Fall Firtasch: Welche Rolle spielt der zweite Verhaftete?
Er konnte von seinem Schicksal noch nichts wissen. In Jeans und weißem Hemd saß Hares Youssef an einem Montagabend Ende Februar im Restaurant des Nobelhotels "Le Méridien“, vor den Fenstern glitzerten die Lichter der Wiener Ringstraße. Mit dem stechenden Blick, den tiefschwarzen Augenbrauen und dem ergrauten Dreitagebart wirkte er wie eine Figur aus einem Agentenkrimi.
In gewisser Weise war er das auch.
Er hatte sich mit einer Journalistin verabredet, wollte über seine Sicht auf die Ukraine reden, aber auch über den Fall, dessentwegen spanische Staatsanwälte ihn suchen. Es war der vorerst letzte Abend, an dem Hares Youssef sein altes Leben genießen konnte. Danach musste er fürchten, dass Polizisten kommen würden, um ihn abzuholen - was am 23. Februar auch tatsächlich geschah. Seither sitzt der 52-Jährige in der Justizanstalt Josefstadt.
Was Youssef an jenem Abend im "Le Méridien“ nicht wusste: Ein paar Stunden zuvor war in der Staatsanwaltschaft Wien ein Schreiben eingelangt, das es den Behörden möglich machte, ihn festzunehmen. Seit vergangenem November hatten österreichische Ermittler auf die "erforderlichen Ergänzungen“ zu einem Europäischen Haftbefehl ihrer Kollegen aus Barcelona gewartet. Die Spanier suchten zwei Männer mit ukrainischem Pass, aufhältig vermutlich in Österreich. Der Vorwurf: Geldwäsche und Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation. Für beide gilt die Unschuldsvermutung.
Einer der zwei ist eine große Nummer: der Oligarch, Medienzar und politische Strippenzieher Dmitri Firtasch. Den anderen kennt in Österreich niemand so recht. Es ist der gebürtige Syrer Youssef, der zwar schon lange Geschäfte in Wien macht, dabei aber nie besonders auffiel.
Firtasch und Youssef sind Akteure in einem kuriosen und komplexen Fall, der vor drei Jahren mit einem US-Auslieferungsbegehren für Firtasch begann (in Chicago wird ihm ein Bestechungsfall in Indien vorgeworfen, siehe profil 09/2017). Die bislang letzte Episode: Der Oligarch wurde am Dienstag, dem 21. Februar, vor laufenden Kameras verhaftet und nach drei Tagen wieder freigelassen; er harrt in seiner Luxuswohnung nun weiterer Urteile. Dem zweiten Mann auf der Liste erging es anders: Er wurde erst zwei Tage später festgenommen, ein Journalrichter entschied über den Fall. Das Ergebnis: Youssef bleibt wegen "Flucht- und Tatbegehungsgefahr“ in Haft.
"Bauernopfer"
"Er ist ein Bauernopfer, ein Testballon“, sagt Klaus Ainedter, einer von gleich drei Verteidigern, die Youssef beschäftigt. Für den Anwalt besteht kein Zweifel daran, dass es gar nicht um seinen Mandanten, sondern um dessen bestens nach Russland vernetzten Landsmann Firtasch gehe. Diesen wolle die US-Regierung mittels eines langen Gerichtsverfahrens in Chicago von der sensiblen ukrainischen Politik fernhalten. Da jedoch ein österreichisches Gericht das Auslieferungsbegehren vor zwei Jahren abgelehnt habe, hätten die US-Behörden im vergangenen Jahr über einen spanischen Staatsanwalt und mittels eines EU-Haftbefehls versucht, an den Oligarchen heranzukommen. Diese Theorie vertreten auch Firtaschs Anwälte, um ihren Mandaten zu verteidigen. Die zuständigen Staatsanwälte bestreiten sie vehement. Eines aber ist laut profil vorliegenden Unterlagen klar: Youssef spielt für sie eine nicht unbedeutende Rolle.
Wer sie verstehen will, muss zum Anfang der Geschichte zurückgehen. Hares Youssef wird 1964 in der syrischen Hafenstadt Latakia geboren. Mit 22 Jahren fliegt er nach Kiew, um an der Militärakademie zu studieren. Zu Sowjetzeiten erweckt ein Syrer, der für eine solche Mission ausgewählt wurde, Misstrauen. "Um zu kommen, muss er die Erlaubnis des sowjetischen und des syrischen Geheimdienstes gehabt haben“, sagt Ihor Smeshko im Gespräch mit profil. Smeshko leitete in den frühen 2000er-Jahren den ukrainischen Geheimdienst und beschreibt Youssef als bestens vernetzten Mann, der mit Stahlwerken, Schiffswerften und Rohstoffen gut verdient, es aber nie in die Riege jener Milliardäre schafft, die Oligarchen genannt werden.
Dabei führt er ein durchaus mondänes Leben. Eine Zeit lang wohnt er in Paris und lernt dort den französischen Schauspielstar und Putin-Fan Gérard Depardieu kennen. Im ukrainischen Odessa gibt er ein hippes Magazin heraus, in Spanien kauft er ein Haus; er sammelt Kunst und unterstützt einen syrischen Dichter. Sein Geld steckt er in allerlei Projekte, darunter zwei Schulen der Unesco.
Wer es in der Ukraine so weit bringt, braucht ein gutes Netzwerk. Jenes von Youssef steht auf zwei Grundpfeilern. Der erste heißt Wiktor Juschtschenko, einst Hoffnungsträger der Ukraine und als Reform-Präsident gescheitert. Die beiden sind seit den 1990er-Jahren befreundet, Youssef arbeitete unter ihm fünf Jahre als Nahost-Gesandter der Regierung. Als Juschtschenko mit Dioxin vergiftet und in Wien und Genf behandelt wurde, soll er Youssef gebeten haben, seine medizinische Betreuung zu organisieren.
Der andere ist Dmitri Firtasch. "Ein sehr lieber Freund, eine Katze mit Krallen und den Augen eines Falken“, schreibt Youssef im Januar 2015 in einem Gastbeitrag für das französische Wochenblatt "Le Point“, der Firtaschs Image verbessern soll. Wer die beiden einander vorstellte und wie sie sich anfreundeten, ist nicht bekannt. Youssef und sein ukrainischer Anwalt weisen das Gerücht zurück, dass eine Geschäftsverbindung zwischen den beiden existiere oder er gar von Firtasch abhängig sei. Sie seien einfach nur befreundet, nicht mehr und nicht weniger.
"Kriminelle Bande"
Die spanischen Staatsanwälte scheinen das anders zu sehen. Aus profil vorliegenden Dokumenten geht hervor, dass sie Youssef mit Firtasch und beide mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung bringen. "Die sagen, es gibt eine kriminelle Bande“, sagt Youssef in einem Gespräch, das profil vor seiner vorläufigen Verhaftung mit ihm führte: "Ich sei seine rechte Hand (die von Firtasch, Anm.) und würde seine Befehle ausführen.“ Das mutmaßliche Corpus Delicti, mit dem die Spanier laut bislang bekannten Informationen argumentieren: eine Firma, die wiederum ein Haus in der Hafenstadt Marbella besitzt. Beide erstand Youssef im Jahr 2006, sein Sohn unterschrieb damals die Papiere (auch er wird von den Spaniern gesucht). Drei Jahre später verkaufte er alles mit Millionenverlusten weiter.
Das Problem dabei dürfte der Mann sein, der diese Geschäfte für Youssef abwickelte. Er stammt aus dem katalanischen Adel und gilt den spanischen Ermittlern als Steuerberater der St. Petersburger Mafiagruppe Tambovskaya. Im Jahr 2008 sorgte er laut spanischen Zeitungen für eine Szene, die in eine Agentenkomödie passen würde: Als die Polizei eine Razzia bei ihm durchführte, soll der Anwalt noch schnell versucht haben, ein Stück Papier zu verschlucken.
Dass dieser Mann vor elf Jahren eine Firma plus Haus an Youssef und dessen Sohn verkauft haben soll und deshalb mit ihnen in einem Geldwäsche-Netzwerk hänge, vermuten die spanischen Ermittler laut eigenen Angaben erst seit vergangenem November. Sie hatten die Operation "Variola“ gestartet, bei der sie mehr als ein Dutzend Personen festnahmen, darunter auch den Sohn des ehemaligen Kiewer Bürgermeisters.
Das war der Auslöser, der alles ins Rollen brachte: Nur wenige Tage nach einer Razzia im November traf der erste Haftbefehl in Wien ein. Youssef wurde darin als "vertraute Person“ von Dmitri Firtasch beschrieben, sein Sohn als dessen "Repräsentant“ in Marbella. Mit anderen Worten: Über sie sollen der ukrainische Oligarch und sein Umfeld in Spanien verortet und vor Gericht gestellt werden.
Für die österreichischen Anwälte der beiden Freunde schließt sich so der Kreis: Der spanische Fall sei eine Verschwörung, mit deren Hilfe die USA sich Firtasch schnappen wollten. Sie stoßen sich vor allem am Staatsanwalt in Barcelona, der den Fall betreut. Er engagiert sich nicht nur seit vielen Jahren im Kampf gegen die russische Mafia, sondern hat dadurch auch beste Kontakte in die USA aufgebaut.
Dabei ist noch völlig unklar, ob die spanischen Ermittler am Ende mehr in der Hand haben als den mysteriösen Hausdeal oder die Telefonprotokolle, die sie in den Haftbefehlen zitieren. Wie auch immer: Hares Youssef lässt über seinen ukrainischen Anwalt ausrichten, dass er sich den Vorwürfen gerne stellen will. Er will in Barcelona vor Gericht seinen Namen wieder reinwaschen.
Update: Am 9. März 2017 setzte der Haftrichter eine Kaution von 100.000 Euro fest und erteilte dem Verdächtigen die Weisung, sich bis zum 20. April den spanischen Behörden zu stellen. Sobald das Geld auf dem Konto der Justiz eingelangt ist, darf Youssef – unter Einhaltung einiger Auflagen – die Justizanstalt verlassen.
Mitarbeit: Isobel Koshiw (Kiew, Wien)
Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 10 vom 6.3.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.