Der Auserwählte: Der Höhenflug des Donald Trump
Von Siobhán Geets
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Manchmal geht alles sehr schnell, die Ereignisse überschlagen sich, und am Ende steht die Frage: Ist jetzt alles entschieden? So war es nach dem Attentat auf Donald Trump am Samstag vor einer Woche. Nachdem ein 20-jähriger, bis dahin unauffälliger Mann während eines Wahlkampfauftritts Schüsse auf den Präsidentschaftskandidaten abgegeben hatte, wurde das Foto Trumps mit der triumphal gereckten Faust innerhalb von Stunden zur Ikone.
Wenig später fegte ein Gericht die für Trump gefährlichste aller drohenden Klagen vom Tisch; auf dem Parteitag schworen ihm selbst ehemals erbitterte Gegner die Treue, und Trump fand den idealen „Running Mate“ für seine Präsidentschaftskandidatur.
Für die Republikaner wurde Trump über Nacht zum Auserwählten, er selbst gibt sich geläutert. Wieso die vergangene Woche für einen Wahlsieg der Republikaner entscheidend gewesen sein könnte.
1 Schüsse auf Trump: die Macht der Bilder
Ikonischer kann ein Foto kaum sein.
Umringt von Mitarbeitern des Secret Service steht Trump auf der Bühne, die Hand zur Faust erhoben. An seiner Wange klebt Blut, im Hintergrund weht die amerikanische Flagge. Die roten Linien auf dem Gesicht des Präsidentschaftskandidaten zeugen davon, dass er gerade knapp einen Mordanschlag überlebt hat, die gereckte Faust bedeutet: Ich bin stark – und ich gebe nicht auf.
Keine zwei Minuten braucht Donald Trump nach den Schüssen am Samstag vor einer Woche, um sein Talent zur politischen Kommunikation zu mobilisieren. „Fight!“, ruft er dem Publikum zu, und die Meute jubelt. Dass beim Attentat auf Trump ein Mensch ums Leben kommt und zwei weitere verletzt werden, wird auch in den Tagen danach keine große Rolle spielen.
Via soziale Medien geht das Bild von Donald Trump um die Welt, noch bevor überhaupt klar ist, wer auf ihn geschossen hat. Attentate auf amtierende oder ehemalige US-Präsidenten gab es bereits einige, doch jenes auf Trump ist das erste in Zeiten der digitalen globalen Vernetzung. Im Internet kann die ganze Welt sehen, wie sich Trump auf der Bühne in Butler, Pennsylvania, plötzlich ans Ohr greift. Wie er hinter dem Podium in Deckung geht und dann, abgeschirmt von Sicherheitsleuten, wieder aufsteht. Seine Anhänger feiern das als regelrechte Auferstehung. Mit dem Anschlag ist Donald Trump zum Märtyrer geworden – und seine Gegner schweigen. Mit Kritik werden sie sich nun auf absehbare Zeit schwertun.
Es war Gott allein, der das Undenkbare verhindert hat.
Namhafte Republikaner sehen die Schuld an den Schüssen auf den Populisten bei den Demokraten und deren Anti-Trump-Propaganda. Dabei hat dieser selbst immer wieder zu Gewalt aufgerufen. Vor Wahlkampfauftritten ermutigte er seine Anhänger, Demonstranten zu verprügeln; Räuber und Ladendiebe würde er am liebsten erschießen lassen. Und als ein von ihm aufgehetzter Mob im Jänner 2021 das Kapitol in Washington stürmte und die Erhängung des Vizepräsidenten Mike Pence forderte, meinte Trump, dieser habe das wahrscheinlich sogar verdient.
Doch die Kritik an Trumps Gewalthetze ist nach dem Attentat verstummt.
Gerade bei Attentaten mit politischem Kontext verbreiten sich Verschwörungsmythen besonders schnell.
In den vergangenen Jahren hat sich Trump gerne als Opfer inszeniert: verfolgt von Justiz und Medien, die eine „Hexenjagd“ auf ihn betreiben würden; verteufelt vom Establishment und politischen Gegnern, die ihn als Möchtegern-Diktator darstellten. Das half bei der Verbreitung seiner wichtigsten Erzählung: Ich wehre mich, um unser Land zu retten.
Diese Botschaft hat mit dem Attentat eine neue Dynamik gewonnen. Als tatsächliches Opfer eines versuchten Mordanschlags steht Donald Trump Empathie zu – auch vonseiten jener, die ihn stets verachtet haben.
2 Polarisierung 2.0: Verschwörung und Schuldsuche
So schnell ist es noch nie gegangen. Wenige Minuten nach den Schüssen auf Trump tauchten im Netz die ersten Spekulationen und Schuldzuweisungen auf, bald schien klar: Da ist eine Verschwörung am Werk. Alles choreografiert, meinen die einen, eine Inszenierung, um Trump die Präsidentschaft zu sichern. Auf der anderen Seite des Spektrums stehen prominente Republikaner, die Bidens Demokraten die Verantwortung für das Attentat zuschieben. Die Behauptung der Biden-Kampagne, Trump sei ein Faschist, der um jeden Preis gestoppt werden müsse, hätte „direkt zu Präsident Trumps versuchter Ermordung“ geführt, schrieb etwa J. D. Vance, mittlerweile Trumps „Running Mate“ (siehe unten), keine zwei Stunden nach dem Attentat auf X.
Andere, darunter der republikanische Kongressabgeordnete Mike Collins, behaupten sogar, Joe Biden hätte den Mord an Trump persönlich in Auftrag gegeben.
Angeheizt werden die Verschwörungstheorien von den zahlreichen Ungereimtheiten im Zusammenhang mit den Schüssen in Butler. Wie konnte der Attentäter unbemerkt auf das Dach eines Gebäudes klettern – und wieso befand sich dieses, obwohl gerade einmal 150 Meter von der Bühne entfernt, außerhalb des Einflussbereichs des Secret Service? Warum unternahm dieser nichts, nachdem Besucher vor dem Mann am Dach gewarnt hatten? Und wieso zogen die Sicherheitskräfte Trump nicht sofort von der Bühne, sondern ließen ihn zuerst seine Schuhe suchen und dann für das ikonische Foto posieren?
Es sind berechtigte Fragen, mit denen sich die Ermittler noch lange befassen werden.
Bis klar ist, wie der Secret Service dermaßen scheitern konnte, werden Wochen und Monate vergehen. Im Nebel der Unklarheiten geben Verschwörungsideologen den Weg vor. „Gerade bei Attentaten mit politischem Kontext verbreiten sich Verschwörungsmythen besonders schnell“, sagt Katharina Nocun. Die Netzaktivistin befasst sich seit Jahren mit solchen Erzählungen, 2020 erschien ihr Buch „Fake Facts“ über den Einfluss jener Narrative auf das Denken der Menschen.
Welche Folgen haben die unbelegten Schuldzuweisungen nach dem Trump-Attentat auf die amerikanische Gesellschaft?
„Wer sich im verschwörungsideologischen Milieu bewegt, hat ein festes Weltbild und legt alles systematisch als Beleg dafür aus“, sagt Nocun. Die Narrative nach dem Attentat auf Donald Trump hielten sich an alte Muster, allen voran die Behauptung, ein „Deep State“, also ein „Staat im Staat“, wolle Trump als Präsidenten verhindern. Wer das wirklich glaubt, kann weder den Sicherheitskräften noch dem Staat oder traditionellen Medien trauen. „Das nutzt Trump“, sagt Nocun. „Er kann sich im Wahlkampf als einziger Retter inszenieren.“
Verschwörungstheorien zu Attentaten auf US-Präsidenten sind zwar nichts Neues, allein zum Mord an John F. Kennedy gibt es unzählige Erzählungen, Bücher und Filme. „Doch das Internet hat eine nie da gewesene Schnelligkeit geschaffen, und man kann alles selbst per Knopfdruck verbreiten“, sagt Nocun. Besorgniserregend sei vor allem, dass diese Erzählungen auch unter gewaltbereiten Gruppen verbreitet werden – und rechtsextreme Milizen wie die „Proud Boys“ damit Gewalt relativieren könnten. Es wäre nicht das erste Mal. Als Trumps Anhänger im Jänner 2021 das Kapitol in Washington stürmten, taten sie das in der Überzeugung, dass Joe Biden die Wahlen gestohlen hatte.
3 Gottes Plan: ein geläuterter Trump?
Bei seinem ersten Auftritt am Parteitag der Republikaner am vergangenen Dienstag ist etwas an Trump anders als sonst. Es ist der erste öffentliche Auftritt, seit Mitarbeiter des Secret Service ihn zwei Tage zuvor in Butler von der Bühne zerrten. Neu ist nicht nur die weiße Bandage an Trumps Ohr. Langsam und bedächtig schreitet er durch die Halle, ein mildes Lächeln auf den Lippen. Trump wirkt emotionaler als sonst, sanfter, beinahe geläutert.
So sehr Donald Trump in den vergangenen Jahren dazu beigetragen hat, das Land zu spalten, so versöhnlich gibt er sich am Parteitag der Republikaner in Wisconsin. Anstatt der üblichen Tiraden spricht er davon, „das Land zu einen“. Das passt in das neue Narrativ der Republikaner. Während sie noch darüber debattieren, wer genau für das Attentat verantwortlich ist, scheint der Grund für das Überleben des Unternehmers eindeutig: göttliche Intervention.
Die Kugel hatte Trumps rechtes Ohr gestreift, offenbar, weil er unmittelbar davor den Kopf zur Seite gedreht hatte. Dass der Schuss für Trump nicht tödlich endete, ist für seine Anhänger der Beweis für die „Hand Gottes“ – ein wahres Wunder. „Gott hat Präsident Trump gestern geschützt“, gibt sich der Sprecher des Repräsentantenhauses Mike Johnson überzeugt – und sagt damit, was alle denken, Trump inklusive. „Fürchtet euch nicht“, schrieb dieser nach dem Attentat auf seiner eigenen Social-Media-Plattform „Truth Social“. Es ist ein sehr langer Post, und der Ton ist tiefreligiös. „Es war Gott allein, der das Undenkbare verhindert hat“, schreibt Trump. Und: „Wir fürchten uns nicht, sondern werden unverwüstlich bleiben in unserem Glauben und dem Angesicht des Frevels trotzen.“
Mit der Mystifizierung seiner Person wird Trumps Position in der Partei weiter gestärkt: Er ist jetzt nicht nur Vorsitzender und Präsidentschaftskandidat der Republikaner, sondern de facto Auserwählter – gesandt vom Allmächtigen, um das Land zu retten.
Auf den Punkt brachte dies der Kongressabgeordnete Mike Collins, der Parallelen zum gescheiterten Schussattentat auf Ronald Reagan im Jahr 1981 zog. „Gott hat Ronald Reagan aus einem bestimmten Grund verschont. Gott hat Donald Trump aus gutem Grund verschont“, schrieb er auf X. „Gott verpasst sein Ziel nicht.“ Und Senator Ted Cruz dankte „Gott, dem Allmächtigen“ für die Rettung jenes Mannes, der einst behauptet hatte, sein Vater sei in die Ermordung John F. Kennedys involviert gewesen.
Religion spielt in den USA nach wie vor eine große Rolle, ultrakonservative evangelikale Christen gehören zum wichtigsten Fundament der republikanischen Wählerschaft. Bei der Wahl von 2016 stimmten aus dieser Gruppe 77 Prozent für Trump, 2020 waren es bereits 84 Prozent, jetzt dürfte Trumps Beliebtheit weiter steigen. Seine Anhänger können ihn in einer Art des religiösen Eifers als Helden verklären.
4 Der Präsident und sein Vize: Heilsbringer und Flammenwerfer
Während sich die Demokraten immer noch streiten, ob Joe Biden wirklich der richtige Kandidat für die Präsidentschaftswahl ist, ging es beim Treffen der Republikaner in Wisconsin vor allem um eines: Einigkeit. Dafür sind die Republikaner zwar nicht bekannt, in den vergangenen Jahren hat Trumps MAGA-Bewegung vielmehr gespalten als vereint. Doch nun versammeln sich alle hinter Trump; selbst seine ehemals stärkste parteiinterne Gegnerin Nikki Haley schwärmte von der „vereinten Republikanischen Partei“, die „essenziell ist, um das Land zu retten“.
Für die Republikaner ist es eine Revolution, an die noch vor wenigen Jahren niemand geglaubt hätte. Trump wird vom Spalter zum Friedensstifter.
Ein Mann dürfte es ihm nun noch einfacher machen, den Geläuterten zu geben: der soeben zum Vizekandidaten gekürte J. D. Vance. Mit dem Senator aus Ohio hat sich Trump den radikalsten Anwärter als „Running Mate“ ausgesucht. Der selbst ernannte „Krieger gegen Wokeness“ hat sich vom Trump-Kritiker zum MAGA-Enthusiasten gemausert – und fällt seither durch extreme Ansichten auf. Zuletzt unterstellte er der Biden-Regierung, den Drogenhandel von Mexiko in die Südstaaten absichtlich gewähren zu lassen, um „Leute zu bestrafen“, die nicht für Biden gestimmt hätten.
Noch 2016 hatte Vance Trump als „kulturelles Heroin“ bezeichnet und ihn mit Hitler verglichen; seine Memoiren „Hillbilly Elegy“ galten als Pflichtlektüre für Demokraten, die verstehen wollten, wieso sich die Arbeiterklasse Trump zuwendet. Vance wuchs in einer zerrütteten Arbeiterfamilie in Ohio auf, später gelang ihm ein rasanter Aufstieg.
Im Wahlkampf soll Vance die Stimmen der Proletarier und Landwirte in umkämpften Bundesstaaten wie Pennsylvania, Wisconsin, Michigan, Ohio und Minnesota gewinnen. Gelingt der Einzug ins Weiße Haus, wäre der 39-Jährige der jüngste Vizepräsident in der US-Geschichte. Damit hat Vance das Potenzial zum MAGA-Kronprinzen – und die Republikaner können ein weiteres Argument gegen den altersschwachen Joe Biden anführen.
Vance ist gegen die Unterstützung der Ukraine, Abtreibung vergleicht er mit Sklaverei. Trumps Lüge von der gestohlenen Wahl hat er willig übernommen, und nach dem Attentat gehörte er zu den Ersten, die krude Verschwörungstheorien verbreiteten. Die übliche Gewaltrhetorik kann Trump nun getrost seinem Vize überlassen – und sich ganz auf seine neue Rolle als Friedensstifter konzentrieren, der das Land eint.
Vance ist gegen die Unterstützung der Ukraine, Abtreibung vergleicht er mit Sklaverei. Trumps Lüge von der gestohlenen Wahl hat er willig übernommen, und nach dem Attentat gehörte er zu den Ersten, die krude Verschwörungstheorien verbreiteten.
Bei seiner Rede am Parteitag am Donnerstagabend gab sich Trump ungewöhnlich milde, zumindest während der ersten Stunde seiner 90-minütigen Ansprache. Zwar nannte er Nancy Pelosi einmal mehr „Crazy Nancy“ und bezeichnete Migration in die USA als die „größte Invasion der Geschichte“. Doch die übliche Gewaltrhetorik blieb aus.
Sie kann Trump nun getrost seinem Vize überlassen – und sich ganz auf seine neue Rolle als Friedensstifter konzentrieren, der das Land eint.
5 Verfahren eingestellt: nichts mehr zu befürchten
Auch juristisch brachte die Woche einen Erfolg für Donald Trump – den zweiten in diesem Monat. Anfang Juli hatte das Oberste Gericht der USA entschieden, dass er für seine Taten als Präsident weitgehenden Schutz vor Strafverfolgung genießt. Und am Montag stellte ein Gericht in Miami, Florida, das Strafverfahren wegen der Mitnahme von Regierungsdokumenten ein.
Angeklagt war Trump, weil er stapelweise streng geheime Papiere in sein Privatanwesen in Mar-a-Lago mitgenommen und danach die Ermittlungen des FBI in dem Fall behindert hatte. Die Sachlage war denkbar einfach, die Beweislage erdrückend. Inhaltlich gab es an der Anklage offenbar auch nichts auszusetzen.
Sie habe Zweifel an der rechtmäßigen Ernennung des Sonderermittlers Jack Smith in dem Fall, so die Begründung der zuständigen Richterin, die von Trump selbst ernannt worden war, für die Einstellung des Verfahrens. Für den Präsidentschaftskandidaten ist damit die gefährlichste aller drohenden Klagen vorerst vom Tisch. Zwar will Smith Berufung einlegen, doch das wird dauern. Vor den Wahlen am 3. November hat Trump nichts mehr zu befürchten.
„Diese Einstellung sollte der erste Schritt sein“, schrieb er nach der Gerichtsentscheidung am Montag, nun müsse die „Hexenjagd“ gegen ihn endgültig aufhören.
Für Donald Trump passt dieser Tage alles zusammen. Von den Eliten verfolgt, von der Partei geliebt – von Gott auserkoren.
Siobhán Geets
ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.