EVP-Chef Weber und Italiens Ministerpräsidentin Meloni
EU

EVP-Chef Weber buhlt um Giorgia Meloni: Ziemlich rechte Freunde

Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni erweist sich europapolitisch als überraschend gemäßigt. Kann sie mit ihrer postfaschistischen "Fratelli d'Italia" Teil der Europäischen Volkspartei werden? In der Fraktion sorgt die Debatte für Unmut.

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Die Chemie scheint zu stimmen zwischen Manfred Weber und Giorgia Meloni. In den vergangenen Monaten hat der Chef der Europäischen Volkspartei (EVP) Italiens Regierungschefin gleich zwei Mal getroffen. Zuletzt saßen die beiden Anfang Jänner im Palazzo Chigi zusammen, dem Amtssitz Melonis in Rom. Die Stimmung schien ausgezeichnet gewesen zu sein. Auf Fotos ist zu sehen, wie die beiden einander lachend auf goldenen Stühlen gegenübersitzen.

Der Besuch ist an sich noch nicht ungewöhnlich. Manfred Weber ist sowohl Präsident der EVP als auch Chef der konservativen Fraktion im EU-Parlament. Vor den Wahlen in Italien sprach er sich offen für das Rechtsbündnis Melonis aus und legte sich für Silvio Berlusconi ins Zeug. Dessen "Forza Italia" ist Mitglied der EVP. Nun streben Teile der europäischen Konservativen offenbar danach, auch Melonis postfaschistische "Fratella d'Italia" aufzunehmen.

Es geht um eine breite Allianz rechts der Mitte. Weit rechts, wie es scheint.

Suche nach Allianzen: Wer im Europaparlament seine Agenden durchsetzen will, ist auf Allianzen angewiesen. Zuletzt gab es häufig eine linke Mehrheit aus Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken.

Das dürfte vor allem machtstrategische Gründe haben. Zwar ist die EVP trotz der Verluste der vergangenen Jahre immer noch die stärkste Fraktion im Europäischen Parlament. Doch die Parteienfamilie der Konservativen hat deutlich an Einfluss und wegen des erzwungenen Ausscheidens der ungarischen Partei Fidesz auch an EU-Abgeordneten verloren. Den Regierungschef stellt sie nur noch in zehn von 27 EU-Staaten. Und im Europaparlament braucht die EVP Partner, um ihre Interessen durchzusetzen. Zuletzt bildete sich die Mehrheit im Plenum häufig aus einer Allianz der Sozialdemokraten mit Grünen, Liberalen und Linken-die EVP schaute durch die Finger. Das will Manfred Weber ändern. Die Nähe zu Europas Rechten und Rechtspopulisten sucht der 50-Jährige offenbar schon länger. "Er hat seit Jahren eine Liste mit Parteien rechts der Mitte auf dem Schreibtisch liegen, die er jetzt abarbeitet", heißt es aus Brüsseler EVP-Kreisen. Dabei gehe es um die Frage, was die Konservativen aus der Konkursmasse der Rechten, konkret aus der Fraktion der "Europäischen Konservativen und Reformer" (EKR) herausholen könne.

In der EKR versammeln sich Europas Rechtspopulisten und Europaskeptiker. Hier fanden etwa die spanische VOX und die separatistische Neu-Flämische Allianz aus Belgien ihre politische Heimat. Nach dem Abgang der britischen Tories dominiert die polnische PiS die EKR. Die "Fratelli d'Italia" stieß nach der Europawahl von 2019 dazu, seit 2020 führt Giorgia Meloni die Fraktion als Präsidentin an.

Eine punktuelle Zusammenarbeit der EKR und der EVP gab es immer wieder. So unterstützte die EKR etwa die Wahl der konservativen Malteserin Roberta Metsola zur Parlamentspräsidentin. Auch in Fragen der Migration sind die Fraktionen weitgehend einer Meinung.

Weber soll auch Gespräche mit den belgischen Separatisten von der NVA und der tschechischen ODS von Premier Petr Fiala geführt haben. "Die belgischen Christdemokraten waren auf 180",heißt es aus der EVP, auch die Tschechen seien alles andere als begeistert gewesen. Auf Anfrage von profil wollen sich weder die einen noch die anderen zur Angelegenheit äußern. Besonders gruselig ist eine mögliche Allianz mit Teilen der EKR für polnische Konservative. Die "Platforma Obywatelska" von Ex-EVP-Chef Donald Tusk will die PiS bei den Parlamentswahlen im Herbst schlagen und hat kein Interesse, in Brüssel mit den Verbündeten ihres Feindes gemeinsame Sache zu machen. EVP-Abgeordnete aus Polen bezeichneten das Vorhaben Webers gegenüber dem Magazin "politico" als "Selbstmord".

"Als bürgerliche Volksparteien der Mitte grenzen wir uns sehr klar von allen Radikalen ab",heißt es auf profil-Anfrage aus Webers Kabinett. Undenkbar sei die Kooperation mit der AfD in Deutschland, mit Marine Le Pens Rassemblement National in Frankreich oder der PiS in Polen. Italien gehöre zum Kern in Europa, es müsse möglich sein, mit der dortigen Regierung zu reden.

Nur: Mit Meloni als Regierungschefin zu reden, ist etwas anderes, als eine Kooperation mit ihrer Partei auf EU-Ebene anzustreben. Darauf hat auch CSU-Chef Markus Söder hingewiesen.

Die Brandmauer nach rechts muss stehen.

Dennis Radtke, CDU-Abgeordneter im EU-Parlament

Weber selbst will sich nicht mehr öffentlich zu der Frage äußern und lehnt ein Interview auf profil-Anfrage ab. Seine Argumentation wird allerdings auch im Gespräch mit seinen Fürsprechern deutlich. Man müsse Meloni an ihren Taten messen, heißt es da. Und: Die Zusammenarbeit von EKR und EVP funktioniere in Italien, wieso also nicht auch in Brüssel?

Man müsse die Partei größer denken-auch dieser Satz ist immer wieder zu hören. Weber hat drei Grundsätze der EVP formuliert: proeuropäisch, pro Ukraine und pro Rechtsstaat. Bisher habe Meloni sich verantwortungsvoll verhalten, heißt es aus seinem Umfeld.

Giorgia Meloni

Als Regierungschefin scheint sich Meloni tatsächlich gemäßigt zu haben. Sie hat sich zur NATO bekannt und klar gegen Russland gestellt. Und sie hat im Rat der Staats-und Regierungschefs für ein Einfrieren der Milliardenzahlungen aus Brüssel an Ungarn und damit gegen ihren Verbündeten Viktor Orbán gestimmt.

Den Befürwortern einer Annäherung geht es darum, Meloni von Europas Rechtsradikalen zu isolieren und nicht etwa Marine Le Pen in die Hände zu treiben. Nur: Wenn Melonis "Fratelli" in Europafragen bisher mit der EVP gestimmt hat, wieso sollte sich das ändern, nur weil die Konservativen ihr kein Angebot machen?

Tatsächlich dürfte Webers Flirt mit Italiens Rechten machtstrategische Gründe haben.

Wir werden prüfen, ob man mit Fratelli zusammenarbeiten kann.

Lukas Mandl, ÖVP-Mandatar im EU-Parlament

Im Mai kommenden Jahres finden die Europawahlen statt. Danach geht das Gezerre um die wichtigen Posten los, es geht um den Kommissionschef, den Ratspräsidenten, den Präsidenten des Europäischen Parlaments und den Außenbeauftragten. Und es geht um die Machtverteilung im Europaparlament. Dort sitzen aktuell acht Abgeordnete der "Fratelli" und neun Mitglieder der "Forza Italia".Nach den Wahlen dürfte sich das ändern. Vieles spricht dafür, dass Melonis Partei deutlich dazugewinnt-und Berlusconis "Forza Italia" aus dem Europaparlament verdrängt.

Damit würde die EVP auf einen Schlag ihre größte italienische Partei verlieren. Ein deutliches Minus für die Konservativen würde vor allem einem schaden: Manfred Weber.

Sein Buhlen um die Erbin der neofaschistischen Bewegung Italiens bringt Unruhe in die Fraktion und droht, Europas Konservative in eine Krise zu stürzen. In Brüssel fordern etliche EVP-Abgeordnete eine klare Abgrenzung zu rechten Parteien. "Eine EVP-Mitgliedschaft der Fratelli ist undenkbar",sagt etwa der CDU-Abgeordnete Dennis Radtke. Mit Blick auf den Europawahlkampf in Deutschland sei der Streit über die Annäherung an rechte Parteien alles andere als hilfreich: "Die Brandmauer nach rechts muss stehen." Grenze man sich auf EU-Ebene nicht von Rechten ab, ließe das die klare Abgrenzung der Union zur AfD in Deutschland unglaubwürdig erscheinen.

Unklar ist, wie die Machtverhältnisse im Richtungskampf der EVP aufgeteilt sind. Die Gegner einer Annäherung an Meloni sehen sich in der Mehrheit, ebenso die Befürworter. Auch die ÖVP-Delegation ist gespalten. Der erste Vizepräsident des Europaparlaments Othmar Karas formuliert es weniger scharf als sein Kollege aus Deutschland: "Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich mich politisch für eine starke Mehrheit in der Mitte einsetze und wenig davon halte, zu den linken und rechten Rändern zu schielen", lässt Karas wissen. "Die Fratelli d'Italia stehen für mich weiterhin jenseits der Mitte."

Ganz anders sieht das ÖVP-Mandatar Lukas Mandl. Er lobt die Führungsstärke Webers in der Frage, mit wem die EVP künftig zusammenarbeiten könnte. "Eine kleine Minderheit ist dagegen, eine Mehrheit steht der Angelegenheit positiv abwartend gegenüber", sagt Mandl. In Italien sei Meloni bereits vor Webers Initiative gut gestartet und bemüht gewesen, nicht aus dem rechten Eck heraus zu regieren. Nun brauche es "eine beinharte Analyse über die Strukturen von Melonis Partei". Sollte sie postfaschistisch agieren, komme Meloni für die EVP nicht infrage: "Gradmesser ist die liberale Demokratie."

Ein erster Schritt zur Klärung dieser Frage solle demnächst auf einer Konferenz zur Christdemokratie stattfinden. "Hier werden wir prüfen, ob man jenseits vom guten Start der Regierungsarbeit Melonis mit Fratelli d'Italia zusammenarbeiten kann."

Wer mit Mandl spricht, bekommt den Eindruck, als stünde die EVP geschlossen hinter Weber. Dabei sorgt sein Buhlen um Meloni über Brüssel hinaus für Unmut.

"Es ist nicht die Aufgabe der EVP, rechtsnationale Parteien zu unterstützen", sagte CSU-Chef Markus Söder bereits im Herbst bei einer Sitzung des Parteivorstands. Söder hat im Oktober Landtagswahlen in Bayern zu schlagen und kann den Streit über die Kooperation mit den Postfaschisten nicht gebrauchen.

Doch Weber ließ sich nicht zurückpfeifen-und traf Meloni im Jänner ein zweites Mal. Anfang Februar ließ Söder wissen, dass Bündnisse der EVP mit der "Fratelli d'Italia" auch im Namen Webers ausgeschlossen seien.

Die Angelegenheit belastet die Beziehungen zwischen Weber und seiner Partei in Deutschland zusätzlich, denn der EVP-Chef hat sich in den vergangenen Monaten einige Schnitzer erlaubt. Weber hatte die Präsidentin des Europaparlaments Roberta Metsola als Spitzenkandidatin der EVP für die Europawahlen 2024 ins Spiel gebracht-wovon Merz, für den klar ist, dass Kommissionschefin Ursula von der Leyen antritt, überhaupt nichts hält.

Für Aufregung sorgte auch Webers Gehalt, insgesamt wohl mehr als 25.000 monatlich. Laut dem deutschen "Spiegel" bekommt Weber zusätzlich zu seinem großzügigen Salär als Abgeordneter rund 9000 Euro für den EVP-Parteivorsitz. Webers CSU hingegen zahlt ihrem Chef Markus Söder kein Gehalt für den Posten, auch Friedrich Merz führt die CDU ehrenamtlich.

Und dann war da noch die Sache mit Berlusconi. Der 86-Jährige machte den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj für den Ukraine-Krieg verantwortlich und schlug vor, die Hilfen aus dem Westen zu stoppen. Weber ließ die Aussagen tagelang unkommentiert stehen, war letztlich aber gezwungen, eine für Juni geplante EVP-Tagung in Neapel abzusagen. Die Konferenz zur Wahlkampfstrategie für die EU-Wahlen muss woanders stattfinden.

Das dicke Extra aus der Parteikasse und die Wahlkampfhilfe für den vorbestraften Ex-Premier Berlusconi haben Weber Kritik aus der Fraktion und vonseiten der Union in Deutschland eingebracht. "Weber sitzt in der EVP zwischen allen Stühlen",heißt es aus Brüsseler EVP-Kreisen.

Und was sagt die ÖVP in Wien zu Webers Koketterie mit Meloni?

Sie scheint aufseiten des EVP-Chefs zu stehen, schließt eine Zusammenarbeit mit "Fratelli d'Italia" jedenfalls nicht aus. "Mehr europäische Kräfte, die sich zu den Werten der EVP bekennen und einen konstruktiven Beitrag leisten, sind positiv",heißt es aus der Lichtenfelsgasse. Ob Melonis Partei zu diesen Kräften gehört, "wird die Zukunft zeigen".

Europaministerin Karoline Edtstadler will sich als Mitglied des Rates nicht einmischen, nur so viel: "Es ist begrüßenswert, wenn sich Parteien zu den Werten der EVP bekennen." Notwendig sei eine stärkere Zusammenarbeit aller proeuropäischen Kräfte, die Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte teilen.

Wenn man so will, versucht Weber die Transformation, die Sebastian Kurz vor fünf Jahren innerhalb der ÖVP eingeleitet hat, nun auf europäischer Ebene mit der EVP zu wiederholen.

Können Europas Konservative diese Zerreißprobe überstehen?

Historisch war die EVP ein Sammelsurium aus Christdemokraten, mittlerweile ist das Spektrum groß: Da gibt es liberale Christdemokraten wie die polnische "Platforma" und stramm Konservative mit Rechtseinschlag wie Silvio Berlusconis Forza Italia oder die französischen Republikaner, die Meloni innerhalb der EVP wohl am nächsten stehen. Auch die Fidesz von Viktor Orbán war bis vor zwei Jahren Teil der konservativen Familie.

Am Ende könnte die Angelegenheit auch über Manfred Webers Zukunft entscheiden. Bisher hat der EVP-Chef jeglichen Widerstand gegen ihn erfolgreich umschifft. Das liegt vor allem an der Rückendeckung vonseiten der CDU/CSU. Solange Webers Mutterpartei hinter ihm steht, wird ihn kein Konkurrent aus einem anderen EU-Land stürzen können-dafür ist Deutschland zu mächtig.

Gelingt es Weber, die EVP nach den Europawahlen 2024 gar zu vergrößern, wird es für seine Gegner noch einmal schwieriger, ihn loszuwerden. Die Frage ist nur: Will er überhaupt bleiben?

Weber ist fast zehn Jahre im Amt, länger als alle seine Vorgänger an der Spitze der europäischen Konservativen im Europäischen Parlament. Noch eine Legislaturperiode als Fraktionschef ist kaum erstrebenswert-und die Chancen, dass Weber Parlamentspräsident oder gar Kommissionschef wird, stehen nicht gerade gut. In der EVP fragen sich viele: Wo will Weber eigentlich hin?

Eine Antwort darauf gibt es möglicherweise nach den bayerischen Landtagswahlen im Oktober. Sollte Söder schlecht abschneiden, werden die Karten neu gemischt-und Weber könnte sich als dessen Nachfolger ins Spiel bringen.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.