Dissidenten-Morde: Tod im Exil
Die Grausamkeit, mit der "Emissäre " aus Riad den Regimekritiker und Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul gefoltert und umgebracht haben sollen, schockiert die Welt. Wenige Monate zuvor, im März dieses Jahres, versuchten zwei angebliche Mitarbeiter des Moskauer Militärgeheimdienstes - vergeblich - den russischen Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter in London mittels eines tödlichen russischen Nervengiftes ins Jenseits zu befördern. Zwei aufsehenerregende Fälle, in denen von einem Regime beauftragte Mörder im Ausland zuschlagen, um exilierte oder geflüchtete unliebsame Oppositionelle zu beseitigen. Neu ist das keinesfalls. Hier die spektakulärsten derartigen Mordaktionen der vergangenen Jahrzehnte.
Leo Trotzki (1879-1940)
Der Verlobte einer Sekretärin Trotzkis besuchte am 20. August 1940 diesen in dessen Haus in Mexiko City. Der junge Mann bat den im Exil lebenden russischen Revolutionär (im Bild) und Gegenspieler Josef Stalins um die Durchsicht eines von ihm verfassten politischen Artikels. Als sich Trotzki über den Text beugte, traf ihn der Schlag eines Eispickels. Einen Tag später erlag er seinen Kopfverletzungen. Der vermeintliche Trotzki-Sympathisant hieß Ramon Mercader und war ein Sowjet-Agent. Zehntausende Anhänger Trotzkis hatten in der Sowjetunion während des Großen Terrors bereits den Tod gefunden. Trotzki selbst war weit weg und politisch isoliert. Dennoch fürchtete Stalin offenbar, der einstige Architekt der Roten Armee könnte ihm und seiner Herrschaft gefährlich werden. Der Mörder erhielt 1961 in Moskau den "Leninorden".
Stepan Bandera (1909-1959)
In der Ukraine ist Stepan Bandera sehr umstritten: Im Osten des Landes, aber auch in Polen, Russland und Israel gilt er als Nazi-Kollaborateur und Kriegsverbrecher. Im Westen der Ukraine wird er von vielen als Nationalheld verehrt. Der radikale Nationalist und Antikommunist verbündete sich während des Zweiten Weltkrieges mit den Deutschen gegen die Sowjets. Nach dem Krieg flüchtete Bandera nach Hamburg. KGB-Agenten töteten ihn dort am 15. Oktober 1959 im Eingang seines Hauses mit einer pistolenartigen Waffe, die Blausäure versprühte.
Mehdi Ben Barka (1920-1965)
Sein Verschwinden erregte weltweites Aufsehen. Der marokkanische Linkspolitiker Ben Barka wurde 1962 angeklagt, einen Putsch gegen König Hassan zu planen. 1963 ging er ins französische Exil. Er traf unter anderen Che Guevara, Amilcar Cabral und Malcolm X und versuchte die revolutionären Bewegungen der Dritten Welt zu vereinen. Am 29. Oktober 1965 nahmen ihn zwei französische Polizisten am helllichten Tag vor der berühmten Brasserie Lipp in Paris fest. Von da an fehlte jede Spur von Ben Barka. Inzwischen ist klar: Marokkanische Agenten folterten ihn in einem Pariser Vorort zu Tode. Die CIA, der französische Geheimdienst und auch der israelische Mossad hatten ihre Hand im Spiel.
Orlando Letelier (1932-1975)
Am 21. September 1975 detonierte im Washingtoner Diplomatenviertel Sheridan Circle eine Autobombe. Dabei kam Orlando Letelier, der chilenische Linkspolitiker und ehemalige Außenminister der Regierung Salvador Allendes, ums Leben. Der nach dem Militärputsch 1973 monatelang gefolterte Letelier hatte 1974 Chile verlassen können. Inzwischen ist belegt, dass der Mordanschlag direkt von Diktator Augusto Pinochet in Auftrag gegeben worden war.
Georgi Markow (1929-1978)
Der Mord an dem bulgarischen Schriftsteller und Dissidenten Markow am 7. September 1978 in London ging als Regenschirmattentat in die Geschichte ein. Ein Mann schoss aus der Spitze eines Regenschirms eine Kapsel unter Markows Haut. Die Kapsel enthielt das gefährliche Gift Rizin, das langsam ins Blut strömte. Nach vier Tagen war der bulgarische Regimekritiker tot. Todor Schiwkow, der damalige Partei-und Staats-Chef Bulgariens, hatte das Attentat befohlen, der KGB das Gift und die Kapsel geliefert.
Abdul Rahman Ghassemlou (1930-1989)
Am 13. Juli 1989 fand ein Treffen Ghassemlous, des Führers der iranischen Kurden, mit Vertretern des Teheraner Regimes in Wien-Landstraße statt. Ein Killerkommando stürmte die Wohnung, in der die Unterredung stattfand, und erschoss Ghassemlou und zwei seiner Begleiter. Der Kurde war in eine Falle getappt. Die Tatverdächtigen tauchten in der iranischen Botschaft unter. Auf Druck aus Teheran ließen die Österreicher die von der iranischen Regierung geschickten Killer unbehelligt ausreisen. Ghassemlou ist nur ein Oppositioneller von mehreren, denen das Mullah-Regime in Europa nach dem Leben trachtete.
Alexander Litwinenko (1962-2006)
Die Sprengstoffanschläge in Russland, bei denen 1999 über 300 Menschen den Tod fanden, seien nicht wie offiziell behauptet von tschetschenischen Terroristen verübt worden, sondern gingen auf das Konto des Geheimdienstes FSB. Sie sollen als Vorwand für die Entfesselung des Zweiten Tschetschenienkrieges gedient haben. Das behauptete unter anderem der zu den Briten übergelaufene russische Agent Litwinenko in seinem Buch "Eiszeit im Kreml". Der prominente Kritiker des Putinschen Machtapparats starb am 23. November 2006 in London. Besucher aus Moskau -frühere KGB-Mitarbeiter -hatten ihm Wochen zuvor eine tödliche Dosis des radioaktiven Polonium-Isotops 2010 in einer Tasse grünen Tees verabreicht. Wenige Stunden, bevor Litwinenko starb, erklärte er: "Ich wurde vom Kreml zum Schweigen gebracht."
Kim Jong Nam (1971-2017)
Dass Kim Jong Un, der nordkoreanische Diktator, nicht davor zurückscheut, Verwandte umzubringen, ist bekannt. Ein Onkel musste schon sterben. Im Februar 2017 scheint nun Kims in Ungnade gefallener Halbbruder Kim Jong Nam drangewesen zu sein. Zwei junge Frauen wurden beschuldigt, diesem auf dem Flughafen der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur das tödliche Nervengift VX ins Gesicht gerieben zu haben. Ihren Aussagen nach glaubten sie, an einem Streich in der Art einer "Versteckten Kamera"-TV-Sendung beteiligt gewesen zu sein.