Rechtsextreme Ausschreitungen in England: „Wut gegenüber Migranten“
Seit vergangener Woche kommt es in mehreren Städten in England zu Ausschreitungen und Demonstrationen rechter Gruppierungen. Rechtsextreme attackieren Moscheen und Flüchtlingsunterkünfte. Schwarze und muslimische Engländerinnen und Engländer fürchten sich davor, ihr Haus zu verlassen. Bisher gab es mehr als 150 Festnahmen. Die britische Regierung hat einen Krisenstab einberufen und kündigte an, streng gegen die Demonstrierenden vorzugehen.
Auslöser war ein Messerangriff vergangenen Montag, bei dem ein 17-Jähriger in Southport, einer Küstenstadt in der Nähe von Liverpool, drei Kinder tötete und acht weitere sowie zwei Erwachsene verletzte. Seit dieser Attacke kursieren im Internet Falschinformationen über die Herkunft des Täters. Es wird behauptet der 17-Jährige sei muslimischer Asylwerber. Die Polizei betont, der Täter sei in Großbritannien geboren worden, seine Eltern stammen aus Ruanda.
Medienberichten zufolge war der ausschlaggebende Grund für die Ausschreitungen der Rechten in England die Falschinformation über die Herkunft des Täters der tödlichen Messerattacke in Southport. Stimmt das?
Julia Ebner
Es hat auf jeden Fall schon sehr stark gebrodelt, und es wurden auch Gefühle reaktiviert, die lange in sehr großen Teilen der Bevölkerung vorhanden waren. Vor allem solche, die von diesen rechten Netzwerken über Monate, wenn nicht sogar Jahre bedient wurden. Was wir jetzt gesehen haben, ist, dass es eine sehr schnelle Kettenreaktion gab, wo es zu einer rapiden Verbreitung von Falschmeldungen kam. Und dass die tiefen Emotionen, also Ängste, aber auch Wut und Frustration gegenüber der Politik und auch gegenüber Migranten und Muslimen, sehr stark bedient wurden. Ich denke, es war eine Frage der Zeit, bis etwas passiert, das so stark ausgenutzt werden kann.
Wer sind die Menschen, die gerade auf die Straßen gehen und randalieren?
Julia Ebner
Es sind Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen. Ja, es sind Rechtsextremisten dabei und Mitglieder rechtsextremistischer Organisationen, wie zum Beispiel der Patriotric Alternative oder der früheren English Defence League, wo auch Fußball-Hooligans dabei sind. Und klar, gewaltbereite Randalierer gibt es auch.
Aber es sind auch Menschen dabei, die erst vor Kurzem dazugekommen sind, die vielleicht schon Follower von rechten Influencern waren, teilweise auch ganz normale Menschen, die sich als besorgte Bürger sehen würden. Und die mit ihren Kindern oder im hohen Alter noch zu den Demonstrationen gegangen sind. Menschen unterschiedlicher Altersgruppen, unterschiedlicher sozioökonomischer Hintergründe und auch unterschiedlicher Bildungshintergründe.
Gibt es eine bestimmte Ideologie, die alle diese Gruppen befolgen?
Julia Ebner
Die Feindseligkeit gegenüber Migranten und migrantischen Communities, aber auch die Feindseligkeit gegenüber dem so genannten Establishment ist allen gemein. Auf dieser Basis ist, denke ich, diese Zusammenkunft überhaupt erst möglich gewesen.
Wie wurden diese Protestierenden genau mobilisiert?
Julia Ebner
Diese unterschiedlichen Netzwerke, die bedient wurden, um Zielgruppen zu mobilisieren, wurden auch schon vor den jetzigen Protesten angesprochen. Die Patrioric Alternative hat zum Beispiel ein deutlich jüngeres Zielpublikum. Die macht ihre Kampagnen vor allem an Universitäts-Campussen oder an Schulen. Sie organisiert Online-Videospiel-Konferenzen und Sommercamps. So ähnlich wie die Identitäre Bewegung in Österreich. Die English Defence League oder das, was von ihr übrig geblieben ist, und die Netzwerke um ihren Gründer Tommy Robinson bedienen wiederum ein älteres Publikum; etwa Football-Hooligans und Menschen, die gegen Migration oder Muslime sind. Dann gibt es auch noch andere Influencer, wie zum Beispiel Laurence Fox, der ein Verschwörungstheoretiker-Netzwerk hat und ein relativ breites Publikum, das er dort ansprechen kann; dann gibt es noch Influencer wie Andrew Tate, die eine antifeministische, frauenfeindliche Zielgruppe haben. Es sind ganz unterschiedliche Zielgruppen, die da bedient wurden. Die Rhetorik, die alle verwenden, basiert auf dem Slogan „Rettet unsere Kinder“. Das ist eine Rhetorik, die schon zuvor gegen Muslime verwendet wurde, um Gewalt zu mobilisieren.
Welche Bedeutung hat hier Social Media?
Julia Ebner
Vor allem auf Telegram gibt es sehr aktive Gruppen, die auch schon in der Vergangenheit zu Protesten mobilisiert haben. Ich sehe auch eine sehr starke Ähnlichkeit zu den Ausschreitungen 2018 in Chemnitz, wo auch schnell eine Kettenreaktion entstanden ist und wo sich rapide Falschmeldungen verbreitet haben und Menschen mobilisiert wurden. Online findet man die Mobilisierung und die Verbreitung von Hass, der sich dann in Offline-Aktivitäten und Gewalt zeigt. Jetzt wurden auch auf Telegram-Kanälen ganz extreme, von gewalttätigen Organisation erstellte Guides geteilt, die beschreiben, wie man Brandstiftung durchführt. Es wurden Listen von Asylwerber-Rechtsanwälten mit dem Aufruf, diese zu attackieren, erstellt. Eine sehr beunruhigende Dynamik, weil das noch mehr zu Gewaltanstiftungen mobilisiert, mit konkreten Daten dahinter.
Kann man sagen, inwiefern sich die rechte Szene in Großbritannien von jener in Österreich und Deutschland unterscheidet?
Julia Ebner
Sie unterscheidet sich vor allem dadurch, dass andere Themenblöcke für die Mobilisierung ausgenutzt werden. Zum Beispiel die angeblichen Vergewaltigungsgangs, das ist etwas doch sehr Britisches. Muslimen wird nachgesagt, sie seien Teil von Vergewaltigungsgangs. Es gibt auch eine viel stärkere Vernetzung einiger rechtsextremen Gruppen mit der Hooligan-Community. Das ist nicht unbedingt in Österreich der Fall. Es gibt aber auch Bewegungen, die der Identitären Bewegung ähnlich sind, sowohl was die Ideologien, aber auch was die Taktik betrifft.
Wie sollte die Regierung handeln, um zu verhindern, dass es zu weiteren Ausschreitungen kommt?
Julia Ebner
Premier Keir Starmer hat gedroht, dass Protestierende hart bestraft werden. Ich bin mir nicht sicher, wie wirksam solche Drohungen sind. Ich finde es wichtig, an den psychologischen Ursachen und an den Gruppendynamiken anzusetzen, um zukünftige Ausschreitungen zu verhindern. Man muss besser verstehen, was diese Menschen antreibt und wie man dagegen arbeiten kann. Gerade dieses sehr stark wachsende Gefühl von Gruppenzugehörigkeit muss irgendwie gestoppt werden. Extrem wichtig ist auch die Online-Welt. Natürlich hat „X“ hier einen ganz großen Beitrag geleistet, leider. Seit Elon Musks Übernahme haben hier Verschwörungsmythen auf internationaler Ebene zugenommen. Die Plattformen sind auch nicht bereit dazu, Accounts, die extremistische Inhalte verbreiten, zu blockieren. Ich denke auch, dass es wichtig wäre, die Algorithmen zu regulieren, beziehungsweise die Plattformen dazu zu zwingen, ihre algorithmische Ausrichtung zu verändern, damit die Verbreitung von Desinformation und Verschwörungsmythen erschwert wird.
Wie erfolgreich sind die Gegendemonstrationen?
Julia Ebner
Grundsätzlich ist es wichtig, dass es diese Gegenproteste gibt, auch als zivilgesellschaftliches Zeichen, dass dieser rechtextremistische Hass gegen Minderheiten nicht toleriert wird. Aber es besteht natürlich immer die Gefahr, dass sich beide Seiten radikalisieren, dass es auch bei den Gegenprotesten zu mehr Gewalt kommt. Ich denke, diese Gefahr ist auf jeden Fall da. Das ist ein sehr stark polarisierendes Ereignis, das die Gesellschaft wahrscheinlich weiter spalten wird.