Bundeskanzler Olaf Scholz spricht während einer Plenarsitzung im Bundestag in Berlin am 11. September 2024
Waffen

Scholz verspricht Israel Waffen – Scholz verbietet Israel Waffen

Der deutsche Kanzler hat die militärische Unterstützung für Israel gerade wieder bekräftigt. Der Bundessicherheitsrat, dem Scholz vorsitzt, hat aber seit Monaten keine Kriegswaffenexporte mehr genehmigt. Deutschland laviert zwischen Staatsräson und Völkerrecht.

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Israel und die Ukraine haben etwas gemeinsam: Beide Länder befinden sich in einem Krieg, weil sie angegriffen wurden. Etwas unterscheidet sie aber fundamental: Während die Ukraine weiter auf die umfassende militärische Unterstützung Deutschlands zählen kann, schwindet diese für Israel – trotz anderslautender Solidaritätsbekundungen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Er hat – trotz anhaltender Kritik an Israels Vorgehen in den Palästinensergebieten – erst Ende Juli weiterhin militärische Hilfe versprochen. Scholz sitzt jenem Gremium vor, das über die Kriegswaffenexporte entscheidet. Seit März wurden für Israel keine Genehmigungen mehr erteilt. 

Bundeskanzler Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sicherten der israelischen Regierung nach dem Massaker, das die Hamas und ihre Verbündeten am 7. Oktober 2023 an Israelis auf israelischem Territorium verübt hatten, uneingeschränkte Solidarität zu. Immer wieder hatte man das Recht auf Selbstverteidigung betont – was auch den Anspruch auf einen Krieg im Gazastreifen einschließe. Zu Beginn nahm man diese Ansage tatsächlich ernst: 2023 sind die Exportgenehmigungen auf den Gesamtwert von 326 Millionen Euro gestiegen – das ist zehn Mal so viel wie im Vorjahr 2022. Das für Waffenexporte zuständige Wirtschaftsministerium erklärte im November 2023, dass als Konsequenz aus den Terrorattacken „Anträge auf Ausfuhr von Rüstungsgütern nach Israel prioritär bearbeitet und beschieden“ würden. 

Der größte Teil der Genehmigungen ging laut Anfragebeantwortungen auf die Zeit nach dem 7. Oktober zurück. Darunter: Gewehrmunition, Schulterwaffen, Radfahrzeuge, Software, Messgeräte und Kriegsschiffe. Deutschland ist nach den USA der zweitwichtigste Waffenlieferant für Israel – einige große, deutsche Rüstungskonzerne haben Jointventures in beiden Staaten. Auch aufgrund der Historie Deutschlands ist diese Zusammenarbeit zur Staatsräson geworden. 

Ewiges Warten auf Genehmigungen

Aber in der Rüstungsindustrie rumort es, denn mit Anfang 2024 war trotz politischer Beteuerungen plötzlich alles anders: profil und das israelische Investigativmedium „Shomrim“ konnten mit mehreren Vertretern der Waffenindustrie sprechen, die nicht namentlich genannt werden wollen – das Bild, das sie zeichnen: Die Bücher für Bestellungen aus Israel sind voll, aber es scheitert derzeit an den nötigen Exportgenehmigungen für Waffenexporte und Rüstungsgüter. Oft gebe es gar keine Genehmigungen mehr – anderes warte ewig darauf. Die Exportvolumina sind seit dem Vorjahr jedenfalls massiv gesunken – und zwar von 326 Millionen Euro auf 14,5 Millionen (Stichtag, 21. August 2024). Ein interessanter Aspekt: In der Haushaltsplanung Deutschlands findet sich sogar ein Posten „Beitrag zur Beschaffung von Verteidigungssystemen für Israel“ – für 2024 wären hier Investitionen von 45 Millionen Euro vorgesehen. Bis 2027 sind hier sogar 237 Millionen veranschlagt. Es handelt sich um einen Betrag, der nicht zurückbezahlt werden muss.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu spricht während einer Pressekonferenz in Jerusalem am 2. September 2024

Wie kann das sein? Hat doch SPD-Kanzler Olaf Scholz bei seiner Sommerpressekonferenz Ende Juli Folgendes gesagt: „Wir haben Israel Waffen geliefert und wir haben keine Entscheidung getroffen, das nicht mehr zu tun“. Anlass seiner Solidaritäts-Bekräftigung war das jüngste Gutachten des internationalen Gerichtshofs (IGH) zum israelischen Vorgehen in den Palästinensergebieten, das zu dem Schluss kommt, dass Israel in mehreren Punkten gegen Völkerrecht verstoße. Ermittlungen des IGH gibt es seit Jänner,  gegen den israelischen Premier Benjamin Netanyahu selbst wird ermittelt im Mai wurde ein Haftantrag gegen ihn beantragt.

Die einzelnen Teile ergeben die Summe

Scholz, der Israel trotzdem weiter Unterstützung und Solidarität zusagte, betonte bei seiner Rede aber auch, dass man jeden Antrag auf Waffenexport im Einzelnen bewerten müsse. Das ist Aufgabe des Bundessicherheitsrat – ein Gremium, dem mehrere Minister angehören, das geheim tagt und dem Scholz vorsitzt. 

Scholz hütet sich zwar davor zu sagen, dass Deutschland die Entscheidung getroffen habe, an Israel keine Kriegswaffen mehr zu liefern, de facto ist es aber so, wie auch eine jüngste Anfragebeantwortung zeigt. Seit März wurden keine Genehmigungen mehr für Kriegswaffen erteilt, die waren aber auch in den Monaten davor mit 32.449 Euro (30.449 im Jänner, 2000 im Februar) nicht gerade üppig. In die Kategorie „Kriegswaffen“ fällt grob gesagt alles, was fliegen und töten kann. Genehmigungen gab es ausschließlich für „andere Rüstungsgüter“ – das sind Güter, die vorrangig oder ausschließlich einer militärischen Verwendung dienen: Dazu zählen etwa Uniformen, Lastkraftwagen mit Tarnanstrich, Aufstellvorrichtungen für Waffen oder Ersatzteile für Flugzeuge sowie Software.

Eine Palästinenserin geht vor schwer beschädigten Gebäuden Israelischer Bombenanschlag in Beit Lahia im nördlichen Gazastreifen 14. September 2024, inmitten des anhaltenden Krieges zwischen Israel und der Hamas-Gruppe.

Deutschland trifft also viele Einzelentscheidungen, die in der Summe ein Bild ergeben: Man distanziert sich militärisch von Israel. Das Lavieren zwischen Solidarität und Unterstützung für das Völkerrecht ist allen unangenehm. „Sollte Netanyahu verurteilt werden, sollte der IGH feststellen, dass Völkerrecht verletzt wurde, wer will da schon dabei sein?“, sagt ein mit der Thematik befasster CDU-Abgeordneter, der nicht namentlich genannt werden will. Immerhin hatte Deutschland dieses Jahr schon einmal mit einer Klage Nicaraguas wegen möglicher Verstöße gegen das Völkerrecht zu kämpfen – das Land erstattete Anzeige, weil man die Meinung vertrat, dass deutsche Waffen einen Völkermord in Gaza ermöglichen. Der IGH hat das Verhängen akuter Maßnahmen vorerst abgelehnt. Wenig später wurde am Verwaltungsgericht Berlin von Menschenrechtsorganisationen ein Eilantrag zum sofortigen Stopp von Waffenlieferungen eingebracht – auch das wurde im Juni abgewiesen. „Aber solche Dinge wird es jetzt öfter geben, und vielleicht wendet sich das Blatt einmal, und die Klagen sind erfolgreich – die Lage im Nahen Osten ist bedenklich“, sagt der CDU-Abgeordnete. 

Schlingerkurs der Ampelkoalition

Auch die Grünen, die das für Waffenexporte mitzuständige Außenministerium führen, sind in der Nahost-Frage gespalten: „Das ist in unserer Partei alles nicht einfach. Wir haben Abgeordnete, die sind Hardcore-Israel-Fans, andere gehen zu Pro-Gaza-Demos“, sagt ein Grüner Funktionär. „Beim Thema Waffenexporte gehen die Wogen hoch – welchen Erwartungen soll Baerbock da genau entsprechen?“

Im Wirtschaftsministerium, das die politisch durchgewunkenen Genehmigungen auf Beamtenebene abarbeitet, heißt es auf Anfrage pragmatisch: „Die Bundesregierung nimmt Hinweise zu möglichen Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht sehr ernst. Die Bundesregierung äußert öffentlich und auch in internen Gesprächen gegenüber Israel die Erwartung, dass Israel bei der Ausübung seines Selbstverteidigungsrechts die Regeln des humanitären Völkerrechts einhält.“ 

„In Summe sind die wachsenden Bedenken der Grund, warum die Genehmigungen weniger werden, auch wenn das so keiner aussprechen will“, fasst es ein Mitarbeiter eines Vertreters im Bundessicherheitsrat das zusammen, was sich noch niemand laut aussprechen traut.

Von einem Regierungssprecher heißt es auf profil-Anfrage: “Generell gilt: Entscheidungen über die Erteilung von Rüstungsexport-Genehmigungen werden stets in einer Gesamtwürdigung der Umstände und im deutschen Rechtsrahmen getroffen. In jedem Einzelfall geschieht dies nach sorgfältiger Prüfung unter Einbeziehung außen- und sicherheitspolitischer Erwägungen und einer sorgfältigen Lagebeurteilung.Die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht werden bei allen ausfuhrkontrollrechtlichen Entscheidungen berücksichtigt.”

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.