Europa

Österreich ist wieder einmal anders

Konservative Volksparteien in Europa versuchen eigentlich, Rechtspopulisten vom Amt des Regierungschefs fernzuhalten. Nicht so die ÖVP.

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Österreich sei „ein Beispiel, wie es nicht laufen darf“, sagte Robert Habeck, Kanzlerkandidat der deutschen Grünen bei den bevorstehenden Bundestagswahlen, nachdem die Koalitionsgespräche der Austro-Ampel gescheitert waren und damit der Weg für eine FPÖ-geführte Regierung frei war. Verfällt Habeck absichtsvoll in Alarmismus und übersieht geflissentlich, dass rechtspopulistische Parteien bereits in mehreren Staaten der Europäischen Union regieren, mitregieren oder drauf und dran sind, Regierungsverantwortung zu übernehmen? Oder ist Österreich einmal mehr – wie schon mit der schwarz-blauen Regierungsbildung im Jahr 2000 – ein Vorreiter, wenn es darum geht, Rechtspopulisten an die Macht zu bringen?

Tatsächlich würde eine Regierung aus FPÖ und ÖVP unter der Führung eines Bundeskanzlers Herbert Kickl in der politischen Landschaft Europas ein Erdbeben bedeuten, auch wenn das derzeit von vielen aus taktischen Gründen kleingeredet wird. Die ÖVP wäre die erste konservative Volkspartei in der EU, die einen Rechtspopulisten zum Regierungschef macht. Das ist keine Kleinigkeit.

Wie es einem konservativen Parteichef ergehen kann, wenn er als Juniorpartner mit einer rechtspopulistischen Partei ein Bündnis eingehen möchte, hat im vergangenen Jahr Éric Ciotti ausprobiert. Er war Vorsitzender der französischen konservativen Partei Les Républicains (Die Republikaner), die zuletzt in den Jahren 2007 bis 2012 mit Nicolas Sarkozy den Staatspräsidenten stellte. Ciotti verfiel kurz vor den Parlamentswahlen im Juni des vergangenen Jahres auf die Idee, ein Wahlbündnis mit dem Rassemblement National (RN), der Partei von Marine Le Pen, einzugehen. Die Folge war ein Aufruhr innerhalb der Partei, der in einen offenen Machtkampf mündete.

Ciotti bezeichnete seinen Coup als „politische Revolution“ und hatte dabei mehrere Medien auf seiner Seite, die in seinem Sinne berichteten. Doch die Gegner einer Allianz mit dem RN innerhalb der Republikaner formierten sich rasch und beriefen eine Vorstandssitzung ein. Ciotti ließ die Türen zum Gebäude der Partei versperren, aber das nützte nichts. Es fand sich ein Versammlungsraum in der Nähe, und Ciotti wurde einstimmig aus der Partei ausgeschlossen. Dieser Vorgang wurde zwar später aus juristischen Gründen von einem Gericht für ungültig erklärt, doch am Ende trat Ciotti freiwillig aus. Er sitzt jetzt für eine von ihm geführte rechte Kleinpartei im Parlament.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur