Die Rache der Mullahs: Iranisch-schwedischer Arzt soll sterben
Niemand habe sie angerufen. Vida Mehrannia sagt, sie habe aus einem BBC-Artikel erfahren, dass ihr Mann – der bekannte Notfallmediziner Ahmadreza Djalali – noch im Mai hingerichtet werden soll. Es ist sechs Jahre her, dass er zu einem Kongress nach Teheran reiste, um über sein Fachgebiet – katastrophenfeste Spitäler und Regionen – zu referieren. Dort schlug das iranische Regime zu.
Der Geheimdienst verhaftete den Medizinforscher und beschuldigte ihn, Israel mit hochvertraulichen Informationen zu versorgen. 2017 verurteilte ihn das Islamische Revolutionsgericht zum Tode. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen kritisierten das Verfahren als unfair und setzten sich für seine Freilassung ein (#SaveAhmadreza #FreeDjalali). Siroos Mirzaei, Nuklearmediziner am Wiener Wilhelminenspital, mobilisiert über seinen Verein „Ärzte für Menschenrechte im Iran“ nun Ärzteorganisationen – in Österreich und weltweit. Er sagt: „Seit Jahren setzt der Iran auf eine Politik der Geiselnahme. Versucht er nun auch mit staatlichem Mord seine Interessen dem Westen gegenüber durchzusetzen?“
Durch Folter abgepresstes "Geständnis"
Laut Djalalis Anwalt war dem Medizinforscher im berüchtigten Evin-Gefängnis unter Folter, schweren Misshandlungen und der Androhung, seine Frau und seine Kinder zu töten oder ihnen schlimmstes Leid zuzufügen, ein „Geständnis“ abgepresst worden. Vom Iran werde Djalali verfolgt, weil er nicht willens gewesen sei, seine exzellenten wissenschaftlichen Netzwerke zu nützen, um für den Iran zu spionieren.
Mehrmals trat der Arzt in Haft in den Hungerstreik. Er verlor 30 Kilo. Vor zwei Monaten wurde er am Bauch operiert. Bereits am nächsten Tag brachte man ihn ins Gefängnis zurück. Zu Djalalis jahrelangem Martyrium gehört, dass er im Vorjahr mehrere Monate lang in Isolationshaft auf die Vollstreckung der Todesstrafe wartete. Nach internationalen Protesten kam er wieder in seine normale Zelle zurück.
Offener Brief von 153 Nobelpreisträgern
153 Nobelpreisträger und zahlreiche wissenschaftliche Organisationen drängten in einem offenen Brief an Ayatollah Ali Khamenei, politisches und religiöses Oberhaupt des Iran, auf seine Begnadigung. Der Katastrophen-Experte Ahmadreza Djalali hatte in Italien und Belgien geforscht. In Schweden, wo seine Frau und seine Kinder leben, arbeitete er am Karolinsky-Institut.
Schweden verlieh dem Notfallmediziner 2018 die Staatsbürgerschaft, als dieser im Iran bereits in Haft war. Nun droht endgültig die Vollstreckung des Todesurteils. Laut der halbamtlichen iranischen Nachrichtenagentur Isna soll Ahmadreza Djalali spätestens Ende des persischen Monats Ordibesht hingerichtet werden. Das ist der 21. Mai. Die schwedische Außenministerin Ann Linde bezeichnete der britischen BBC gegenüber die Nachricht als „äußerst beunruhigend“. Die iranische Justiz habe sich dazu nicht geäußert, jedoch verbreiteten mehrere staatliche Medien sie weiter.
Hinrichtung als Vergeltung
Es gibt massive Hinweise, dass die angekündigte Hinrichtung ein Racheakt ist. Die norwegische Menschenrechtsorganisation Human Rights beschuldigt das iranische Regime, Djalalis Tod als „Vergeltung“ angeordnet zu haben – für die zu erwartende Verurteilung eines mutmaßlichen iranischen Folterers und Serienmörders in Schweden. Es handelt sich dabei um den iranischen Justizbeamten Hamid Nouri, dessen Prozess kürzlich zu Ende ging. Die Staatsanwaltschaft forderte lebenslange Haft. Am 14. Juli soll das Urteil öffentlich bekannt gegeben werden.
Hamid Nouri war 2019 am Flughafen in Stockholm verhaftet worden. Die schwedische Justiz berief sich auf die „universelle Zuständigkeit“ und klagte den Iraner wegen internationaler Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen an. Er soll maßgeblich für die Ermordung von rund 5000 politischen Gefangenen im Juli und August 1988 verantwortlich sein, zu dieser Zeit sei er stellvertretender Staatsanwalt im Gefängnis von Gohardasht nahe Teheran gewesen.
Der Angeklagte hatte die Vorwürfe stets bestritten und eine Verwechslung geltend gemacht. Laut einem BBC-Bericht verlangte der iranische Außenminister Hossein Amir-Abdollahian vergangene Woche in einem Telefonat mit der schwedischen Außenministerin die unverzügliche Freilassung Hamid Nouris. Aus iranischen Medien ist zu erfahren, dass die Hinrichtung aus Sicht des iranischen Regimes vollzogen werde, „damit Schweden keine Scheinprozesse gegen iranische Beamte führt – wie im Fall Nouri – um Djalalis Freilassung zu erpressen“.
Exil-Iraner, ehemalige Gefangene, Angehörige von Opfern und Menschenrechts-Organisationen fordern seit Langem ein Ende der Hinrichtungen im Iran und eine Bestrafung der Folterer und Henker. Der Prozess in Schweden gegen Hamid Nouri war auf diesem Weg ein Meilenstein.