Elisabeth Badinter

"Es muss einem egal sein, ob man als islamophob abgestempelt wird“

Die französische Feministin Elisabeth Badinter über Emmanuel Macron und Marine Le Pen, das österreichische Frauenvolksbegehren und ihre Heldin Maria Theresia.

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INTERVIEW: ANGELIKA HAGER, ROBERT TREICHLER

profil: Sie sagten mehrmals, dass Sie Emmanuel Macron nicht aus Überzeugung wählten. Welche Vorbehalte haben Sie? Elisabeth Badinter: Einerseits steht er jener Art von Demokratie, die ich mir wünsche, am nächsten. Außerdem ist er jung und brillant und flößt mir Respekt ein. Andererseits weiß ich nicht, wer Macron tatsächlich ist. Wir alle wissen es nicht. Wir wissen nicht, welchen Charakter er hat und wie er regieren wird. Wir wissen nicht, ob er einen rechten oder einen linken Premierminister ernennen wird. Wir befinden uns in einem Stadium der totalen Verunsicherung. Es beunruhigt mich, dass Frankreich ein Land der Extreme geworden ist: 50 Prozent der Wähler stimmten im ersten Wahlgang für extrem rechte oder extrem linke Kandidaten. Wir sind also mit einer ganz neuen politischen Landschaft konfrontiert. Wie soll man unter solchen Voraussetzungen regieren? Für das, was Macron versucht, gibt es in ganz Europa kein Vorbild.

profil: Sie sind Frankreichs berühmteste Feministin. Als welche Art von Männertyp würden Sie Macron klassifizieren? Badinter: Er ist sehr charmant, ein Verführer.

profil: Und sehr unkonventionell, was sein Privatleben betrifft. Ist eine 24 Jahre ältere First Lady nicht auch ein Sieg für den Feminismus? Badinter: Das ist mir völlig egal. Ob eine ältere oder jüngere Frau an seiner Seite steht, hat für mich keinerlei politische Bedeutung. Mein Kandidat war ohnehin Manuel Valls - weil er als Einziger eine klare Position zum Laizismus vertrat.

profil: In einem viel diskutierten Interview mit der Zeitschrift "Le Monde des Religions“ attestierten Sie 2011 Marine Le Pen eine klare Haltung in der Frage der Trennung von Religion und Staat. Badinter: Das war ein Aufruhr! Tatsächlich nannte ich in diesem Zusammenhang sowohl den späteren Premierminister Manuel Valls als auch Madame Le Pen. Doch seltsamerweise wurde Valls in der Interviewfassung, die im Netz kursierte, gestrichen.

profil: Nun hat Valls der Sozialistischen Partei (PS) den Rücken gekehrt und sich Macrons Partei République en Marche zugewandt. Hat Sie das enttäuscht? Badinter: Ich mag es nicht, wenn jemand sein Lager verlässt. Ich hätte es besser gefunden, wenn er bei den Sozialisten geblieben wäre und die Partei auf Basis ihrer eigenen Philosophie verändert hätte.

Wir sind längst in einer Phase, in der das Geschlecht bei der Stimmabgabe keinerlei Bedeutung mehr hat.

profil: Gibt es zwischen der zentristischen République en Marche und der linksradikalen Partei von Jean-Luc Mélenchon überhaupt noch Platz für die Sozialisten? Badinter: Es wird immer Platz sein für eine sozialdemokratische Partei. Der rechte Flügel, der versuchte, sozialliberale Wirtschaftspolitik und soziale Gerechtigkeit miteinander zu kombinieren, hat durchaus seine Berechtigung.

profil: Sind die 10,6 Millionen Stimmen, die Marine Le Pen erhielt, nicht auch ein Beweis dafür, dass selbst sehr weit rechts stehende Wähler bereit sind, eine Frau an der Macht zu akzeptieren? Badinter: Wir sind längst in einer Phase, in der das Geschlecht bei der Stimmabgabe keinerlei Bedeutung mehr hat. Menschen wählen nicht einen Mann oder eine Frau, sondern jemanden, der ihre persönlichen Interessen und Werte vertreten könnte - abgesehen davon, dass Madame Le Pen hinter keiner einzigen feministischen Idee steht. Erinnern wir uns nur an ihre ungeheuerlichen Aussagen zur Abtreibung, die sie als "allzu bequeme Lösung“ bezeichnete. Zudem versteht sie den Laizismus nicht als Philosophie, sondern als Waffe - und zwar ausschließlich im Zusammenhang mit dem Islam, nie mit dem Christentum. Sie spielt damit, so wie es ihr gerade nützt.

profil: Sie sagen, das Geschlecht spiele in der Politik keine Rolle mehr. Hat Hillary Clinton die US-Präsidentschaftswahlen also nicht deshalb verloren, weil sie eine Frau ist? Badinter: Hillary Clinton hat verloren, weil sie eine Repräsentantin des Establishments und der Elite ist. Sie spricht nicht die Sprache eines Großteils der Amerikaner. Sie war nicht sehr umsichtig in der Wahl ihrer Worte. Außerdem hatten die Menschen wahrscheinlich genug von den Clintons.

profil: Sie sagten in einem Interview, Marine Le Pen habe ihre Maske fallen gelassen. Was genau meinten Sie damit? Badinter: Bis zur letzten TV-Debatte hatte sie suggeriert, dass sie den Extremismus, den Antisemitismus und die Brutalität ihres Vaters überwunden habe. Sie verstand es, sich als "wählbar“ darzustellen. Doch an diesem Abend hat sie wohl Amphetamine oder irgendetwas anderes zu sich genommen, um Mut und Energie für die Konfrontation mit Macron zu bekommen, der ja der weit bessere Ökonom ist. Und plötzlich kam alles so sorgfältig Versteckte wieder hoch. Ihr Benehmen an diesem Abend war lächerlich und beschämend: ihre fahrigen, großen Gesten, ihr lautes, fast viriles Verhalten. Man konnte ihr förmlich dabei zusehen, wie sie sich selbst zerstörte. Da zeigte sie ihr wahres Gesicht.

profil: Sie beziehen sich in Ihrer Islamkritik immer wieder auf die Unterdrückung der Frauen. Viele unterwerfen sich jedoch freiwillig den strengen Regeln. Badinter: Es gibt drei Arten von Frauen: erstens die religiös Überzeugten, für die ihre Religion identitätsstiftend wirkt; zweitens diejenigen, die den Islam dazu benutzen, um sich vom Rest der französischen Gesellschaft abzugrenzen; und schließlich die vielen Mädchen in den Vororten und Satellitenstädten, die gar keine andere Wahl haben, als sich ihren Familien, ihren Männern und dem Iman zu unterwerfen.

profil: Das ist insofern ein heikles Thema, als sich der Verdacht der Islamophobie aufdrängt. Badinter: Darauf habe ich nur eine Antwort, die ich schon einmal gab und die in der Folge hohe Wellen schlug: Es muss einem egal sein, ob man als islamophob abgestempelt wird. Man darf in Frankreich alles kritisieren: Religionen, Meinungen, Haltungen, Ideologien. Die Islamisten interpretieren jede Form von Kritik sofort als Islamophobie und wollen damit alle Kritiker mundtot machen. Und die "politisch Korrekten“ agieren ähnlich, allerdings aus einer anderen Motivation: Sie wollen die Kinder der Immigranten schützen. Aus Angst, als Rassisten dazustehen, behalten deshalb viele ihre Kritik für sich. Ich werde mich weiter dazu äußern, der Rest ist mir egal.

Natürlich war Maria Theresia Antisemitin, aber das waren um diese Zeit alle.

profil: Kopftuch ja oder nein? Badinter: Das Gesicht muss frei bleiben, also keine Burka, keine Verschleierung. Ob eine Frau sich zu einem Kopftuch entschließt oder in einem winzigen Minirock durchs Leben zieht, muss ihr überlassen bleiben.

profil: Ihr Vater war Jude. Badinter: Ich bin es auch, denn meine Mutter ist konvertiert.

profil: Im Wahlkampf wurde Macrons Tätigkeit bei der Investmentbank Rothschild dazu benutzt, um ihn zu diffamieren. Badinter: Da gebe ich Ihnen hundertprozentig recht. Der Name Rothschild ist für viele mit dem leibhaftigen Teufel gleichzusetzen. Hätte Macron bei Crédit Agricole gearbeitet, wäre das mit Sicherheit weniger häufig erwähnt worden. Das war eine subtile antisemitische Strategie. Noch dazu ist Rothschild eine Bank für die Elite. Das wiegt doppelt schwer.

profil: Sie stammen aus einer sehr bekannten, wohlhabenden Familie. Waren Sie selbst auch schon antisemitischen Attacken ausgesetzt? Badinter: Nein. Offener Antisemitismus ist in Frankreich geächtet. Das darf man sich nicht erlauben. Deswegen betont Marine Le Pen auch ständig, dass sie jüdische Freunde hat, und aus demselben Grund brach sie mit ihrem Vater. Aber wir dürfen nicht naiv sein: In jeder Gesellschaft gibt es Rassismus und Antisemitismus.

profil: Sie haben Ihr jüngstes Buch, das den Untertitel "Die Macht der Frau“ trägt, der österreichischen Habsburger-Herrscherin Maria Theresia gewidmet - einer Regentin voller Widersprüche, die unter anderem eine prononcierte Judenhasserin war. Diesen Aspekt erwähnen Sie seltsamerweise nicht. Badinter: Natürlich war Maria Theresia Antisemitin, aber das waren um diese Zeit alle. Ja, sie war extrem bigott und verfolgte die Juden. Aber das galt für die Protestanten gleichermaßen. Und im Vergleich mit anderen Ländern ging es den Juden in der Habsburger-Monarchie noch relativ gut. Es gab keine Pogrome wie anderswo. Auch in Frankreich mussten die Juden im Mittelalter einen gelben Stern tragen, der Zugang zu den Städten war ihnen verwehrt. Maria Theresia war ein Kind ihrer Zeit.

profil: Sie beschreiben Maria Theresia als eine Pionierin der Doppelbelastung. Badinter: Sie war die erste Regentin in der Geschichte, die zwei Körper hatte. Damit meine ich, dass sie Weiblichkeit, Mütterlichkeit und Hoheitsgewalt in sich vereinte. Der natürliche Körper war keineswegs ein Hindernis, sondern erwies sich durch die Geburt von 16 Kindern als wichtigster Trumpf, um ihre Macht zu festigen. Das machte sie so einzigartig.

Der Feminismus stagniert, und das schon seit circa 30 Jahren.

profil: Gibt es eine zeitgenössische Politikerin, die Sie an Maria Theresia erinnert? Badinter: Angela Merkel. Sie vermittelt Mütterlichkeit, Sicherheit und auch Versöhnlichkeit und wird nicht umsonst "Mutti Merkel“ genannt, obwohl sie selbst kinderlos ist.

profil: Als Theresa May für den Parteivorsitz der britischen Tories kandidierte, warf ihr eine Rivalin Mangel an Führungskompetenz vor, weil May kinderlos sei. Badinter: Dieser Diskurs war ekelerregend. Da wurde die allertiefste Schublade aufgemacht.

profil: Täuscht der Eindruck, dass der Kampf zwischen den Geschlechtern zunehmend zu einem Kampf der Lebenskonzepte unter Frauen wird? Badinter: Da gebe ich Ihnen völlig recht. Vor sieben, acht Jahren zogen die ökologischen Still-Mütter in die Schlacht und wollten die Frauen mit ihrem Zurück-zur-Natur-Geschrei wieder auf das Häusliche beschränken. Inzwischen ruft die extreme Rechte zur Rückbesinnung auf alte Traditionen auf. Der Kulturkampf um die Ehe für alle wäre vor einigen Jahren in dieser Form undenkbar gewesen. Es geht aber prinzipiell schon lange nicht mehr um die Grabenkämpfe zwischen Männern und Frauen, sondern um die Kämpfe zwischen oben und unten, entscheidend sind soziale und ideologische Trennlinien. Aber der Feminismus stagniert, und das schon seit circa 30 Jahren.

profil: Mit dem Frauenmarsch in Washington im vergangenen Jänner, der weltweit Millionen von Sympathisantinnen fand, hat sich doch wieder ein generationsübergreifender Feminismus zu Wort gemeldet. Badinter: Das haben wir Donald Trump zu verdanken, der uns mit seinen obszönen, unfassbaren Aussagen in eine längst vergangene Zeit zurückbefördert hat. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Trump auch von sehr vielen Frauen gewählt wurde.

profil: Wie erklären Sie sich das? Badinter: Noch einmal: Menschen wählen kein Geschlecht, sondern jemanden, von dem sie sich erhoffen, dass er ihre Werte bedient. Und sie haben, das beobachte ich in Frankreich sehr stark, ein großes Bedürfnis nach Ordnung und nach jemandem, der Ordnung schafft.

profil: Gleichzeitig stecken die Männer in einer Krise, die sich auf ihre Psyche und ihre Beziehungsfähigkeit niederschlägt. Badinter: Diese Krise ist auch ein Resultat der harten Arbeit der Feministinnen, die Männern seit Jahrzehnten erzählen, was sie für Dreckskerle sind. Die Männer stehen unter permanentem Druck. Sie leiden unter Identitätsverlust und wissen nicht mehr, wie Männlichkeit auszusehen hat. Ihre frühere Vormachtstellung existiert längst nicht mehr.

profil: In Österreich wurde kürzlich ein Frauenvolksbegehren lanciert, in dem auch ein Verbot von sexistischer Werbung und von Spielzeug, das Geschlechterstereotypen bedient, gefordert wird. Was halten Sie von solchen Maßnahmen? Badinter: Darauf kann ich Ihnen keine eindeutige Antwort geben. Natürlich befürworte ich, dass der Kampf gegen solche Stereotypen geführt wird. Andererseits dient ein Feminismus, der mit Sanktionen und Repressionen arbeitet, der Sache im Grunde nicht. Da werden auf eine sehr autoritäre Weise ganze Gebirge von Verboten angehäuft. Das gefällt mir nicht.

profil: Wie reagieren Sie auf junge Frauen, die den Feminismus zu einem alten Hut erklären, der in ihrem Leben keinerlei Relevanz besitzt? Badinter: Ich kenne diese jungen Frauen und auch ihre Sprüche. Aber das ändert sich sehr schnell, sobald sie in den Arbeitsmarkt eintreten und erstmals begreifen lernen, dass sie tatsächlich weniger verdienen als Männer.

profil: Sie haben sich klar gegen das Prostitutionsverbotsgesetz ausgesprochen. Badinter: Ich halte es für lächerlich und absurd, Männer zu bestrafen, die zu Prostituierten gehen. Damit bestraft man auch diejenigen Prostituierten, die sich aus freien Stücken für ihr Gewerbe entschieden haben. Frauen müssen das Recht zur Selbstbestimmung haben und über ihren Körper frei verfügen können.

profil: Es ist aber nicht so, dass all diese Frauen aus eigenem Willen handeln. Viele stehen auch in einem Abhängigkeitsverhältnis gegenüber Zuhältern und Menschenhändlern. Badinter: Rund 20 Prozent aller französischen Prostituierten arbeiten frei und unabhängig. Der Kampf sollte gegen die Mafia-Netzwerke geführt werden, die solche Frauen versklaven. Doch dieser Kampf würde solche Unsummen verschlingen, dass sich das die meisten Länder nicht leisten wollen.

profil: Alice Schwarzer würde in dieser Causa mit Ihnen in den Ring steigen. Badinter: Ich bin gut befreundet mit Alice, aber es stimmt: Bei den Themen Prostitution und Pornografie kriegen wir uns regelmäßig in die Haare. Wir versöhnen uns dann aber auch sehr schnell wieder.

profil: Frankreich denkt in Fragen der Sexualität seit jeher weniger politisch korrekt. Badinter: Wir Franzosen haben zur Sexualität wohl tatsächlich ein ungezwungeneres Verhältnis.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort