfügen, und bezichtigen ihre Gegner der Naivität. Geht es um Pazifismus versus Militarismus? Erlebt Europa eine Renaissance der Friedensbewegung? Oder ist es vielmehr ein Amalgam aus Träumerei und Anti-Amerikanismus, das der Ukraine und dem Westen schweren Schaden zufügen könnte?

Am Freitag der vorvergangenen Woche veröffentlichten 28 Intellektuelle, darunter die Feministin Alice Schwarzer, der Schriftsteller Martin Walser, der Kabarettist Gerhard Polt und die Schriftstellerin Juli Zeh, einen offenen Brief an Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im feministischen Magazin „Emma“. Darin erhoben sie die Forderung, Deutschland solle keine schweren Waffen an die Ukraine liefern. Das mag wie ein Detail in dem seit über zwei Monaten währenden Krieg klingen, doch tatsächlich handelt es sich dabei um eine Schlüsselfrage. Die deutsche Bundesregierung hat lange gezögert und sich erst kürzlich dazu durchgerungen, die Ukraine auch mit Panzern und Haubitzen auszurüsten.

Fünf Tage nach der Veröffentlichung des offenen Briefes erschien in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ ein weiterer offener Brief – wieder an Kanzler Scholz gerichtet, allerdings mit der diametral entgegengesetzten Botschaft: Die Waffenlieferungen an die Ukraine mögen fortgesetzt werden. Auch dieses Schreiben war von Intellektuellen, rund um den Publizisten Ralf Fücks, formuliert und unterzeichnet, darunter der Schriftsteller Daniel Kehlmann, der Pianist Igor Levit und die Schriftstellerinnen Herta Müller und Eva Menasse.

Was sind die Argumente der beiden Seiten? Eine Gegenüberstellung.

Soll sich die Ukraine verteidigen - oder soll sie kapitulieren?

Der offene Brief contra Waffenlieferungen von Schwarzer und Co. hinterfragt die Sinnhaftigkeit der militärischen Verteidigung der Ukraine. Zunächst betonen die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner ausdrücklich ihre "Überzeugung, dass es eine prinzipielle politisch-moralische Pflicht gibt, vor aggressiver Gewalt nicht ohne Gegenwehr zurückzuweichen". Allerdings setzen sie dieser "Pflicht" umgehend Grenzen, die sie aus "Geboten der politischen Ethik" ableiten. Konkret pochen sie auf ein "kategorisches Verbot", das Risiko einer "Eskalation dieses Krieges zu einem atomaren Konflikt in Kauf zu nehmen".

Mit anderen Worten: Ein Staat, der angegriffen wird, habe in ihren Augen zwar die "Pflicht" zur Gegenwehr, es sei denn, der Aggressor verfügt über Atomwaffen. Dann nämlich verwandle sich die "Pflicht" in ein "kategorisches Verbot". Und noch ein zweiter Einwand gegen die militärische Verteidigung wird genannt, nämlich "das Maß an Zerstörung und menschlichem Leid unter der ukrainischen Zivilbevölkerung. Selbst der berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor steht dazu irgendwann in einem unerträglichen Missverhältnis".

Damit kommen Schwarzer und ihre Mitstreiter zu dem Schluss, dass es moralisch nicht vertretbar sei, die Verteidigung der Ukraine fortzusetzen.

Der offene Brief pro Waffenlieferungen von Fücks und Co. widerspricht dieser Argumentation heftig. Angesichts der "fortgesetzten Bombardierung der Zivilbevölkerung, der systematischen Zerstörung der Infrastruktur, der humanitären Notlage mit mehr als zehn Millionen Flüchtlingen und der wirtschaftlichen Zerrüttung der Ukraine infolge des Krieges" zähle jeder Tag, um die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine zu stärken. Da sich die russischen Truppen im Osten und Süden der Ukraine neu formiert haben, müssten kontinuierlich Waffen und Munition an die ukrainischen Verteidiger geliefert werden. Dadurch würden die "militärischen Kräfteverhältnisse zugunsten der Ukraine" gewendet.

Während also der Schwarzer-Brief angesichts vorrückender russischer Truppen der Ukraine Waffen vorenthalten will, setzt der Fücks-Brief auf die Stärkung der ukrainischen Verteidiger.

Kritiker des Schwarzer-Briefs, darunter der Grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck, interpretierten die Forderung nach Einstellung der Waffenlieferung als Aufforderung an die Ukraine zur Kapitulation. So wollten die Unterzeichner dies nicht verstanden wissen, allerdings bliebe der Ukraine ohne Waffen kaum etwas anderes übrig. Katja Müller-Lange, eine der 28 Unterzeichnerinnen, zog ihre Unterschrift mit dem Ausdruck des Bedauerns wieder zurück, da sie ihre Meinung geändert habe: Die "grund- und schuldlos Angegriffenen, also die Ukraine, quasi zur Kapitulation" aufzufordern, sei nicht ihre Position, so die Schriftstellerin.

Bedeuten Waffenlieferungen eine Eskalation?

In Schwarzers offenem Brief wird mehrmals der Begriff der "Eskalation" gebraucht, um Kanzler Scholz vor der Lieferung schwerer Waffen zu warnen. In Interviews nach der Veröffentlichung präzisierte Schwarzer, dass sie insbesondere vor der Lieferung von "Angriffswaffen" warne.

Der offene Brief von Fück und Co. geht auf diesen Vorwurf ein-und verwirft ihn. Es bedürfe "keiner besonderen Militärexpertise, um zu erkennen, dass der Unterschied zwischen, defensiven' und, offensiven' Rüstungsgütern keine Frage des Materials ist: In den Händen der Angegriffenen sind auch Panzer und Haubitzen Defensivwaffen, weil sie der Selbstverteidigung dienen."

Da die russischen Streitkräfte über jede Menge schwerer Waffen verfügen, stellt die Aufrüstung der ukrainischen Streitkräfte mit den gleichen Waffengattungen objektiv betrachtet im besten Fall Waffengleichheit her; mit Eskalation hat das nichts zu tun.

Riskiert der Westen einen Atomkrieg?

Würde Deutschland schwere Waffen an die Ukraine liefern, so steige das Risiko, dass Russland Atomwaffen einsetze, und zwar gegen Deutschland oder auch gegen andere NATO-Staaten, befürchten die Gegner der Waffenlieferungen. Sie warnen explizit vor dem "Risiko eines dritten Weltkrieges".

Der offene Brief für die Waffenlieferungen nimmt dieses Argument auf, wendet jedoch ein, dass die Drohung mit dem Atomkrieg "Teil der psychologischen Kriegsführung Russlands" sei. Die Gefahr eines Nuklearkrieges sei "nicht durch Konzessionen an den Kreml zu bannen", denn Zugeständnisse würden Russland "zu weiteren militärischen Abenteuern ermutigen". Der Gefahr einer atomaren Eskalation müsse vielmehr "durch glaubwürdige Abschreckung" begegnet werden.

Wladimir Putin schürt die Angst vor einem Atomkrieg, indem er gezielt Formulierungen verwendet, die so interpretiert werden können, dass er den Einsatz von Nuklearwaffen überlegt. Bereits in seiner TV-Ansprache zu Kriegsbeginn am 24. Februar warnte er den Westen vielsagend vor "Konsequenzen, die Sie noch nie erlebt haben" - sollte die NATO gegen die russischen Streitkräfte eingreifen. Bald darauf gab er bekannt, dass er die Nuklearstreitkräfte seines Landes in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt habe. Vor wenigen Tagen zeigte das russische Fernsehen eine Simulation, wie Atomraketen europäische Hauptstädte angreifen. Vergangenen Donnerstag schließlich wurde über Moskau eine Iljuschin Il-80 gesichtet, ein Flugzeug, in dem sich die Kommandozentrale befinden soll, die Putin im Falle eines Atomkrieges benötigt.

Der Westen soll sich also fürchten, das ist die Botschaft. Aber welche reale Gefahr steckt hinter dem Säbelrasseln?

Franz-Stefan Gady, Militär-Analyst am Institut für strategische Studien (IISS) in London, erinnert an die russische Militärdoktrin, die einen Einsatz von Nuklearwaffen lediglich für den Fall vorsieht, dass die Existenz Russlands in Gefahr sei. Allerdings räumt er ein, dass unter Experten seit Langem darüber debattiert werde, ob Russland eine sogenannte Strategie der "Eskalation zur Deeskalation" verfolge. Das würde bedeuten, dass die Streitkräfte eine Nuklearwaffe einsetzen, nur um zu signalisieren, dass sie dazu breit wären. So solle ein etwaiger Feind - gemeint ist: die NATO - davon abgehalten werden, einzugreifen. Denkbar wäre etwa das Abfeuern einer taktischen Atomwaffe über dem Schwarzen Meer, so Gady.

Der Militäranalyst ist jedoch überzeugt davon, dass die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine keinen Einsatz von Atomwaffen auslösen werde. Dies widerspräche erstens der russischen Militärdoktrin, und zweitens hätte Russland generell kein Interesse an einem nuklearen Abtausch mit den USA. Ein kleiner, taktischer Einsatz würde von den USA höchstwahrscheinlich nicht mit einem nuklearen Gegenschlag erwidert werden, meint Gady.

Alles, was darüber hinausgeht jedoch, ein Atomkrieg also, würde Russland mutmaßlich schwerer treffen als die USA: "Der Kreml hat größere Angst vor einem Atomkrieg als der Westen, auch wenn das nicht nach außen dringt." Entscheidend bleibe somit - wie schon im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion - die Abschreckung, und deren Wirkung beruhe darauf, der jeweiligen Seite klarzumachen, dass man im Ernstfall zum Einsatz des Atomarsenals bereit sei.

Warum nicht endlich Friedensverhandlungen beginnen?

Der offene Brief von Schwarzer und Co schlägt eine Alternative zu den Waffenlieferungen vor. Kanzler Scholz wird darin gebeten, "alles dazu beizutragen, dass es so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand kommen kann; zu einem Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können".

Die Gegenseite, die Befürworter der Waffenlieferungen, halten es hingegen für falsch, der Ukraine die Waffen vorzuenthalten, um sie gewissermaßen dazu zu zwingen, auf jegliche Forderungen Russlands einzugehen. Sie schreiben: "Wer einen Verhandlungsfrieden will, der nicht auf die Unterwerfung der Ukraine unter die russischen Forderungen hinausläuft, muss ihre Verteidigungsfähigkeit stärken und die Kriegsfähigkeit Russlands maximal schwächen."

Gibt es diese Wahlmöglichkeit überhaupt: Friedensverhandlungen oder weiter Krieg führen? Schwarzer suggeriert dies, doch bisher fehlen jegliche Anzeichen dafür, dass Putin die russische Offensive stoppen will. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Putin mehrmals zu direkten Gesprächen aufgefordert, und der Westen hat den Kontakt zum russischen Präsidenten nie ganz abreißen lassen. Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer war bei ihm zu Besuch, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hat zuletzt mit Putin telefoniert. Von einem Wunsch nach Friedensverhandlungen scheint Russland noch weit entfernt.

Trägt der Westen auch Schuld an diesem Krieg?


In den Augen von Schwarzer und Co.: Ja. Sie sehen die Verantwortung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt nicht allein beim "ursprünglichen Aggressor", sondern auch bei denjenigen, "die ihm sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern".

Das scheint - vorsichtig formuliert - weit hergeholt. Putin hat den Krieg begonnen, ohne dass ein NATO-Soldat auf ukrainischem Territorium stationiert gewesen wäre; ohne dass die NATO mit der Ukraine ein Beitrittsverfahren begonnen hätte; und er setzt den Angriffskrieg fort, während das westliche Bündnis Verteidigungswaffen an die Ukraine liefert. Was genau dieses "Motiv" sein könnte, mit dem der Westen Putins verbrecherisches Handeln auslösen könnte, bleibt unklar.

Die Gegenseite, Fück und Co., sehen naturgemäß keine Schuld Deutschlands oder des Westens an diesem Krieg. Sie warnen hingegen davor, sich schuldig zu machen, falls Europa die Ukraine fallen ließe. Die Verteidigung der Unabhängigkeit und Freiheit der Ukraine sei "auch ein Prüfstein, wie ernst es uns mit dem deutschen 'Nie wieder' ist", so der offene Brief.

Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck hat in einem Interview mit der "Zeit" die Frage der Schuld erörtert. Er räumt ein, dass mit den Waffen, die Deutschland auch in seiner Verantwortung an die Ukraine liefert, Menschen getötet würden, doch er beharrt darauf, dass die Entscheidung "gemessen an den Alternativen trotzdem notwendig" gewesen sei.

Soll der Westen siegen?

Dieser Gedanke kommt in dem offenen Brief von Schwarzer und Co. nicht vor. Was mit dem "Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können", gemeint sein könnte, lässt ein Interview erahnen, dass der österreichische Medientheoretiker Peter Weibel, einer der Unterzeichner, dem "Standard" gegeben hat. Darin prognostiziert er, dass "die Krim und die Teilrepubliken Donbass, Donezk, sowie Luhansk (von der Ukraine, Anm.) anerkannt werden". Weibel meint offenbar die Volksrepubliken Donezk und Luhansk und die gesamte Donbass-Region.

Auch der offene Brief von Fück und Co. vermeidet es, explizit einen Sieg des Westens zu erhoffen. Und doch kann man diesen Wunsch herauslesen: "Wer die europäische Friedensordnung angreift, das Völkerrecht mit Füßen tritt und massive Kriegsverbrechen begeht, darf nicht als Sieger vom Feld gehen." Putin soll verlieren, denn sein Krieg sei ein "Angriff auf die europäische Sicherheit".

Die beiden offenen Briefe haben eine seit zwei Monaten schwelende Debatte schlussendlich entzündet. Jetzt findet der Kampf um die Deutungshoheit über diesen Krieg und die Rolle, die der Westen darin spielt, statt. Die Bevölkerung ist aufgerufen, mitzumachen und wenigstens per Unterschrift die eine oder andere Seite zu unterstützen. Zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe stand es 237.806: 51.131 für den offenen Brief von Schwarzer und Co.

Ist das ein erstes Indiz für einen Stimmungsumschwung in der Bevölkerung? Erstarkt eine neue Friedensbewegung, die sich der Strategie der westlichen Allianz-Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen an die Ukraine - entgegenstellt?

Es wäre übertrieben, dies aus dem Erfolg einer Online-Petition abzuleiten. Die Regierungen halten stabil an ihrem Kurs fest, wobei: Dieser hat sich im Lauf der zwei Kriegsmonate durchaus geändert. Zu Beginn des Krieges gaben etwa Deutschlands Kanzler Scholz und der britische Premier Boris Johnson eine gemeinsame Pressekonferenz, in der sie erläuterten, warum sie Bitten der ukrainischen Führung nach schweren Waffen ablehnten. Deutschland hatte eben beschlossen, keine Panzer des Typs "Marder" zu liefern.

Inzwischen hat sich das geändert. Die Ukraine bekommt schwere Artillerie und Drohnen, die anfängliche Zurückhaltung hat nachgelassen. Der Grund dafür ist die Dynamik des Krieges und auch dessen Dauer.

Scharfe Kritik daran kommt nur von ganz links und ganz rechts. In Frankreich, wo im Juni Parlamentswahlen stattfinden, sprechen sich die weit links stehende Oppositionspartei "Unbeugsames Frankreich" und auch das weit rechts stehende Pendant "Rassemblement National" gegen Waffenlieferungen aus, in Deutschland sind es die AfD und "Die Linke".

Doch der Schock angesichts täglich neuer, schrecklicher Bilder lässt den Wunsch wachsen, etwas zu tun. Die lange gelernte pazifistische Ablehnung gegenüber Waffen an sich und noch mehr gegenüber der Idee, diese könnten in irgendeinem Konflikt eine Lösung darstellen, verträgt sich nicht mit der Strategie der Waffenlieferungen. Da liegt es nahe, die Friedensbewegung vergangener Jahrzehnte und ihre bekannten Sätze zu reaktivieren. Bloß: Stimmt diese Analogie?

Ist "Frieden schaffen ohne Waffen" ein passender Slogan, wenn es darum geht, eine sich verteidigende Armee auszurüsten, die von einer viel größeren, feindlichen Streitmacht zu überrollt werden droht? Der Protest der Friedensbewegung gegen den Vietnam-Krieg wurde genährt durch Bilder ziviler Opfer von US-Bombardements. Jetzt aber werden die Waffen, die der Westen liefert, ausschließlich gegen russische Soldaten eingesetzt, die auf ukrainischem Territorium einen Eroberungsfeldzug führen und dabei Kriegsverbrechen begehen.

Auch die Vorwürfe der "Kriegstreiberei" und der "Kriegsbegeisterung" wirken im Falle eines Verteidigungskrieges, der der Ukraine und dem Westen von Russland aufgezwungen wurde, seltsam. Der Philosoph Jürgen Habermas skizziert in seinem Essay "Krieg und Empörung" für die "Süddeutsche Zeitung" das Dilemma des Krieges aus Sicht des Westens: Er stehe vor einer "risikoreichen Abwägung zwischen zwei Übeln - einer Niederlage der Ukraine oder der Eskalation eines begrenzten Konflikts zum dritten Weltkrieg". Und Habermas schließt mit der Hoffnung, einen Ausgang aus diesem Dilemma zu finden. Diese Hoffnung spiegle sich "in der vorsichtigen Formulierung des Zieles, dass die Ukraine den Krieg nicht verlieren darf".

Genau das ist das Ziel des westlichen Bündnisses: Die Ukraine soll als souveräner Staat in ihren Grenzen erhalten bleiben. Es dürfte der Friedensbewegung schwerfallen, dies als Kriegstreiberei zu verteufeln.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur