EU-Lexikon: Das Einstimmigkeitsprinzip
Die Europäische Union muss sich oft den Vorwurf gefallen lassen, nicht handlungs- und entscheidungsfähig genug zu sein – zuletzt bei dem Versuch, eine europaweite Digitalsteuer einzuführen, die vor allem Internetkonzerne wie Google und Facebook stärker zur Verantwortung ziehen sollte. Der Vorschlag scheiterte, weil Irland, Dänemark und Schweden dagegen waren, drei Staaten, die weniger als fünf Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.
Aufhebung gefordert
Im Kampf für mehr Steuergerechtigkeit ist Europa seit Jahren gelähmt. Der Grund dafür liegt im Prinzip der Einstimmigkeit: Ein einzelnes Land kann blockieren, worauf sich eine Mehrheit der Länder geeinigt hat. Zwar kommt mit 80 Prozent ein Großteil aller EU-Rechtsvorschriften im Europäischen Rat nach dem Abstimmungsprinzip der sogenannten qualifizierten Mehrheit zustande – wenn also 55 Prozent der EU-Staaten mit 65 Prozent der EU-Bevölkerung dafür sind. Doch in einigen Angelegenheiten, die von den Mitgliedsstaaten als besonders sensibel betrachtet werden, müssen sich alle Beteiligten einig sein. Neben Steuerfragen gilt das etwa auch für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Finanzen oder Bürgerrechte. Im Zuge des EU-Wahlkampfes fordern nun erneut Politiker unterschiedlicher Couleur, das Einstimmigkeitsprinzip, vor allem in Steuerfragen, abzuschaffen, darunter auch die Spitzenkandidaten von ÖVP (Othmar Karas) und SPÖ (Andreas Schieder).
Einfach wird eine Aufhebung jedoch nicht – denn dafür wäre wiederum eine einstimmige Entscheidung aller Mitgliedsländer erforderlich. Erst im Jänner scheiterte die EU-Kommission am Reformvorschlag, in Steuerfragen mit qualifizierter Mehrheit zu entscheiden. Im Februar sprachen sich 18 der 28 Mitgliedsländer dagegen aus. Viele Staaten fürchten, ihre nationalen Interessen nicht durchsetzen zu können, wenn das Prinzip der Einstimmigkeit fällt. Das geht jedoch auf Kosten der europäischen Handlungsfähigkeit.