Folgt mir! Wie Elon Musk Politik macht
Von Siobhán Geets und Franziska Tschinderle
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Elon Musk hat sich entschieden. Jahrelang hegte er eine tiefe Abneigung gegen Donald Trump, bezeichnete ihn wiederholt als „größten Schwätzer überhaupt“. Doch nun unterstützt er ihn im Rennen um die US-Präsidentschaft.
„Ich liebe Elon“, sagte Trump kürzlich über Musk.
Vor wenigen Tagen kündigte Trump an, sich von Musk interviewen zu lassen. Ausgestrahlt werden soll das Gespräch am Montagabend auf Musks eigener Social-Media-Plattform X, vormals Twitter, besonders kritisch dürfte es nicht werden. Musk hatte sich unmittelbar nach dem Attentatsversuch auf Trump Mitte Juli hinter den republikanischen Präsidentschaftskandidaten gestellt. Auf X agitiert er seither gegen Trumps Rivalin Kamala Harris.
Freunde und Familie warnen Musk seit Jahren davor, sich in die Politik einzumischen und aggressive Posts abzusetzen. Vergeblich.
Am 4. August 2024 postet Elon Musk einen einzigen Satz: „Ein Bürgerkrieg ist unvermeidbar.“
Es geht um Großbritannien, wo ein rechtsextremer Mob Bürger, Polizisten, Moscheen und Asylzentren angreift. Musks Tweet ist die Antwort auf einen Post, der die Ausschreitungen auf „Masseneinwanderung“ und „offene Grenzen“ zurückführt. Angeheizt hatte den Mob eine Falschmeldung, die sich auf X rasend schnell verbreitete. Ein 17-Jähriger hatte bei einem Tanzkurs im nordwestenglischen Southport drei Mädchen im Alter von sechs, sieben und neun Jahren erstochen. Danach ging auf X und anderen Plattformen das Gerücht um, der Täter sei ein muslimischer Asylwerber. Tatsächlich handelte es sich um einen Briten mit aus Ruanda stammenden Eltern ohne muslimischen Hintergrund.
Tommy Robinson, die Stimme hinter den Krawallen, sieht in Musk einen Heiland der freien Meinungsäußerung. Der Rechtsextremist verlinkt den Tech-Unternehmer unter seinen Postings, in der Hoffnung, dass er sie mit seinen fast 200 Millionen Followern teilt. Musk wiederum erklärt, dass man nur noch auf X die Wahrheit lesen könne und etablierte Medien der Regierung nachplappern würden.
Tommy Robinson gefällt das. Und nicht nur ihm. Elon Musk, der Pionier der Elektromobilität, ist zum Liebling der Rechten geworden.
Dabei wählte er früher die Demokraten und spendete Geld an die Kampagnen von Barack Obama und Hillary Clinton.
Wie ist aus einem unpolitischen Nerd der einflussreichste Troll des Internets geworden?
Bei der Frage, was Elon Musks Charakter ausmacht, gibt es grob gesehen zwei Deutungen. Er sei ein Nerd, sagen die einen, ein Genie, das die Welt geprägt hat. Elon Musk ist ein Großmaul, sagen die anderen, ein unsympathischer Aufschneider, dem es an Empathie fehlt.
Musks Leben ist geprägt von Widersprüchen. Sein angeblicher Kampf für die Meinungsfreiheit ist dabei nur das letzte, vielleicht verrückteste Kapitel.
Zwang und Freiheit
Musk wächst in Südafrika unter schwierigen Familienverhältnissen auf.
Geboren wird Elon Reeve Musk am 28. Juni 1971 in Pretoria, Südafrika. Der Vater Errol Musk ist Maschinenbauer und Elektroingenieur, die Mutter Maye arbeitet als Model und Ernährungsberaterin. Elon und seine jüngeren Geschwister, Bruder Kimbal und Schwester Tosca, wachsen relativ unbeaufsichtigt auf, schon als Kleinkind experimentiert Elon mit Feuerwerkskörpern. Weil er klug und neugierig ist, lassen ihn die Eltern bereits als Vierjährigen einschulen – ein Fehler, wie sich rasch herausstellt. In der Klasse ist er bei Weitem der Kleinste, findet keine Freunde und träumt vor sich hin. Als Erwachsener wird er in der US-amerikanischen Comedy-Show „Saturday Night Live“ erzählen, dass er das Asperger-Syndrom habe, eine Form des Autismus.
Im Jahr 1979 lassen sich die Eltern scheiden, die Kinder bleiben die ersten zwei Jahre bei der Mutter in Durban, südlich von Johannesburg, dann ziehen Elon und Kimbal zum Vater nach Pretoria. Beim Vater genießen sie ein großes Maß an Freiheit, gehen allein auf Konzerte und bekommen Motorräder geschenkt. Doch Errol Musk hat eine ausgeprägte dunkle Seite. Er kann witzig und charmant sein – und von einer Sekunde auf die andere grausam und beleidigend. Die Kinder beschimpft er als wertlos und dumm, stundenlang müssen sie neben dem Vater stehen und seine Tiraden über sich ergehen lassen. So beschreiben es Elon und sein Bruder Kimbal in der Musk-Biografie des amerikanischen Autors Walter Isaacson.
Elon flüchtet sich in Bücher. Am stärksten prägt ihn Douglas Adams’ humoristischer Science-Fiction-Klassiker „The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“ („Per Anhalter durch die Galaxis“). Im Jahr 2019 schickt Musk als Nutzlast für eine seiner Raketen einen Tesla ins All – mit einer Ausgabe des Romans im Handschuhfach.
In der Schule wird er ständig verprügelt, auch mit seinem Bruder und den Cousins schlägt er sich regelmäßig. Die Angewohnheit, Meinungsverschiedenheiten mit der Faust zu regeln, fließt in Elon Musks Charakter ein. Noch Jahre später, nach der Gründung der ersten Unternehmen gemeinsam mit Kimbal, fechten die Brüder ihre Differenzen durch Rangeleien auf dem Büroboden aus; seine Gegner fordert Musk sogar jetzt noch zu Kämpfen auf, darunter Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und Venezuelas Präsident Nicolás Maduro.
„Für ihn ist es wichtig, sich nicht von Angst leiten zu lassen“, sagt sein Cousin Peter Rive in Isaacsons Musk-Biografie, „das war schon so, als wir Kinder waren.“ Später, als Unternehmer, werden die nahezu vollständige Abwesenheit von Angst und die damit einhergehende Risikofreude ausschlaggebend für Elon Musks Erfolg.
Das Buch
Isaacson hat Elon Musk zwei Jahre lang begleitet. In seiner Biografie beschreibt er ein rücksichtsloses Genie.
Elon Musk. Die Biografie, von Walter Isaacson.
C. Bertelsmann Verlag.
832 S., EUR 40,50
Wunderkind und Schwätzer
Elon Musk zieht nach Kanada und formuliert drei Lebensziele.
Lange war Elon Musk ein Geek, der schwer Anschluss fand, seine einzigen Freunde waren sein Bruder Kimbal und seine Cousins. Gleichgesinnte findet Musk Mitte der 1990er-Jahre an der Queen’s University im kanadischen Ontario. Mit einem One-Way-Ticket war er kurz vor seinem 18. Geburtstag nach Kanada geflogen, an der Queen’s inskribiert er Betriebswirtschaft. Mit seinen neuen Freunden spielt er nächtelang „Dungeons and Dragons“ oder Videospiele und schreibt Computercodes.
An der Universität in Kanada und später beim Physikstudium in Pennsylvania stürzt sich Musk auf „das Leben, das Universum und alles“, wie Science-Fiction-Autor Douglas Adams die Frage nach dem Sinn des Lebens zusammenfasst. Sein erstes Computerspiel hat er bereits im Alter von elf Jahren programmiert, nun will er sein Talent für hehre Ziele nutzen.
In seiner Abschlussarbeit an der Universität in Pennsylvania befasst sich Musk mit erneuerbaren Energien. Er ist überzeugt, dass die Abkehr von fossilen Brennstoffen unausweichlich ist, und entwickelt ein Modell, in dem mit Spiegeln ausgestattete Satelliten Sonnenlicht auf Solarpanels auf der Erde reflektieren. Sein Professor gibt ihm 98 von 100 Punkten – und merkt an, dass Musk in der Conclusio seiner Arbeit Zahlen offenbar frei erfunden hat.
An Selbstbewusstsein hat er seither nicht verloren, im Gegenteil. In seiner Biografie über Elon Musk erinnert sich Isaacson an eine besonders skurrile Begegnung im März 2022. Gemeinsam mit zwei von Musks Kindern, damals gerade einmal eineinhalb Jahre alt, saßen die beiden in Musks Garten in Austin, Texas, am Swimmingpool in der Sonne, doch die Stimmung war düster. Die Furcht davor, dass künstliche Intelligenz (KI) irgendwann jene der Menschheit übertreffen könnte, prägte Musk schon lange. Doch nun sprach er davon, bald eine Zivilisation am Mars aufbauen zu müssen – jedenfalls noch bevor KI die Erde zerstöre. Elon Musk sieht sich als niemand Geringeren als den Retter der Menschheit. Seine Lebensvision fand er bereits während des Studiums, und er wird sie wiederholen wie ein Mantra. „Ich dachte über die Dinge nach, die die Menschheit wirklich beeinflussen werden“, sagt er zu seinem Biografen. Ihm fielen drei ein, an die er sich bis heute hält: „Das Internet, erneuerbare Energien und die Weltraumfahrt.“
Eine vierte Vision ist im Lauf der Jahre noch dazugekommen: die Erhöhung der Geburtenrate. In der Tatsache, dass viele seiner Freunde nur eines oder gar keine Kinder haben, sieht Musk eine „Gefahr für die Zukunft des menschlichen Bewusstseins“, wie er bei der Präsentation seiner Weltraumrakete „Starship“ im Jahr 2022 betonte. Elon Musk geht mit gutem Beispiel voran: Er hat mindestens zwölf Kinder mit drei Frauen.
Politisches Engagement zeigt er trotz seiner gesellschaftspolitischen Interessen aber die längste Zeit nicht. Wie viele aus seiner Branche ist Musk sozialliberal in Gesellschaftsfragen und libertär, wenn es um staatliche Vorgaben und Regulierungen geht.
Genie und Wahnsinn
Musk gründet seine ersten Unternehmen und überreizt die Geduld seiner Geschäftspartner.
Anfang 1995 wächst das Internet rasant, und Elon und Kimbal Musk haben eine Idee, wie sie damit Geld verdienen können: eine Suchmaschine, die Unternehmensdaten mit Straßenkarten verknüpft und Kunden an die richtigen Adressen führt. „Zip2“ ist ein voller Erfolg – und macht die Brüder mit Mitte 20 zu Millionären. „Ich könnte jetzt eine Insel auf den Bahamas kaufen“, sagt Elon Musk nach dem Verkauf der Firma im Jahr 1999 zum Fernsehsender CNN, „aber ich will viel lieber ein neues Unternehmen aufbauen.“
Das tut er.
Noch im selben Jahr gründet Musk den Finanzdienstleister „X.com“. Es soll eine „Superbank“ werden, über die Kunden von Zahlungen bis Investitionen und Krediten alles abwickeln können. Doch das Unternehmen gerät bald in einen wilden Wettkampf mit dem Bezahldienst „PayPal“ des deutsch-amerikanischen Investors Peter Thiel. Weil klar ist, dass nur eines der beiden Unternehmen überleben kann, entscheiden sie sich für eine Fusion.
Eine Weile geht das gut, doch bald übersteigt Musks aggressiver Eifer die Geduld seiner neuen Partner. Musk will nicht weniger als eine Revolution des Bankensektors, er träumt nach wie vor von einer Superbank, die gleichzeitig als soziales Netzwerk dient. Seine Partner bei PayPal sind klassische Investoren, die keine Risiken eingehen möchten. Musks Ideen halten sie für verrückt, und die Tatsache, dass er immer wieder Zahlen frei erfindet (etwa die Nutzerzahlen von X.com), macht ihnen Sorgen. Am Ende putschen Thiel und seine Leute Musk aus der Unternehmensführung. Gelohnt hat es sich dennoch: Als eBay PayPal im Jahr 2002 kauft, liegt Musks Anteil bei rund 150 Millionen Dollar.
Es ist das Startkapital für jene Unternehmen, die Musk zur Legende machen sollen: SpaceX und Tesla.
Visionär und Zerstörer
Musk wird zum Pionier im Bau von E-Autos und Raketen – und treibt seine Firmen beinahe in den Ruin.
Anfang September 2001 sitzt Elon Musk in einem Hotelzimmer in Manhattan und sucht auf der Website der US-Raumfahrtbehörde NASA nach deren Plänen für eine Reise zum Mars. Doch er findet nichts.
Musk ist entsetzt – und beschließt, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Im Jahr 2002 gründet er SpaceX. Es soll das erfolgreichste private Unternehmen für Weltraumfahrt aller Zeiten werden, heute bringt SpaceX mehr Ladegut in den Orbit als jedes Land der Welt. Doch damals liegt die Erforschung des Weltraums noch in den Händen der Nationalstaaten. „Ich werde eine Kolonie auf dem Mars starten“, erklärt Musk Freunden und Bekannten im Jahr 2001, „meine Mission ist, die Menschheit zu einer multiplanetaren Zivilisation zu machen.“
Meine Mission ist, die Menschheit zu einer multiplanetaren Zivilisation zu machen
Wie Musk damit Geld verdienen will, versteht niemand, doch darum geht es nicht, zumindest nicht in erster Linie. „Was ich damals nicht verstand, ist, dass Elon seine Missionen startet und erst danach eine Finanzierung sucht“, sagt Reid Hoffmann, ein ehemaliger PayPal-Kollege, gegenüber Isaacson. „Das macht ihn zu einer Naturgewalt.“
Weil die ursprüngliche Idee, gebrauchte Raketen aus Russland zu kaufen, scheitert, beginnt Musk den Bau mit eigens entwickelten Teilen. Zusammen mit einer kleinen Gruppe hoch motivierter Ingenieure improvisiert er auf einer alten Militärbasis im Südpazifik seine erste Kleinrakete „Falcon 1“. Das Team operiert nach dem Prinzip Trial and Error – und Musk setzt seine Leute unter Druck, um die Sache voranzutreiben. Als ein Blitzeinschlag den Tank der ersten Rakete beschädigt, ordnet Musk an, die Beulen mit Hämmern geradezubiegen, um ihn nicht ersetzen zu müssen und dadurch Zeit zu verlieren. Die Ingenieure halten die Idee für verrückt, doch sie gehorchen – und der Tank hält.
Der Dämonenmodus sorgt für viel Chaos, aber er bekommt damit auch viel erledigt
Läuft es nicht nach seinem Willen, verfällt Musk rasch in eine Stimmung, die Freunde und Familie als „Dämonenmodus“ beschreiben.
In dieser Verfassung schlägt er verbal um sich, beleidigt und erniedrigt Menschen, wie er es vom Vater kennt. Seine Entscheidungen sind dann noch riskanter, sein Ton schärfer, seine Art noch kompromissloser. „Sein starker Wille und die emotionale Distanz, die ihn zu einem schwierigen Ehemann machen, könnten der Grund für seinen unternehmerischen Erfolg sein“, sagt seine erste Frau, die Schriftstellerin Justine Wilson. Und seine dritte Frau, die kanadische Musikerin Claire Elise Boucher alias Grimes, formuliert es so: „Der Dämonenmodus sorgt für viel Chaos, aber er bekommt damit auch viel erledigt.“
Doch Musks Kompromisslosigkeit und seine Risikofreude haben ihren Preis. Im Jahr 2006 stürzt die erste Rakete nach wenigen Minuten ab, auch der zweite und der dritte Versuch scheitern. Während der Finanzkrise 2008 stehen sowohl SpaceX als auch Musks Elektroauto-Firma Tesla am Rande des Ruins. Doch dann hilft ihm ein alter Bekannter: Peter Thiel investiert 20 Millionen Dollar in SpaceX.
Musk kann einen letzten Versuch starten, und diesmal funktioniert es.
Am 28. September 2008 erreicht die Falcon 1 die Erdumlaufbahn, im Dezember unterzeichnet Musk einen Vertrag mit der NASA über 1,6 Milliarden Dollar. SpaceX soll künftig Ladegut zur Internationalen Raumstation ISS fliegen – und Musk ändert sein Computerpasswort auf „ilovenasa“.
Die Zukunft von SpaceX ist damit gesichert, doch Tesla befindet sich immer noch im freien Fall. Am Ende ist es ausgerechnet Daimler, der Tesla durch eine Millioneninvestition rettet. Kurz darauf bekommt Tesla einen Kredit von 465 Millionen Dollar von der Obama-Regierung.
Während der Präsidentschaft Barack Obamas von 2009 bis 2017 scheint Elon Musk mit der Regierung zufrieden. Für Politik konnte er sich bislang zwar nicht begeistern, doch Barack Obama weckt sein Interesse. Im Wahlkampf von 2008 spendet Musk für dessen Kampagne, einmal wartet er sechs Stunden in einer Schlange, um ihm die Hand zu schütteln.
Im Jahr 2016 unterstützt Musk Hillary Clinton im Wahlkampf gegen Donald Trump.
„Trump ist der größte Schwätzer überhaupt“, sagt er nach dessen Angelobung im Jahr 2017, „wie mein Vater“. Der Vergleich zeigt, wie groß die Abneigung damals ist: Den Kontakt zu seinem Vater brach Musk ab, nachdem dieser ein Kind mit der eigenen Stieftochter gezeugt hatte.
Nach Trumps Verkündung, Amerika aus dem Pariser Klimaabkommen zu führen, verlässt Musk Anfang 2017 zwei Wirtschaftsräte des Weißen Hauses. „Der Klimawandel ist real“, schreibt er auf Twitter. „Paris zu verlassen, ist nicht gut für Amerika oder die Welt.“
Ansonsten äußert sich Musk politisch kaum. Er hat anderes zu tun.
Im Jahr 2018 produziert Tesla 5000 E-Autos pro Woche, SpaceX hat fast 60 erfolgreiche Raketenstarts hinter sich gebracht, und Elon Musk ist zur Ikone einer ganzen Generation geworden.
Doch er kann nicht genug bekommen. Erfolge führen bei Musk offenbar zu einer Art inneren Unruhe. Er begibt sich auf die Suche nach Drama – und findet es im Kauf von Twitter.
Der Podcast zur Twitter-Übernahme
In fünf Episoden erzählen die Journalisten Sarah Kriesche und Christian Schiffer den Aufstieg Elon Musks als Hörspiel. Kostenlos u. a. in der ARD-Audiothek.
Vom Demokraten zum Absolutisten
Musk kauft Twitter und radikalisiert sich im Kampf um freie Meinungsäußerung.
Ende 2022, kurz nach dem Erwerb Twitters um sagenhafte 44 Milliarden Dollar, steht Elon Musk an einem absoluten Tiefpunkt. Dabei hatte es kurz davor noch ganz anders ausgesehen.
SpaceX war zum ersten Privatunternehmen avanciert, das Zivilisten in den Orbit schickte, Tesla zu einem milliardenschweren Giganten der Automobilindustrie angewachsen. An der Börse ist Tesla zwischenzeitlich mehr wert als Volkswagen, BMW und Daimler zusammen. Die EU will ab 2035 nur noch emissionsfreie Neuwagen zulassen. Musk ist Zeitgeist.
„Das ist der Mann, der unseren Planeten retten und uns einen neuen beschaffen will“, heißt es im „Time Magazine“, das ihn 2021 zur „Person des Jahres“ kürte. Damals war Musk der reichste Mann der Welt, gerade einmal ein Jahr später ist er weder das eine noch das andere: Musk ist tief gefallen – sowohl finanziell als auch persönlich. Nachdem er Twitter kauft und wenig später in X umbenennt, nehmen antisemitische und rechtsextreme Inhalte auf der Plattform stark zu. Große Werbekunden wie Apple und Disney wenden sich von Twitter ab. Die Werbeeinnahmen gehen fast um die Hälfte zurück.
Auch Musks andere Firmen leiden unter dem Image-Schwund. In den sechs Wochen nach dem Erwerb Twitters stürzen Tesla-Aktien von 340 auf 156 Dollar ab.
Musks Bruder Kimbal nutzt die Weihnachtstage 2022 für ein ernstes Gespräch. Zwischenzeitlich, schreibt Musks Biograf Isaacson, habe ein enger Freund Musks Smartphone über Nacht in einen Safe im Hotelzimmer eingesperrt, um seinen erratischen Tweets ein Ende zu setzen. Es wirkt so, als wäre Musk süchtig nach der Plattform geworden, die er gekauft hat.
Am Anfang versucht er noch die Wogen zu glätten. In einem Brief an Werbekunden heißt es, er habe Twitter nicht gekauft, um noch mehr Geld zu machen: „Ich tat es, um der Menschheit zu helfen, die ich liebe.“
Konkret hat Musk das sogenannte Trust-und-Safety-Team verkleinert, das sich um die Moderation problematischer Inhalte kümmerte und Sicherheitsfunktionen einführte.
Schnell wird aber klar, was Musk wirklich will: radikale Meinungsfreiheit – vor allem für die eigenen Anliegen. Der selbst erklärte „Absolutist der Meinungsfreiheit“ erinnert mehr und mehr an einen Machthaber, der sich von Launen und persönlichen Befindlichkeiten treiben lässt.
In einem ersten Schritt feuert Elon Musk die bisherige Führungsriege und einen Großteil der Mitarbeiter. Von zuvor rund 8000 Angestellten bleiben schließlich weniger als 2000 übrig. „Konkret hat Musk das sogenannte Trust-und-Safety-Team verkleinert, das sich um die Moderation problematischer Inhalte kümmerte und Sicherheitsfunktionen einführte. Der Personalabbau und die laxeren Regeln führten zu mehr Hass im Netz, aber auch zu einer riesigen Schwemme an Fake-Bots. Viele dieser Spam-Bots locken mit pornografischen Inhalten, man muss allerdings auch die Frage stellen, ob politische Kampagnen mit Bots nun einfacher werden“, sagt die österreichische Digital-Journalistin Ingrid Brodnig. Dazu kommt: Musk nimmt Twitter von der Börse. „Damit muss er – anders als Mark Zuckerberg bei Facebook – keine Quartalsberichte mehr vorlegen oder sich vor einem Verwaltungsrat erklären“, so Brodnig. Auch Anfragen von Journalisten nerven ihn. Wer per
E-Mail Fragen an X schickt, bekommt über Monate hinweg ein automatisiertes Kothaufen-Emoji als Antwort. Die wegweisende Änderung ist laut Brodnig aber Musks neues Bezahlmodell. Früher stand ein sogenannter „blaue Haken“ für die Echtheit von Institutionen, Medienunternehmen und öffentlichen Personen. Jetzt bekommen den Haken alle, die dafür bezahlen, also auch Trolle, die politische Kampagnen fahren. Eines der Grundprobleme von X sei, dass man seriöse von unseriösen Inhalten somit schlechter unterscheiden könne.
Die EU-Kommission hat deswegen ein Verfahren gegen X eingeleitet. Sie will überprüfen, ob der blaue Haken die Nutzer täuscht.
Währenddessen ist Musk auf seiner eigenen Mission. Nach der Übernahme will er der Welt zeigen, dass das alte Twitter zu links war – und gibt zwei freien Journalisten, darunter die ehemalige „New-York-Times“-Reporterin Bari Weiss, Zugang zu internen Dokumenten: den „Twitter Files.“
Sie belegen, wie Twitter im Wahlkampf 2020 die Verbreitung eines Artikels über Joe Bidens Sohn Hunter und dessen Auslandsgeschäfte unterdrückte. Und sie zeigen, dass Wahlkampfspenden der Twitter-Mitarbeiter zum Großteil an die Demokratische Partei gingen.
Doch dann trennt sich Musk von der Journalistin Bari Weiss, weil sie es wagt, ihn öffentlich zu kritisieren. Der Grund: Musk hatte eine Reihe von Journalisten von X verbannt, nachdem diese über einen
automatisierten Account namens @ElonJet berichteten, der die Standorte von Musks Privatjet veröffentlichte.
Der selbst ernannte Verteidiger der Meinungsfreiheit entfernt unliebsame Stimmen von seiner Plattform. Es ist ein Widerspruch, der nicht nur Weiss Sorgen bereitet.
„Das alte Regime bei Twitter wurde von seinen eigenen Launen und Vorurteilen regiert, und es sieht so aus, als hätte das neue Regime das gleiche Problem“, schrieb sie am 16. Dezember 2022. „Ich frage mich, ob eine nicht gewählte Einzelperson oder Clique eine solche Macht über die öffentliche Diskussion haben sollte.“
Mit Elon Musk gelangt ein Mann an die Spitze des weltweit einflussreichsten sozialen Netzwerks, der „mit einer verschwörerischen Denkweise ausgestattet ist“, wie Isaacson schreibt.
Die Lockdown-Maßnahmen von Joe Biden nennt Musk gegenüber Mitarbeitern faschistisch, auf Twitter spekuliert er darüber, das Anti-Malaria-Mittel Chloroquin zur Bekämpfung von Covid-19 einzusetzen. Musk, der stets an den Fortschritt und an die Wissenschaft glaubte, wirft Virologen vor, grundlos Panik zu verbreiten.
Endgültig kippen lässt Musk eine sehr persönliche Geschichte. Seine Tochter Vivian outet sich als transsexuell, bricht den Kontakt zu Musk ab und nimmt den Namen ihrer Mutter an. Für Musk ist es ein Schlag ins Gesicht. Schuld am „Verlust meines Sohnes“, wie er es formuliert, sei ein „Woke Mind Virus“, eine von linken Eliten propagierte Form der politischen Korrektheit, die halb Amerika infiziert hat.
Gemeinsam mit Verbündeten wie dem libertären Unternehmer David O. Sacks wird Musk zum selbst ernannten Retter der freien Meinungsäußerung – und driftet stetig nach rechts.
Der Aktivist
Wie Elon Musk seine Reichweite nutzt, um die Politik zu beeinflussen.
Im Mai 2022 kündigt Musk auf Twitter an, künftig republikanisch zu wählen: „In der Vergangenheit habe ich die Demokraten gewählt (…) aber sie sind die Partei des Hasses und der Polarisierung geworden.“ Gleichzeitig verharmlost er in Postings die Alternative für Deutschland (AfD), steigt zum neuen Star der Bolsonaro-Anhänger in Brasilien auf und hat eine Reihe von ehemals gesperrten Accounts zurück auf X geholt, darunter den österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner. Als die Polizei dessen Lesung in der Schweiz stürmt, schreibt Musk auf X: „Ist das legal?“
Seit dem Attentatsversuch unterstützt Musk Trump offen. Im März hatte Musk auf Twitter angekündigt, weder für die Kampagne der Republikaner noch der Demokraten spenden zu wollen. Heute behauptet Trump, Musk wolle ihm monatlich 45 Millionen Dollar spenden. Musk dementiert das, doch er hilft Trump auf andere Weise.
Auf X macht er Stimmung gegen Trumps demokratische Rivalin Kamala Harris, nennt sie eine „Kommunistin“ – und nutzt auch unlautere Mittel, um sie zu diskreditieren.
Ende Juli teilt Musk ein knapp zwei Minuten langes Video, in dem eine künstliche Intelligenz mit Harris’ Stimme spricht. In dem Clip sagt sie, dass sie nur ausgewählt wurde, weil sie eine schwarze Frau sei und eigentlich keine Ahnung habe, wie sie die USA regieren solle. Musk verbreitet das Video ohne Hinweis auf die Manipulation und behauptet später, es handle sich um Satire.
Im Wahlkampf fragen sich viele: Wie viel Macht hat Musk als Inhaber von X? In der Vergangenheit wies er Mitarbeiter an, seine Reichweite gezielt nach oben zu schrauben. Ein gefährlicher Präzedenzfall, der zeigt, wie Musk mit einem einzigen Anruf die öffentliche Meinung beeinflussen kann.
Nicht nur in den USA, sondern auch in Europa, aktuell in Großbritannien.
Musk pusht die Postings rechtsextremer Aktivisten und legt sich mit dem britischen Premier Keir Starmer an. Der will soziale Medien bei Falschinformationen und Gewaltaufrufen stärker in die Pflicht nehmen. Damit drohen Musk nicht nur Strafzahlungen in der EU, sondern auch in Großbritannien.
Aus dem genialen Unternehmer ist ein Agitator geworden, der dank seines Reichtums und ohne sich einer Wahl zu stellen Macht ausübt.
Siobhán Geets
ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.
Franziska Tschinderle
schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.