Spital in Wasso

Entwicklungshilfe: Versickerte Milliarden

Entwicklungshilfe: Versickerte Milliarden

Drucken

Schriftgröße

Wasso kennt niemand hierzulande. Auch polyglotten Afrika-Reisenden ist der Name dieser Ortschaft im nördlichen Tansania, weit hinten im Landesinneren, wohl noch nie untergekommen. Selbst Google Earth tut sich schwer, den Flecken am Rande der Serengeti zu finden. Und tatsächlich war hier fast nichts, bis ein Linzer Arzt 1964 beschloss, genau an dieser Stelle ein Krankenhaus für die halbnomadischen Massai zu bauen. Wasso war der richtige Ort, weil hier das ganze Jahr Wasser aus einer Quelle floss.

Noch zwei weitere Buschspitäler gründete der zu Unrecht vergessene Herbert Watschinger, ein oberösterreichischer Albert Schweitzer. In besonders entlegenen Gebieten organisierte er "Under-the-tree"-Kliniken und "bespielte" ein von einem amerikanischen Piloten gegründetes "Flying Medical Service", bei dem gleich unter dem Flügel einer Cessna ordiniert wurde. Einen "Mutter-Kind-Pass" stellte er seinen Patientinnen schon Anfang der 1970er-Jahre aus, ziemlich zeitgleich mit der Einführung dieses Passes durch die Kreisky-Regierung in Österreich.

Jetzt will der Wiener Arzt Othmar Zechner dabei helfen, das medizinische Angebot in Wasso um ein lebenswichtiges Fach zu erweitern -die Urologie. Zechner, 68, hat 21 Jahre lang die Urologische Abteilung am Wiener Wilhelminenspital geleitet und ging vor zwei Jahren in Pension. Neben seinen Wiener Privatpatienten will er jetzt die Menschen am Rande der Serengeti behandeln.

Die Massai gehen immer noch zuerst zum Medizinmann

Und das ist gar nicht so einfach. Bei seinem ersten Aufenthalt fand der Urologe etwa ein vorsintflutliches und daher kaum brauchbares Ultraschallgerät vor. Eine nähere Nachschau ergab, dass zwei neuere Geräte, die irgendwann einmal aus Europa hierher gebracht wurden, in einer Abstellkammer lagerten. Aber niemand konnte sie in Betrieb nehmen oder gar bedienen. Ein Beispiel für gut gemeinte, aber völlig sinnlose Entwicklungshilfe, findet der Urologe, der während seiner Zeit in Wasso auf viele ähnliche Beispiele stieß.

Hier ist ein Urologe mit völlig anderen Krankheitsbildern konfrontiert als in Wien: "Die Massai gehen immer noch zuerst zum Medizinmann. Nur wenn der nicht mehr weiter weiß, kommen sie ins Krankenhaus", hat der Wiener Arzt auf vielen früheren Afrika-Reisen beobachtet.

Die nächste Klinik mit einer entsprechenden Urologie-Abteilung liegt am Victoriasee, acht Autostunden entfernt. Und Autos hat hier kaum jemand. Der Provinzgouverneur fährt dafür ein sehr großes: "Er hat einen Land Cruiser in einer Dimension, die mir bis dahin noch nie untergekommen ist", erzählt Zechner. Der Gouverneur bewohne eine Villa, "die durchaus in Wien-Hietzing stehen könnte".

Entweder stecken es die Eliten selbst ein oder es wird für militärische Zwecke missbraucht

Bei seinen Spitälern ist der Staat weit sparsamer: Patienten müssen von ihren Angehörigen verpflegt werden, die kleine Spitalsküche reicht gerade zur Versorgung des Personals. In einigen Kliniken des Landes sollen Kranke verhungert sein, wird im Kreis der ausländischen Ärzte erzählt.

Finanzielle Entwicklungshilfe zu geben, sei sinnlos, weil sich das Geld in vielen falschen Taschen verläuft, meint der Wiener Urologe: "Entweder stecken es die Eliten selbst ein oder es wird für militärische Zwecke missbraucht." Europa müsse konkrete Projekte aufbauen und diese konsequent überwachen.

Die regelmäßigen Berichte des Europäischen Rechnungshofs bestätigen das. Vor drei Jahren konstatierte das von den EU-Regierungschefs eingesetzte Aufsichtsgremium, in der Republik Kongo seien seit 2003 fast 1,9 Milliarden Euro völlig folgenlos verschwunden. Eine weitere Milliarde sei im Wüstensand Ägyptens versickert.

Anfang Jänner dieses Jahres hieß es in einem neuen Rapport des EU-Rechnungshofs, von 915 Hilfsprojekten in West-und Zentralafrika seien nur zehn von Experten kontrolliert worden, also bloß 1,7 Prozent. In Marokko und Nigeria rätseln die Prüfer bis heute über den Verbleib von je einer halben Milliarde Euro.

In das Straßennetz von sieben Staaten südlich der Sahara - darunter Tansania - hat die Europäische Union seit 1995 mehr als sieben Milliarden Euro investiert. Die Kontrolleure des Rechnungshofs kamen 2013 in einem Sonderbericht zu einem betrüblichen Fazit: "Die Partnerländer unternehmen keine ausreichenden Bemühungen, um die Nachhaltigkeit der Straßeninfrastruktur sicherzustellen. In allen Partnerländern sind die Straßen von vorzeitigem Verschleiß betroffen."

Dabei ist dieses "österreichische" Krankenhaus im afrikanischen Busch durchaus ein Vorzeigeprojekt, was auch der Entschlossenheit von Gründer Watschinger zu danken ist. Die Tuberkulose bekämpfte der Arzt mit einem eher brachialen Mittel: TBC-kranke Massai behandelte er nur unter der Auflage, dass sie als Pfand eine Kuh im Spital einstellen, die sie nur zurückbekamen, wenn sie die gesamte Behandlung durchlaufen hatten - eine Grunderfordernis für eine erfolgreiche Therapie.

Urologe Othmar Zechner

Finanziert wurden Watschingers Aktivitäten großteils durch Spenden, oft solchen aus der Sternsinger-Aktion in Österreich, und mithilfe großzügiger Unterstützung durch das Land Oberösterreich und die Diözese Linz. Die Krankenhäuser wurden später von der Erzdiözese Arusha übernommen (etwa 40 Prozent der Tansanier sind Christen), für die Finanzierung sollte der Staat aufkommen.

Funktionieren kann das Krankenhaus von Wasso freilich nur, weil immer wieder Ärzte aus Europa kostenlos in der Station mit 160 Betten arbeiten. Es gibt viel zu wenige einheimische Ärzte, was angesichts der Kosten eines Medizinstudiums nicht weiter verwundert: Die Gebühren belaufen sich auf 4000 bis 5000 Euro jährlich.

Sie selbst haben Verbrennungen mit einer Mischung aus Honig und einer getrockneten Flechte behandelt

In Wasso ist man auf die am häufigsten auftretenden Krankheiten eingestellt: Malaria, Lungenentzündung, Durchfall, Aids. Manchmal kommen auch Massai, die von Leoparden angefallen wurden. Außerdem gibt es Geburtshilfe und eine Zahnklinik.

Das Spital in Wasso ist ein Beispiel dafür, wie Entwicklungshilfe auch aussehen könnte. Der nach dem Spitalsgründer benannte Verein "Pro Watschinger", getragen vom oberösterreichischen Cartellverband, sowie ein noch von Watschinger selbst eingerichteter Fond, der von seiner Nichte verwaltet wird, bezahlen etwa der Leiterin der Spitalsapotheke ein Studium der Pharmazie, das sich die junge Frau nie leisten könnte: Es beläuft sich auf 7000 Euro pro Jahr. Für das heurige Studienjahr vergeben der Verein und der Fonds insgesamt 35.000 Euro an Stipendien für medizinische Studienrichtungen. Das freilich unter strengen Auflagen: Kommt der Bezieher den Studienanforderungen aus eigenem Verschulden nicht nach, muss er das Geld zurückzahlen. Die Stipendiaten müssen sich auch verpflichten, nach dem Studium eine gewisse Zeit Dienst in einer der vom "Pro Watschinger"-Verein gesponserten Stationen im Buschland zu leisten.

Die Gesundheitsstatistiken Tansanias weisen trotz aller Mängel nicht jene katastrophalen Werte auf wie etwa in Westafrika. Die Säuglingssterblichkeit sinkt -aber noch immer sterben 108 von 1000 Kindern vor dem fünften Lebensjahr (in Österreich sind es vier von 1000). Die Lebenserwartung steigt - dennoch leben Tansanier um 20 Jahre kürzer als Europäer.

Manchmal sind die Lösungen auch ganz einfach. Immer wieder wurden Kinder mit schrecklichen Brandwunden ins Wasso-Hospital gebracht, die beim Spielen in eines der offenen Kochfeuer gefallen waren. Der "Pro Watschinger"-Verein schickte aus Linz einige Kisten mit Eisenstäben, die vor Ort zu einem schützenden Gitter über der Feuerstelle gebogen wurden. Die Zahl der verletzten Kinder ging seither drastisch zurück.

Gelernt haben daraus die Tansanier, gelernt hat aber auch der Zechner: "Sie selbst haben Verbrennungen mit einer Mischung aus Honig und einer getrockneten Flechte behandelt. Und das hat exzellent funktioniert."