Porträt Ursula von der Leyen

Die grüne Schwarze

Den Konservativen ist sie mit ihrer Klimapolitik zu grün, linke Kräfte werfen ihr vor, Ungarn gegenüber zu nachgiebig gewesen zu sein. Bleibt Ursula von der Leyen Europas mächtigste Frau?

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Ursula von der Leyens Kandidatur beginnt mit einer Demütigung.

Anfang März reisen Hunderte Delegierte der Europäischen Volkspartei (EVP) in die rumänische Hauptstadt Bukarest. Der Parteikongress der Christdemokraten dauert zwei Tage, Höhepunkt ist Ursula von der Leyens Wahl zur Spitzenkandidatin der EVP bei den Europawahlen Anfang Juni. Seit 2019 ist die deutsche CDU-Politikerin Präsidentin der EU-Kommission – und sie will es bleiben. Doch in ihrer Parteienfamilie bleibt die Euphorie aus.

In Bukarest hält von der Leyen ihre Bewerbungsrede in einem gigantischen Kuppelsaal, in dem sonst Popkonzerte stattfinden. Rund 24 Minuten spricht von der Leyen vor ihren Parteifreunden, Stimmung kommt keine auf. Es wird geplaudert, Selfies werden gemacht, die Hälfte der Sitze ist leer.

Auf der Bühne steht die mächtigste Frau Europas, oder, wie das US-Magazin „Forbes“ es kürzlich wieder formulierte: „Die mächtigste Frau der Welt“. Doch bei ihren Parteifreunden bleibt die Euphorie aus, vielen von ihnen ist von der Leyen zu grün, ihre Positionen zu wenig konservativ, ihre Politik zu weit weg von dem, was sie zu Hause in den Nationalstaaten vertreten.

Seit mehr als 20 Jahren bekleidet Ursula von der Leyen Regierungsämter (siehe Zeitleiste), von 2003 bis 2005 als Familienministerin in Niedersachsen, von 2009 bis 2013 als Bundesministerin für Arbeit und Soziales, von 2013 bis 2019 als Verteidigungsministerin in Berlin. Seit 2019 ist sie Präsidentin der EU-Kommission.

Eine europäische Bilderbuchgeschichte

Der Umzug nach Brüssel war eine Rückkehr an jenen Ort, an dem von der Leyen das Licht der Welt erblickte. „Für ihre Rolle in Europa ist der Lebenslauf perfekt“, heißt es in ihrer Biografie, die 2019 erschien (siehe Kasten). Geboren wird von der Leyen 1958 in der belgischen Hauptstadt als Ursula Gertrud Albrecht. Ihre Brüder nennen sie Röschen, weil sie das erste Mädchen ist. Ihre Mutter gibt ihren Job als Theaterkritikerin auf und wird mit der Geburt der Kinder – sieben sollen es insgesamt werden – Hausfrau. Die Familie lebt in einem Brüsseler Backsteinhaus, der Vater jagt am Wochenende Fasane mit dem belgischen Adel. Auf den Familienfesten wird Theater gespielt, von der Leyen nimmt Reitunterricht und lernt Französisch.

Ursula von der Leyens Vater Ernst Albrecht, ein CDU-Politiker und später Ministerpräsident von Niedersachsen, ist Spitzenbeamter in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), dem Vorgänger der EU.

Als von der Leyen 2019 zur Kommissionspräsidentin gewählt wird, ist er bereits fünf Jahre tot. Ein Parteifreund soll ihr nach der Wahl im EU-Parlament ins Ohr geflüstert haben: „Er beobachtet dich jetzt!“ Von der Leyen ist gerührt, kämpft mit den Tränen. Die Tochter hat es bis an die Spitze der Kommission geschafft. Als erste Frau in der Geschichte.

„Mein Vater hat immer zu mir gesagt: Europa ist kostbar, und wir müssen gut darauf achtgeben, denn es ist alles, das wir haben“, so von der Leyen in ihrer Antrittsrede in Bukarest. Ernst Albrecht arbeitete gemeinsam mit dem CDU-Urgestein Konrad Adenauer an den Römischen Verträgen der EU. Bei Besprechungen darf die kleine Ursula unter dem Schreibtisch ihres Vaters sitzen und zuhören.

Mein Vater hat immer gesagt: Europa ist kostbar und wir müssen gut darauf achtgeben

Ursula von der Leyen

Die Biografie

Ulrike Demmer und Daniel Goffart haben sich auf die Spur der Ausnahmepolitikerin Ursula von der Leyen gesetzt und ein kritisches Porträt der prominenten Christdemokratin verfasst. 

 

Link 

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 04.11.2019
256 Seiten
Piper Verlag

Warum die Parteienfamilie fremdelt 

Eine Bilderbuchgeschichte für eine Konservative, noch dazu für eine, die als Kommissionschefin in Brüssel von der Corona-Pandemie über den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine bis hin zum Kampf gegen den Klimawandel eine ganze Reihe an Krisen gemeistert hat. Doch ihre Parteienfamilie fremdelt. Dabei habe Angela Merkel, die langjährige deutsche Kanzlerin, von der Leyen gezielt gefördert, um die CDU zu modernisieren und für neue Wählergruppen attraktiv zu machen, erzählt ein Insider.

Von der Leyen mag in einem CDU-Haushalt aufgewachsen sein, der Partei beigetreten ist sie erst mit 32 Jahren. „Sie war immer schon offen für andere Sichtweisen“, sagt eine Politikerin, die von der Leyen aus ihrer Zeit in Berlin kennt. Als sie mit Mitte 20 ihren heutigen Mann kennenlernte, war dieser SPD-Mitglied, auf seinem Auto klebte ein Anti-Atomkraft-Sticker. Als Ministerin in Deutschland setzte von der Leyen das Elterngeld durch, eigentlich ein Wahlversprechen der Sozialdemokraten. Sie knüpfte die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten an die Erwerbstätigkeit beider Elternteile. Das stieß der CDU sauer auf, weil es die klassische Einverdiener-Ehe infrage stellte.

Die eigenen Leute waren gegen sie 

Das Parteibuch stand bei Ursula von der Leyen nie im Vordergrund. Manchen ist sie zu feministisch, zu grün für eine Konservative.

Schon in ihrer Zeit in Berlin wurde von der Leyen von ihrer Partei attackiert. „Die eigenen Leute waren gegen sie“, sagt die Politikerin, die damals mit dabei war, „sie wurden nie wirklich warm mit ihr.“

Suche nach Mehrheit

Jetzt braucht von der Leyen die Unterstützung ihrer Parteienfamilie mehr denn je. Nach der EU-Wahl vom 6. bis 9. Juni muss der Rat der Staats- und Regierungschefs von der Leyen als Kommissionschefin nominieren; das EU-Parlament muss sie in einer Bewerbungsrede von sich überzeugen.

Für ihre Wiederwahl an die Spitze der Kommission braucht sie neben einer qualifizierten Mehrheit der Mitgliedstaaten auch die Zustimmung einer absoluten Mehrheit im EU-Parlament. Spricht sich ein Teil ihrer eigenen Fraktion gegen die Spitzenkandidatin aus, könnte es eng werden.

Zur Kommissionschefin gewählt wurde Ursula von der Leyen 2019 mit gerade einmal acht Stimmen Überhang von konservativen, sozialdemokratischen und liberalen Europa-Abgeordneten. Auch die rechtsnationalistische EKR dürfte teils hinter ihr gestanden haben. Genau weiß man es nicht, die Wahl ist geheim.

Angesichts der zu erwartenden neuen Machtverhältnisse könnten ihr diesmal um die 30 Stimmen fehlen, schätzt ein langjähriger Mitarbeiter des EU-Parlaments.

Sicher ist: Ohne den Großteil der europäischen Konservativen an ihrer Seite kann von der Leyen es diesmal kaum schaffen. Doch das könnte schwierig werden.

Der Applaus nach ihrer Rede in Bukarest dauert keine Minute. Dann wird abgestimmt, obwohl kein anderer Kandidat antritt. So will es das Parteistatut. Auch diese Wahl ist geheim, von 499 Delegierten stimmen 89 gegen sie, zehn enthalten sich, 400 sind für Ursula von der Leyen als Spitzenkandidatin. Das sind knapp 82 Prozent – von jenen, die da sind. Die rund 300 abwesenden Delegierten sind nicht mitgezählt. Überwältigend ist das nicht.

„Ich war entsetzt über die 89 Gegenstimmen“, sagt eine hochrangige EVP-Politikerin, die dabei war, „ich hätte mehr Disziplin erwartet.“ Und: „Viele waren gar nicht da, das wird von der Leyen nicht gerecht, sie hat in den vergangenen fünf Jahren hart gearbeitet.“ Das Abstimmungsergebnis sei enttäuschend und eine Demütigung für von der Leyen.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.