Ex-FPÖ-Generalsekretär: „Haider war getrieben von Eifersucht“
Ich traf Jörg Haider das erste Mal 1989, als ich ein Interview mit ihm für die Tageszeitung „Der Standard“ machte. Am Flughafen vor dem Schalter für Klagenfurt fiel mir eine Gruppe auf, die laut lachend vor mir in der Reihe stand, mitten unter ihnen Jörg Haider. Er scherzte mit anderen Passagieren, schüttelte ihnen die Hand, schlug manchen auf die Schulter, als würde er sie seit Jahren kennen, und als er einer Frau sagte, er könne sich an sie vom letzten Parteitag erinnern, war diese außer sich vor Begeisterung und umarmte ihn. Das sollte der „Teufel“ der österreichischen Innenpolitik sein?
In dem Interview beschrieb er die Situation in Österreich mit einer Kaltschnäuzigkeit und präzisem Intellekt, den ich überzeugend fand. Nach unserer ersten Begegnung trafen wir uns ein oder zwei Mal pro Jahr zum Abendessen in Wien. Haider verhielt sich bei diesen Gesprächen wie ein trockener Schwamm, der jedes Wort aufsaugte. Er aß kaum etwas. Bestellte höchstens gegrillten Fisch und Salat, hörte zu, stellte Fragen, widersprach kaum und konfrontierte mich nicht mit seinen Meinungen.
Glauben Sie, es macht mir Spaß, überall in der Welt als der ‚Nazi‘ abgestempelt zu werden?
Bei einem dieser Treffen fragte ich ihn, warum wir uns eigentlich alle paar Monate sehen würden? Er grinste und sagte: „Das hat schon seinen Grund. Ich würde Sie gerne einladen, bei uns mitzuarbeiten.“ - „Als was? In welcher Form? – Eine Kandidatur meiner Person wäre Ihren Kameraden wohl schwierig einzureden.“ - „Wahrscheinlich haben Sie recht, und eben deshalb sollten wir es versuchen. Glauben Sie, es macht mir Spaß, überall in der Welt als der ‚Nazi‘ abgestempelt zu werden? Wir kommen nur raus aus der Ecke, wenn wir unsere eigenen Leute mit jemandem wie Sie konfrontieren.“
Im Frühjahr 1996, ein halbes Jahr vor der EU-Wahl, sagte ich zu. Nur ein kleiner Kreis in der Partei wusste davon. Abgesehen von den politischen Gegnern der FPÖ war mir klar, dass die Jüdische Gemeinde auf meinen Entschluss nicht mit Begeisterung reagieren werde. Ich suchte den damaligen Präsidenten der Israelitischen Kulturgemeinde auf und erklärte ihm unter vier Augen, was ich vorhätte und bat ihn, daraus kein „Jüdisches Problem“ zu machen. Er kritisierte meine Entscheidung, versprach jedoch, sich in der Angelegenheit zurückzuhalten.
Bei meiner ersten Pressekonferenz wurde ich von einem Journalisten gefragt, was mein Vater zu meiner Kandidatur für die FPÖ sagen werde. Wie könne ich als „Jude“ so eine Entscheidung treffen? Es grenze an „Verrat des Judentums“, sich einer rechten Partei zur Verfügung zu stellen. Um Inhalte ging es nicht.
Derselbe Jörg Haider, den ich als intelligenten, strategisch denkenden Politiker kennengelernt hatte, begann plötzlich, kleinlich und beleidigt zu reagieren.
Die Nationalratswahl im Oktober 1999 war rückblickend der Höhepunkt in Jörg Haiders politischer Karriere. Die FPÖ erreichte den zweiten Platz hinter der SPÖ. Haider schlug vor, mich zum Generalsekretär für Auslandsbeziehungen zu ernennen. Der Vorschlag kam nicht bei allen Funktionären gut an, es gab heftiges Murren bei meiner Vorstellung. Meine Ernennung wurde international mit großem Interesse verfolgt. Namhafte Universitäten, unter ihnen Oxford, Bologna und Trinity College in Dublin, luden mich zu Vorträgen ein.
Für kurze Zeit sah ich mich auf dem richtigen Weg. Doch derselbe Jörg Haider, den ich als intelligenten, strategisch denkenden Politiker kennengelernt hatte, begann plötzlich, kleinlich und beleidigt auf Entscheidungen der Regierung zu reagieren, bei denen er sich übergangen fühlte. Keiner konnte die Gründe verstehen, wenn da nicht eines Tages dieser „Ausrutscher“ von ihm so manches erklärt hätte. Irgendwann einmal nach ein paar Gläsern Wein in einem Restaurant in Wien machte er eine Bemerkung, auf die keiner einging und einen der Gäste am Tisch schnell das Thema wechseln ließ. Haider sagte, er habe das Regierungsteam unter Susanne Riess nur vorgeschlagen, da er sich sicher sei, dass diese Koalition scheitern würde. Dann wäre nach Neuwahlen die FPÖ die Nummer eins, und niemand könnte mehr verhindern, dass er Kanzler werde.
Im Jahr 2002 entdeckte Jörg Haider seine Vorliebe für Diktatoren aus dem arabischen Raum. Der plötzliche Schwenk vom Studenten in Harvard und interessierten Gesprächspartner orthodoxer Rabbiner in Brooklyn zum Bewunderer arabischer Politiker, die als ihr Lebenswerk die Vernichtung Israels definierten, war ein Schock – nicht nur für mich. Ich kritisierte diese Reisen und leitete damit auch meinen Bruch mit Jörg Haider ein. Im Laufe dieses Jahres eskalierte der Konflikt zwischen Jörg Haider und der Parteiführung unter Susanne Riess. Bei einem Treffen im Privathaus eines FPÖ-Ministers kam es zur Aussprache der Parteiführung mit Jörg Haider wegen dessen kontinuierlicher Störung der Regierungsarbeit. Nach endlosen Diskussionen sagte Haider zu, dass er sich zurückziehen wolle und keine Meldungen mehr von sich geben werde.
Die FPÖ unter Jörg Haider scheiterte allerdings nicht nur an seinem Führungsstil, sondern ebenso an einer chaotischen inneren Struktur und einem unprofessionellen Mittelbau.
Er verabschiedete sich, und alle waren bester Laune, nur Susanne Riess, die ihn am längsten und am besten kannte, schien betrübt und verärgert. Sie wusste es. Kaum in Kärnten angekommen, kam von Haider erneut ein kritischer Kommentar zur Regierungspolitik.
Jörg Haider dominierte mit seinen wechselhaften politischen und persönlichen Zielen, Interessen und Launen das Schicksal der Partei, war für Erfolg ebenso verantwortlich wie für das Scheitern. Die FPÖ unter Jörg Haider scheiterte allerdings nicht nur an seinem Führungsstil, sondern ebenso an einer chaotischen inneren Struktur und einem unprofessionellen Mittelbau. Die freiheitlichen Funktionäre waren auf eine Regierungsbeteiligung ihrer Partei nicht vorbereitet. Sie fühlten sich ausgeschlossen und übergangen, und eine Mischung aus Neid, Eifersucht, Eitelkeit und Unsicherheit dominierte die Diskussionen. Als Wortführer der Basis fühlten sie sich berechtigt, den FPÖ-Vertretern in der Koalition zu drohen, ihnen die Unterstützung zu entziehen. Eine absurde Frustration breitete sich aus, die von Kärnten geschürt wurde.
Die Illoyalität Haiders übertrug sich auf die Funktionäre, die der Parteispitze in den Rücken fielen und sich als Verteidiger der Interessen der Wähler gegen das Diktat der FP-Regierungsmitglieder aufspielten. Haider, getrieben von seiner Eifersucht und Langeweile als Landeshauptmann von Kärnten, dessen Tagesablauf mit der Eröffnung eines Kindergarten begann und der Teilnahme an einem Kirtag endete, konnte es nicht ertragen, dass andere, die – seiner Meinung nach – alles ihm verdankten, nun in der „großen“ Welt herumjetteten, während er für die Vertreter der internationalen Politik der „Nazi“ in Kärnten geblieben ist. Deshalb auch die Besuche im Irak und Treffen mit Regierungsmitgliedern arabischer Staaten (es waren die einzigen, die dazu bereit waren), weil es ihm die internationale Aufmerksamkeit bot, die er als Nichtregierungsmitglied und als Landeshauptmann in Kärnten vermisste. Er zog dem FPÖ-Regierungsteam den Teppich unter den Füßen weg.
Inhaltlich oft weit seiner Zeit voraus, scheiterte er bei der Umsetzung an seinem persönlichen Machtanspruch und seiner Eitelkeit.
Im Grunde vertrat er keine bestimmte Ideologie, keine Philosophie und kein politisches Programm. Er reagierte situativ, seinen Interessen entsprechend, überaus geschickt und sensibel, Strömungen, Meinungen und Konflikte in der Bevölkerung sehr früh erkennend, Lösungen anbietend, die jeder verstehen konnte. Inhaltlich oft weit seiner Zeit voraus, scheiterte er bei der Umsetzung an seinem persönlichen Machtanspruch und seiner Eitelkeit, und täuschte sich im entscheidenden Moment in einer Person – in Susanne Riess. Er unterschätzte sie. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sie mithilfe seiner Vasallen zu stürzen.
2003 erklärte ich in der jüdischen Zeitschrift „Nu“ mein politisches Projekt – die FPÖ zur politischen Mitte zu führen – für gescheitert. Dennoch – und ich hoffe, ich verärgere damit meine Kritiker nicht zu sehr –, selten war Scheitern in meinem Leben so spannend und aufregend und hat so viel Spaß gemacht wie die neun Jahre in der Politik.
Im Jahr 2004, in meiner letzten Woche als Abgeordneter, rief ich Jörg Haider an und fragte, ob wir uns noch einmal sehen könnten. Ich fuhr nach Klagenfurt. Ich hatte mir vorgenommen, jede Kritik zu vermeiden. Ich sei eigentlich nur gekommen, um mich zu verabschieden, sagte ich zu ihm. Er klang müde und erschöpft. Manchmal machten wir lange Pausen zwischen den Sätzen und ich dachte, das meiste, was uns beiden jetzt durch den Kopf geht, brauchen wir gar nicht auszusprechen – wir waren beide gescheitert.
Zur Person Peter Sichrovsky, 71, Journalist, Schriftsteller, war von 1996 bis 2004 FPÖ-Abgeordneter im Europäischen Parlament, davon zwei Jahre lang (2000–2002) als Generalsekretär der FPÖ tätig. Im Jahr 2000 war er in die FPÖ ein- und 2003 wieder ausgetreten.