Die US-Waffenlobby auf Schiffsausflug in der Wachau
Ben Carson hat sich ein Pausenplätzchen gesucht. Der 64-Jährige sitzt auf einer schattigen Parkbank, die Hand liegt auf dem Knie seiner Frau Candy. Vom Maibaum weht die rot-weiß-rote Fahne, die Donau glitzert durch die Wachauer Weinberge.
Es war ein anstrengendes Jahr für den pensionierten Neurochirurgen. Er hatte Präsident der USA werden wollen, war in der republikanischen Vorwahl aber nur durch seine verschlafenen Augen aufgefallen, die er nun hinter einer verspiegelten Sonnenbrille versteckt. Nun entspannte er ein paar Minuten mitten im niederösterreichischen 800-Seelen-Dorf Dürnstein.
"Was machen Sie hier, Herr Carson?“ "Ähm, nur ein bisschen Urlaub.“
Viel mehr will er nicht sagen, auch Candy schüttelt den Kopf. Die Carsons scheinen zu ahnen, dass sie nicht die typischen Österreich-Urlauber sind. Sie reisen auf einem Schiff voller Leute die Donau entlang, die sich nur sicher fühlen, wenn jeder von ihnen bis auf die Zähne bewaffnet ist. Die berüchtigte US-Waffenlobby National Rifle Association (NRA) tourt durch Europa und der Arzt ist einer ihrer Lieblingsredner, Kategorie: fanatisch. Ben Carson glaubt, dass die nächste Diktatur nur verhindert werden kann, wenn sich alle US-Bürger unregistrierte Waffen zulegen. Als vergangenes Jahr in einem US-College ein Mann um sich schoss, sagte er, dass ihn der Blick auf einen von Kugeln zersiebten Körper nicht so störe wie der Gedanke, keine Waffen mehr zu tragen.
Mehr als 100 NRA-Mitglieder haben in der vergangenen Woche ihre Glocks, Colts oder Berettas abgelegt, um sich nach Europa zu wagen, wo man mit einem Sturmgewehr auf dem Beifahrersitz eher nicht zur gesellschaftlichen Mitte gehört. Zwischen Zigarren, Bourbon und beheiztem Swimmingpool sollen sie sich mit rechtskonservativen Politikern und US-Journalisten näherkommen. "Das ist keine typische Kreuzfahrt“, steht im Werbetext für die "Freedom Cruise“, die dieses Jahr zum ersten Mal stattfand. Dafür ist es eine geheimnisvolle. Mehrere E-Mails an die NRA, ihre Partner und die US-amerikanischen Reiseveranstalter bleiben unbeantwortet. Eine Pressesprecherin verspricht am Telefon, alle Anfragen an Assistenten des NRA-Geschäftsführers Wayne LaPierre weiterzuleiten. Auch er hat gebucht. Es meldet sich niemand.
Das halbe Dutzend US-Amerikaner sieht aus wie die anderen harmlosen Pensionisten, die durch Dürnstein wandern.
Sonntag, 19. Juni, drei Uhr nachmittags, Dürnstein. Während die schüchternen Carsons schnell in einem mittelalterlichen Gässchen zum Donauufer verschwinden, wuseln Touristen in kurzen Hosen und Sonnenbrillen über das Kopfsteinpflaster an Souvenirläden, Bäckereien und Weinschenken vorbei. Es sind keine Sturmgewehre zu sehen, keine semi-automatischen Pistolen oder Munitionsgürtel. Eine Fremdenführerin spricht die Geschichte von Richard Löwenherz in ihr Mikrofon: Der englische König und Kreuzzügler wurden auf ihren Reisen überfallen und irgendwo hier gefangen gehalten. Ob Richard dabei unbewaffnet war oder etwas anderes schiefging, fragt niemand. Dabei hat die Blondine gerade eine Gruppe vom NRA-Schiff vor sich. Das halbe Dutzend US-Amerikaner sieht aus wie die anderen harmlosen Pensionisten, die durch Dürnstein wandern: Baumwollhosen, verschwitzte Hemden und Laufschuhe. Es ist kein Stoßtrupp, der sich nach Österreich gewagt hat, sondern eine Kaffeerunde. Allein ein grauhaariger Mittvierziger setzt sich eine schwarze Kappe gegen die Sonne auf. "Stand and Fight“, steht darauf, darüber drei Buchstaben.
NRA. Das steht für Waffenliebhaber, die sich einer einzigen Idee verschrieben haben, koste es die Gesellschaft, was es wolle: das Recht, immer und überall eine Waffe zu tragen. Als die National Rifle Association im Jahr 1871 gegründet wurde, sollte sie den US-Bürgern zwar nur beibringen, wie man ein bisschen besser schießt. Ein paar Generäle hatten nach dem Bürgerkrieg bemerkt, dass ihre Soldaten kaum im Stande waren, eine Scheune zu treffen.
Doch aus Schießtrainern wurden die gefürchtetsten Lobbyisten, die sich in Washington herumtreiben. Jedes noch so unbedeutende Gesetz zum riesigen US-Waffenmarkt wird hart bekämpft. Ein Teenager schießt mit einem automatischen Sturmgewehr an einer Volksschule um sich? Waffen für alle, dann wäre das nicht passiert. Die Regierung will eine Regel für automatische Waffen, die unzählige Kugeln in der Sekunde abfeuern können? Kommt nicht infrage, da geht es um die amerikanische Freiheit.
Die NRA vergibt Noten von A bis F an alle US-Politiker. Die schlechtesten müssen mit Tausenden wütenden Anrufen und gezielten Kampagnen rechnen. Denn im Fanatismus vieler ihrer fünf Millionen zahlenden Mitglieder liegt die wahre Kraft der NRA. Rund 250 Millionen US-Dollar nimmt sie im Jahr ein, der Großteil stammt aus den Beiträgen der Mitglieder oder Spenden von Einzelpersonen. Also auch von Leuten auf dem Schiff.
Auch die US-Botschaft in Wien wusste vor dem Anruf von profil nichts von der NRA-Schifffahrt.
Fast hätte sich auch Wayne LaPierre auf Donau und Dürnsteiner Kopfsteinpflaster gewagt. Doch das Gesicht der Waffen-für-alle-Patrioten muss nach dem Massaker von Orlando dafür sorgen, dass niemand auf die Idee kommt, das semi-automatische Sturmgewehr zu beschuldigen, mit dem Omar Mateen 49 Menschen ermordet hat. Ein bewaffneter Sicherheitsmann konnte ihn nicht aufhalten. "Die Terroristen kommen, um uns zu töten, jede Schule, jede Shopping Mall muss sich bewaffnen“, sagte er dem Sender CBS.
Am selben Tag lehnt John im Schatten einer Hauswand. Der weißblonde Mittsechziger in weißem Hemd wirkt nicht nervös, obwohl er keine Waffe mit hat und er durch ein fremdes Land reist. "Ja, wir wissen wie man schießt“, sagt er und lacht tief aus dem Bauch heraus. "Aber hier lassen wir das. Wir lieben Österreich, auch wenn wir hier nicht gerade populär sind.“ Auch deswegen bleibt das Gespräch beim Smalltalk. John wurde angeraten, keine Interviews zu geben. Er sei mit seiner Frau hier, weil sie die Donau sehen wollten, aber auch, weil auf dem Schiff für Irak-Veteranen Geld gesammelt werde. Und natürlich wegen der illustren Gästeliste der NRA, dem schnellen Zugang zu ein paar Galionsfiguren der rechtskonservativen US-Elite, die man hier beim Frühstück trifft.
Wie viel John jedes Jahr an seine NRA zahlt, will er genauso wenig verraten wie seinen Beruf. Es müssen aber mehr als 1000 Dollar sein, denn nur Premium-Mitglieder dürfen an Bord des 135-Meter-Flusskreuzers Amaviola. Zwischen 5000 und 8000 Dollar pro Person kostet die achttägige Europatour.
"Ich habe noch nie von einer vergleichbaren Reise der NRA gehört“, sagt ein Wiener US-Diplomat, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, über den Ausflug der Waffenlobby. Zwar gehört es für betuchte US-Gönner dazu, sich auf Fundraiser zu begeben. Dass eine Gruppe rechtskonservativer Waffenpatrioten dafür nach Europa fliegt, sei aber eher ungewöhnlich. Auch die US-Botschaft in Wien wusste vor dem Anruf von profil nichts von der NRA-Schifffahrt.
Dabei befinden sich noch weitere altgediente Kaliber der US-Politikszene an Bord. Da ist Edward Meese III., der in den 1980er-Jahren dem republikanischen Heldenmythos Ronald Reagan als Justizminister diente. Oder J. D. Hayworth, der zwei Mal für die Republikaner im US-Kongress saß und abgewählt wurde, als bekannt wurde, dass er bei der Lizenzvergabe eines Casinos an amerikanische Ureinwohner mitgeschnitten hatte.
Es ist kein zufälliger Satz, von Geschichten über die zwei Wiener Türkenbelagerungen inspiriert.
Es sind Mitglieder des in Verruf geratenen Washingtoner Establishments, die da über die Donau schunkeln - auch wenn sie sich selbst als bodenständig und volksnah sehen. Einer von ihnen heißt Newt Gingrich und sitzt auf einer Holzbank in der Dürnsteiner Weinschenke "Altes Presshaus“. Neben ihm richtet sich seine dritte Frau Callista die Haare. Am Tag zuvor hat sie ihm eine Dinosaurier-Torte geschenkt, denn Newt wollte seinen 73. Geburtstag auf der Donau feiern - ganz ohne nächtliche Gewehrsalven.
Gingrich ist einer der alten Hasen der amerikanischen Rechten: In den 1990er-Jahren saß er im US-Kongress und war Sprecher des Repräsentantenhauses. 2012 versuchte er sich erfolglos als republikanischer Präsidentschaftskandidat. Nun schreibt er Bestseller über Politik und dient Fox News, dem Haussender der religiösen Rechten, als Kommentator.
Auf der Schiffsreise gibt er sich gerne als Historiker, schließlich besitzt er einen Doktortitel in europäischer Geschichte. "Wir sind in Österreich, weil wir genießen möchten, aber auch, weil wir auf Geschichte achten“, sagt er, wenn man ihn fragt, was er sich von dieser Reise erwartet. "Es ist schon komisch, durch ein Land zu fahren, in dem es noch Überreste gibt, die zeigen, wie weit die Türken einmal gekommen sind.“
Es ist kein zufälliger Satz, von Geschichten über die zwei Wiener Türkenbelagerungen inspiriert. Immer wieder setzen führende NRA-Fürsprecher und rechtskonservative US-Polit-Stars darauf, das Bild einer weltumspannenden und epochalen islamischen Bedrohung zu entwerfen. Die Waffenlobby unterstützt den muslimfeindlichen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump genauso wie der Historiker Gingrich.
Am nächsten Tag ist die Amaviola neben der Wiener Reichsbrücke vertaut.
Er denke viel über die alten Zeiten nach, während er auf der Donau an den alten Burgen vorbeizieht. Über das Chaos dieser Tage, die gemeinsamen Wurzeln der Anti-Eliten-Proteste in der westlichen Welt, zu deren Führern er Trump genauso zählt wie den französischen Front National oder die FPÖ. Auch wenn er nicht vor hat, sich am Rande dieser Schifffahrt mit einem von ihnen zu treffen oder sich in einer der heimischen Waffenschmieden wie Glock oder Steyr umzuschauen. "Wir sind nicht geschäftlich hier“, sagt Gingrich. "Es geht auch nicht um Waffen sondern um islamistische Rassisten, die uns töten wollen.“ Darüber würde viel geredet auf dieser Reise, auf Schiffsdeck oder beim Frühstück.
Die Sonne steht schon tief in Dürnstein. Der gealterte NRA-Trupp hat das Dorf verlassen, ohne dass jemand so richtig mitbekommen hat, dass er da war. Die Dürnsteiner lassen die Rollläden herunter, vergessen die paar 100 Touristen, die an ihnen vorbeimarschiert sind, wie sie es jedes Wochenende tun. Sie fragen nicht, wer die Leute sind, die ihr Geld hierlassen, und was auf den Schiffen draußen auf der Donau geredet wird.
Am nächsten Tag ist die Amaviola neben der Wiener Reichsbrücke vertaut. Es ist später Nachmittag, als ein grauhaariger Mann über den regennassen Pier eilt, links und rechts je einen muskelbepackten Mann in schwarzem T-Shirt. Beim Schiff angekommen, verschwindet er schnell über den Steg und hinter den automatischen Schiebetüren.
Sein Name ist Oliver North. Er ist der Mann, der in einem Werbevideo zu dieser Schifffahrt eingeladen hat ("Begleiten Sie mich und Betsy diesen Sommer auf einer exklusiven europäischen Flussschifffahrt entlang der schönen Donau“). Der 73-Jährige sitzt nicht nur im Vorstand der NRA, sondern hat auch die "Freedom Alliance“ gegründet, eine Charity für Kriegsveteranen, die die Reise mitveranstaltet hat. Wie so viele, die eine Zeit in den Washingtoner Haifischbecken überlebt haben, hat auch er eine Geschichte.
Oliver North ist besser bekannt als Colonel Oliver North, ehemaliger Militärberater des Nationalen Sicherheitsrates und Ex-CIA-Agent. In den frühen 1980er-Jahren schuf er ein Netzwerk aus Waffenhändlern, Drogenschmugglern und Terroristen aus aller Welt, um illegal Waffen in den Iran zu liefern, der damals noch nicht ganz zum US-Erzfeind aufgestiegen war und den Irak bekriegte. Die Erlöse verschob er mit seinen Männern auf dunklen Wegen an die von der CIA gestützte anti-sozialistische Guerilla in Nicaragua. 1986 entließ ihn Ronald Reagan aus dem Dienst, North wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Er musste die Haft aber wegen gerichtlicher Formalfehler nie antreten.
Einen wie ihn würde man gerne fragen, was er über die europäischen Waffengesetze denkt oder den FPÖ-Präsidentschaftskandidaten, der damit angab, dass er eine Glock bei sich trägt.
Es ist eine dieser Geschichten, die der US-amerikanischen Fernseh- und Politelite nicht zu schaden scheinen. Der ehemalige Waffenschmuggler North ist in rechtskonservativen Kreisen zur Ikone avanciert: Buchautor, Fox-News-Moderator, Spendensammler. Einen wie ihn würde man gerne fragen, was er über die europäischen Waffengesetze denkt oder den FPÖ-Präsidentschaftskandidaten, der damit angab, dass er eine Glock bei sich trägt. Ob er hier in Wien jemanden getroffen hat, ob er politische oder geschäftliche Bande knüpfen will.
Am geschwungenen Holztresen der Amaviola steht Debby, die Reiseleiterin, und lächelt nervös. Ja, Mr. North sei gerade gekommen. Nein, er habe keine Zeit. Ob er anrufen könnte? Später vielleicht? Doch Oliver North meldet sich auch nach einem zweiten Besuch auf dem Schiff nicht. Debby ist nicht mehr zu sprechen. Am nächsten Tag ist der Pier leer, und die Amaviola trägt ihre Gäste über sanfte Donauwellen durch Länder, die sie wohl nie richtig verstehen werden.