EU-Wahlen: Wer geht ins Rennen?
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Ursula von der Leyen: Die grüne Konservative
Europa sei „Teil ihrer Familie“. Die CDU-Politikerin und siebenfache Mutter wurde 1958 in Brüssel geboren. Ihr Vater war einst Beamter in der Kommission gewesen. Er habe ihr „am Küchentisch“ oft davon erzählt, wie kostbar Europa sei.
Mit dieser Anekdote eröffnete Ursula von der Leyen ihre Bewerbungsrede für eine zweite Amtszeit. Seit 2019 bekleidet die ehemalige Verteidigungsministerin Deutschlands das höchste Amt der Union. Ihre Personalie sorgte für Tumult, denn nicht sie, sondern Manfred Weber (CSU) war als Spitzenkandidat aufgestellt worden. Am Ende zauberten die Staats- und Regierungschefs von der Leyen aus dem Hut. Ihr gewichtigster Fürsprecher: Frankreichs Präsident Macron.
Europa ist eine Frau.
Es war ein holpriger Anfang, aber mittlerweile hat sich von der Leyen einen Namen als Krisenmanagerin gemacht. Ihre Kommission ist geopolitisch orientiert, sie will sich gegenüber Russland und China behaupten. Von der Leyen plädiert für die Koordination nationaler Streitkräfte und Waffenlieferungen an die Ukraine.
Eine klassische Konservative ist sie nicht. Ihr „Green Deal“ (Klimaneutralität bis 2025 und Halbierung der Treibhausgasemissionen bis 2030) war der konservativen Basis zu ambitioniert. Zuletzt musste von der Leyen ein Pestizidgesetz kippen, weil Bauern demonstrierten. Dennoch: Sie gilt weiterhin als aussichtsreichste Anwärterin für die Spitzenkandidatur.
Nicolas Schmit: Roter Unbekannter
Nicolas Schmit ist ein klassischer Sozialdemokrat der alten Garde: Als Kommissar in Brüssel kämpfte der Luxemburger erfolgreich für Mindestlöhne und faire Arbeitsbedingungen, nun tritt er bei den EU-Wahlen als Spitzenkandidat für Europas Sozialdemokraten an. Als Chef der EU-Kommission würde er die Arbeitsweise der Behörde im Sinne von mehr Transparenz reformieren. Das Problem: Kaum jemand kennt den 70-Jährigen.
Ein Interview mit Nicolas Schmit lesen Sie hier.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Liberale Verteidigungsexpertin
Die deutsche Verteidigungspolitikerin ist nach Christian Lindner das bekannteste Gesicht der liberalen FDP. Die 66-Jährige scheut keine Debatte. Legendär ist etwa ihr Streitgespräch mit der Vorsitzenden der rechtsextremen AfD über Wladimir Putin. Alice Weidel wirft Strack-Zimmermann vor, eine „Lobbyistin der Rüstungsindustrie“ zu sein. Strack-Zimmermann antwortet: „Ihre Politik baut auf üblen, braunen Humus.“
Das Video hat auf YouTube über drei Millionen Aufrufe.
Dieses Rampenlicht fehlt der Liberalen in Brüssel. Rückendeckung bekommt sie im Wahlkampf vom Italiener Sandro Gozi und der Macron-Vertrauten Valérie Hayer.
Die Ukraine braucht unsere Unterstützung, und sie bekommt sie.
Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist Strack-Zimmermanns zentrales Thema. „Die Ukraine braucht unsere Unterstützung, und sie bekommt sie“, sagte sie im Februar in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag. Wladimir Putin zeige der freien Welt „den Mittelfinger“.
Als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses geriet sie immer wieder mit Bundeskanzler Scholz (SPD) aneinander, zuletzt in der Frage, ob Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine geliefert werden sollen. In dieser Frage stimmte Strack-Zimmermann gegen die Ampel-Regierung (der die FDP angehört) und mit der oppositionellen CDU. Das war ein Novum. „Eigenprofilierung geht für sie offenbar vor Bündnisdisziplin“, schrieb daraufhin die deutsche „Zeit“.
Die Liberalen stellen mit „Renew“ derzeit die drittstärkste Fraktion. Der Rechtsruck könnte das ändern. Umfragen zufolge könnten die Europäische Konservativen und Reformer (EKR), denen auch die Partei von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni angehört, auf diesen Platz vorrücken.
Terry Reintke & Bas Eickhout: Grünes Duo
Sie war 27 Jahre alt, als sie 2014 als jüngste Abgeordnete ins Europäische Parlament einzog. Die im deutschen Ruhrgebiet geborene Terry Reintke hat es seitdem bis an die Spitze der Europäischen Grünen geschafft. Gemeinsam mit dem Niederländer Bas Eickhout führt sie die Parteienfamilie in den Wahlkampf. Das deutsch-niederländische Tandem gibt sich trotz düsterer Prognosen kämpferisch.
2019 schnitten die Grünen bei der Europawahl überraschend stark ab, was unter anderem mit der damals populären Fridays-for-Future-Bewegung zu tun hatte. In Deutschland überholten sie bei der EU-Wahl sogar die SPD. Mit 72 Abgeordneten stiegen Europas Grünen daraufhin zur viertgrößten Fraktion im EU-Parlament auf. Jetzt sagen die Umfragen Verluste voraus. Die Grünen könnten ein Drittel ihrer Stimmen einbüßen.
Wir müssen diese Gelegenheit für einen demokratischen Aufbruch nutzen.
Einerseits sind die Kernthemen der Grünen längst von den Bürgerlichen vereinnahmt worden. Ursula von der Leyen und ihr „Green Deal“ ist das beste Beispiel dafür. Andererseits dominieren Krieg und Krisen die Debatten und lassen wenig Raum für Öko-Themen. Deswegen wirbt Reintke auch mit dem Thema einer wehrhaften Demokratie, angesichts des Rechtsrucks und prorussischer Desinformationskampagnen ein heißes Thema. „Wir müssen diese Gelegenheit für einen demokratischen Aufbruch nutzen, sonst droht ein Abdriften in die erschreckenden Parallelen der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts“, so die Europapolitikerin.
Walter Baier: kommunistisches Urgestein
Der Spitzenkandidat der Europäischen Linken ist ein Österreicher. Walter Baier, 70 Jahre alt, gilt als Urgestein der Kommunistischen Partei (KPÖ). In Brüssel ist Baier ein Neuling. Präsident der Europäischen Linken (EL) ist er seit gerade einmal einem Jahr. Ein Nachteil? Nein, denn laut ihm spiele sich Europa nicht nur in Brüssel ab, sondern auch anderorts. Zum Beispiel im Alltag der Arbeiterklasse.
„Wir wollen nicht, dass der Kampf für Klimagerechtigkeit zu einer Angelegenheit der wohlhabenden bis mittleren Klassen wird“, so Baier. Den Grünen wirft er in dieser Frage einen „elitären Ansatz“ vor. Die Prioritäten der Linken im Wahlkampf: eine gesetzliche Mietobergrenze und das Recht auf bezahlbaren Wohnraum in den EU-Verträgen. „Europa wäre tatsächlich ein guter Ort zum Leben. Dazu müsste allerdings jeder das Recht auf einen anständig bezahlten Arbeitsplatz und eine angemessene, erschwingliche Wohnung, kostenlose Bildung, Gesundheitsversorgung und Mobilität haben“, so Baier. Höhere Rüstungsausgaben lehnt seine Fraktion ab.
Wir brauchen keine neuen Waffen in Europa.
Er fordert, das Geld lieber in Kunst, Bildung und das Gesundheitswesen zu investieren. „Wir brauchen keine neuen Waffen in Europa, sondern eine Friedensordnung, die auf Gewaltverzicht beruht“, lässt er sich zitieren. Umfragen sagen Baiers Fraktion einen Zugewinn von 41 auf 47 Sitze voraus. Doch die linken Parteien im EU-Parlament gelten als gespalten, und so ist es nicht ausgeschlossen, dass es zu Umgruppierungen kommt und die Fraktion am Ende sogar Sitze einbüßen muss.
Franziska Tschinderle
schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.