“Fliegende TicTacs”: Was hinter den Ballons in Nordamerika steckt
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“Es ist schon ziemlich wild, dass wir von den chinesischen Ballons erst vor ein paar Monaten erfahren haben”, gesteht der Fraktionsführer der Demokraten im US-Senat Chuck Shumer Sonntagabend in einem TV-Interview.
Und das verwundert. In den letzten 20 Jahren sind laut Nachrichtenportal vox.com derartige Flugobjekte zu mutmaßlichen Spionagezwecken über 40 Ländern auf fünf Kontinenten gesichtet worden. Allein drei davon über den USA während der Regierungszeit von Donald Trump. Dass es sich um Fluggerät aus China handelt, kann derzeit nur in einem Fall bestätigt werden.
Die Aufregung in den USA ist enorm und medial omnipräsent - auch weil nicht einmal das US-Pentagon Außerirdische als vermeintliche Drahtzieher ausschließt. Die drei bisher noch unidentifizierten Flugobjekte sollen zwar wesentlich kleiner sein als der abgeschossene Ballon aus China, dafür seien sie so schwer wie ein Passagierflugzeug und haben die Form eines TicTacs, also weiß und oval. In sozialen Medien wird deshalb auch intensiv über einen Kontakt mit Aliens diskutiert.
Ab welcher Flughöhe verletzt man den nationalen Luftraum eines Landes?
Laut Völkerrechtsexperte Ralph Janik ist diese Frage nicht so leicht zu beantworten. Jedes Land regelt dies individuell. “Zur Orientierung hilft eine allgemeine, aber rechtlich nicht bindende Grenze, die sogenannte Kármán-Linie in einer Höhe von ca. 100 Kilometern. Die USA behalten sich aber einseitig das Recht vor, in welcher Höhe ihr Staatsgebiet endet. Ab 80 Kilometern gilt man in den USA übrigens als Astronaut, alles darunter ist so gesehen jedenfalls US-amerikanisches Staatsgebiet.” Diese Grenze sei aber dynamisch definiert und richte sich nach technischem Fortschritt, so Janik. “Je höher die Objekte fliegen können und je besser die Aufnahmequalität von Kameras wird, desto eher muss diese Grenze nach oben korrigiert werden”. Sehr wohl gibt es aber nationalrechtlich verbindliche Normen. So orientiert sich in Österreich die "obere Staatsgrenze" seit 2010 an der Kármán-Linie.
Dies regelt grundsätzlich das Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt aus dem Jahr 1944. Ein- und Überflüge von zivilen Linienflügen sind nur mit Genehmigung zulässig. Nichtgewerbliche Flüge von Zivilluftfahrzeugen sind grundsätzlich nicht daran gebunden, müssen aber internationale Verkehrsregeln einhalten. Staatsluftfahrzeuge (das sind Luftfahrzeuge im Militär-, Polizei- oder Zolldienst) benötigen in jedem Fall eine Überfluggenehmigung. Die Zuständigkeit richtet sich nach den jeweils nationalen Vorschriften. In Österreich wäre für Militärluftfahrzeuge das Verteidigungsministerium zuständig; für Polizei- und Zollflugzeuge die Austro Control in Zusammenarbeit mit dem Innen- sowie Außenministerium.
Wie wirken sich die aktuellen Ereignisse auf die Beziehungen zwischen China und den USA aus?
“Einige Menschen in den USA hyperventilieren wegen dieses Themas”, sagt Völkerrechtsexperte Ralph Janik, der sich zur Zeit in den USA befindet. “Die Sichtungen und die Abschüsse werden medial extrem aufgebauscht. Dadurch wächst der Druck und es wird schwieriger, eine rationale Diskussion und Entscheidung zu treffen.” Die Regierung von US-Präsident Joe Biden gerät dadurch unter enormen Handlungsdruck. Vor einigen Jahren wäre noch (hinter verschlossenen Türen) abgewogen worden, in welcher Höhe die Objekte fliegen und welche Fähigkeiten sie besitzen. Nun muss die US-Exekutive durch diesen landesweiten Druck Entschlussfähigkeit zeigen. “Man sagt jetzt vielmehr: Da fliegt etwas über uns, es muss so schnell wie möglich abgeschossen werden. Es hat den Eindruck, dass Dinge, die früher anders abgehandelt wurden, jetzt in unserer medialen Dauererregung zu Schnellschüssen führen, und das belastet die Beziehungen zwischen China und den USA enorm”, so Janik.
Welche Gegenmaßnahmen könnten die USA gegen China ergreifen?
In den USA steht China im Dauerverdacht der Spionage, das reicht von Industriespionage bis hin zur klassischen Spionage. Wie die USA auf die aktuellen Ereignisse reagieren, bleibt noch abzuwarten - und die Liste an möglichen Gegenmaßnahmen ist lang, weiß der Völkerrechtsexperte. “Das reicht von gar nichts bis hin zu weitreichenden Sanktionen. Wenn man argumentiert, Spionage ist gängige Praxis und wird von vielen Ländern betrieben, muss man das akzeptieren.” Die USA könnten aber genauso behaupten, dass es sich um eine Verletzung des nationalen Luftraumes handelt und das Überfliegen mit Spionageobjekten als erstes Anzeichen einer direkten militärischen Konfrontation gewertet werden. “Dazwischen, und das ist das wahrscheinlichste, liegen Wirtschaftssanktionen, die das angeschlagene Verhältnis zwischen den USA und China weiter beeinträchtigen.” US-Außenminister Antony Blinken hat seinen Besuch in China bereits abgesagt.
Und wie reagiert China auf die Anschuldigungen der USA?
Die Volksrepublik hat unter Xi Jingping seine Spionage-Taktik geändert. Während sich China bis vor Kurzem noch auf Industrie- und Wirtschaftsspionage konzentrierte, geht das Land jetzt in die Offensive. Vermeintliche chinesische Spionage-Ballons werden regelmäßig über Taiwan und Südostasien gesichtet. In chinesischen Staatsmedien zieht man die Reaktion der US-Regierung, die Objekte abzuschießen, wiederum beinahe ins Lächerliche. So schreibt die Tageszeitung “China Daily” über eine "hollywoodreife" Inszenierung der Abschüsse.
China argumentiere, bei den Flugobjekten über Nord- und Südamerika handle es sich um Wetterballons, die vom Kurs abgekommen seien. Die USA hätten sich laut China trotz dieser Information taub gestellt und Gewalt gegen ein ziviles Luftschiff angewandt. “Die Krux bei Spionage liegt darin, es nicht zuzugeben”, ist Völkerrechtsexperte Ralph Janik überzeugt. “Spionage betreiben natürlich sehr viele Länder. Sobald man über ein Flugobjekt, das abgeschossen wurde, protestiert, dann gibt man im Umkehrschluss zu, dass es das eigene war.”