Einmal Ramallah und zurück
Die Einreise nach Ramallah ist unerwartet einfach. Mit dem Bus kaum 50 Minuten von Jerusalem entfernt, gibt es am Checkpoint eine Passkontrolle, die sehr schnell über die Bühne geht. Nach weiteren fünf Minuten Fahrzeit steige ich am Busbahnhof in Ramallah aus.
Auf den Straßen geht es chaotisch zu: Dicht gedrängt schieben sich Menschenmassen an mir vorbei. Musik aus Lautsprechern mischt sich mit dem Geschrei der Obstverkäufer. Dazwischen ist das ungeduldige Hupen der Autofahrer zu hören. Die bunten Marktstände, wo man Kleidung, Obst, Spielzeug und Schmuck kaufen kann, lenken beinahe vom Müll auf den Straßen ab. Überall liegen leere Getränkeflaschen, Pappkartons, Plastiksäcke.
Der Lärm auf Ramallahs Straßen verschwindet mit einem Mal, als ich das Arafat-Mausoleum betrete. Hier herrscht eine seltsame Stille. Das Mausoleum ist von einem Garten mit Palmen und kleinem Teich umgeben. Hinter Yasser Arafats Grab stehen zwei Soldaten, die das Geschehen überwachen. Vor dem Grab liegt ein Blumenkranz des luxemburgischen Premierministers. Einer der Soldaten erzählt, dass das Mausoleum ein beliebter Ort für Familienausflüge ist. Was Eltern ihren Kindern über Arafat erzählen, bleibt ihnen überlassen. Im Mausoleum gibt es keine Schilder mit Erklärungen. Bevor ich die Gedenkstätte verlasse, macht eine Familie mit zwei Kindern vor dem Grab Familienfotos.
Zurück im Getummel Ramallahs spaziere ich an das andere Ende der Stadt zum "Dar Zahran Heritage Building". Es ist eines der ältesten Häuser in Ramallah und seit Generationen im Besitz der Jaghab Familie. Aktuell wird es von Zahran Jaghab geführt. Nach einer überaus herzlichen Begrüßung erzählt er, dass seine Familie das Haus früher bewohnte, er es heute als Museum für das palästinensische Kulturerbe und als Kunstgalerie führt.
Zwischen Fotos seiner Familie stellt Zahran auch Gemälde palästinensischer Künstler aus. Bei Kaffee und Obst erzählt er von den Veränderungen, die Ramallah in den letzten Jahren durchgemacht hat: "Es wird immer mehr gebaut, größtenteils luxuriöse Wohnhäuser und Bürogebäude, die sich kaum jemand leisten kann. Dafür macht man die alten Häuser Ramallahs dem Erdboden gleich. Es ist eine Schande, dass hier so wenig auf kulturelles Erbe geachtet wird." Zahran hat es sich darum zum Auftrag gemacht in seinem Museum an die Geschichte Ramallahs zu erinnern. Gleichzeitig leistet er Aufklärungsarbeit über den Konflikt zwischen Israel und Palästina.
Stundenlanges Warten und die Abhängigkeit von den Launen der Grenzpolizisten sind für die Geschwister schon zur Gewohnheit geworden.
"Ich habe ein bisschen Land geerbt auf dem die Ruine eines Hauses steht. Dazu gehört auch ein Olivenhain. Die israelische Regierung möchte eine Straße quer durch mein Grundstück bauen. Regelmäßig muss ich die Bauarbeiter davon abhalten, meine Olivenbäume abzureißen. Ich habe auch schon rechtliche Schritte eingeleitet. Das ist den Soldaten und den Bauarbeitern aber egal", beschreibt Zahran die Situation in den besetzten Gebieten. Gerade zur Zeit der Olivenernte komme es auch oft vor, dass israelische Siedler die Ernte der palästinensischen Bauern beschlagnahmen oder gar zerstören. Auch ganze Bäume würden regelmäßig in Brand gesteckt. Sich dagegen zu wehren sei sinnlos, sagt Zahran. Er berichtet auch von der eingeschränkten Reisefreiheit der Palästinenser, denen oft ohne Angabe von Gründen die Einreise nach Israel verwehrt wird. Deshalb habe Zahran in der Vergangenheit schon einige Flüge ins Ausland verpasst.
Überwältigt von den Schilderungen Zahrans und den Eindrücken, die Ramallah zu bieten hat, mache ich mich auf den Rückweg nach Jerusalem. Auf dem Weg zum Checkpoint überlege ich, ob Zahran in seinen Berichten möglicherweise etwas übertreibt. Dann werde ich eines besseren belehrt.
Der Bus ist bereits durch den Checkpoint durch, die Passkontrolle ist reibungslos abgelaufen. Zwei Militärpolizisten stehen neben dem Bus und diskutieren mit dem Fahrer. Einer der Polizisten steigt wild gestikulierend wieder in den Bus und schreit "Yalla, yalla!" Alle Fahrgäste müssen sofort aussteigen. Niemand weiß warum. Die einzige Information, die wir bekommen, ist, dass wir noch einmal durch den Checkpoint müssen. Diesmal zu fuß.
Zwei Stunden stelle ich mich mit einigen der anderen Fahrgäste beim Checkpoint an. Es riecht nach Urin. Als die Schlange endlich in Bewegung kommt, gibt es eine Sicherheitskontrolle wie am Flughafen. Manche müssen sogar die Schuhe ausziehen. Direkt nach dem Metalldetektor werden die Pässe kontrolliert. Ich halte meinen Reisepass an die Scheibe aus Panzerglas und werde durchgewunken. Der Bus in dem ich vorher saß, ist natürlich längst abgefahren.
Während ich auf den nächsten warte, komme ich mit den Geschwistern Tala und Khaled ins Gespräch. Die beiden Teenager fahren oft zwischen Ramallah und Jerusalem hin und her. Der Ablauf am Checkpoint sei fast immer gleich. Stundenlanges Warten und die Abhängigkeit von den Launen der Grenzpolizisten sind für die beiden schon zur Gewohnheit geworden: "Wir haben trotzdem Glück, weil wir einen israelischen Pass haben, obwohl wir Palästinenser sind. Das macht die Einreise nach Israel leichter als mit einem palästinensischen Ausweis." Sie erzählen von Bekannten, denen nach stundenlangem Warten, und den anschließenden Sicherheitskontrollen, ohne ersichtlichen Grund die Einreise nach Israel verwehrt blieb. Dann kommt endlich der Bus nach Jerusalem.