Rechte Gefahr für Konservative
In den Niederlanden kam hingegen eine Regierungskoalition zustande, an der sowohl die rechtspopulistische „Partei für die Freiheit“ (PVV) von Geert Wilders als auch Schwesterparteien der ÖVP beteiligt sind – die Bauer-Bürger-Bewegung (BBB) und die Kleinpartei Neuer Gesellschaftsvertrag (NSC). Zudem die liberal-konservative Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD). Aber obwohl Wilders’ PVV die stärkste Formation im Parlament ist, blieb ihm das Amt des Regierungschefs verwehrt. Das übt der parteilose Dick Schoof aus.
Die rechtspopulistisch geführte italienische Regierung von Giorgia Meloni besteht neben ihrer Partei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) und der Lega zwar auch aus der Forza Italia, einer Schwesterpartei der ÖVP, doch die ist mit knapp acht Prozent bei den Parlamentswahlen gerade einmal fünftstärkste Kraft und weit vom Status einer Volkspartei entfernt.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán schließlich hat neben seinem Fidesz (Bürgerbund) auch die kleine Christlich-Demokratische Volkspartei mit im Boot, beide Parteien gehören jedoch der rechtspopulistischen EU-Fraktion Die Patrioten an.
Die ÖVP beschreitet also tatsächlich neue Wege, und nicht nur der Grünen-Politiker Habeck, auch Konservative ziehen die Augenbrauen hoch. Markus Söder, Vorsitzender der CSU und Bayerns Ministerpräsident, sagte, er habe „keine Lust, niemals, dass wir am Ende Steigbügelhalter werden für irgendwelche Populisten“. Und sein Parteikollege Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag, urteilt knapp: „Österreich ist ein Warnsignal.“
Die Konservativen in Europa haben – mindestens – zwei Motive, weshalb sie den Aufstieg der Rechtspopulisten verhindern wollen: Erstens müssen sie befürchten, von ihnen als stärkste Kraft im rechten Spektrum abgelöst zu werden, und zweitens planen FPÖ, AfD und Co, die Europäische Union, die von den Konservativen gemeinsam mit den Sozialdemokraten (und später auch den Liberalen und den Grünen) aufgebaut wurde, zu demolieren.
Die erste, parteitaktische Sorge ist für manche bereits Realität geworden. In Österreich, Italien, Ungarn, Belgien, den Niederlanden, Frankreich, Schweden, Rumänien haben die Rechtspopulisten die Konservativen überholt.
Die zweite Sorge, die um Europa, beschreibt einen der zentralen Konflikte der kommenden Jahre. Wenn Rechtspopulisten verächtlich vom „System“ sprechen, meinen sie damit unter anderem auch die Europäische Union. Wobei jedoch nicht alle dieser Parteien die EU gleichermaßen ablehnen: Giorgia Meloni etwa hat sich im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs als konstruktives Mitglied etabliert.
FPÖ-Attacken gegen die EU
Die FPÖ allerdings ist im Spektrum der EU-Feindseligkeit am anderen Ende der Skala angesiedelt. In ihrem Programm zur Nationalratswahl 2024 finden sich heftige Attacken gegen so gut wie alle wichtigen EU-Institutionen. Darunter der Vorwurf, die EU fahre „an allen Ecken und Enden einen Eskalationskurs, der in einem dritten Weltkrieg enden könnte“, woraus die FPÖ die Forderung nach einem „Nein zur Europäischen Friedensfazilität“ ableitet. Dahinter verbirgt sich die strikte Ablehnung der Sanktionen gegen Russland und der Unterstützung der Ukraine mit Geld und Waffen.
In den Augen der FPÖ handelt die Europäische Zentralbank „willkürlich“, der Europäische Gerichtshof (EuGH) überschreite „die Grenzen der Gewaltenteilung“ und sei zusammen mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte „zur treibenden Kraft der gesellschaftspolitischen Zersetzung geworden“. So kommt die FPÖ zum Schluss, dass „Kompetenzen aus der EU zurückgeholt“ werden müssten und die österreichische Verfassung „zu einer Festung gegen die Angriffe von außen durch die EU und andere supranationale Organisationen“ ausgebaut werden müsse.
Nur die Alternative für Deutschland (AfD) geht noch einen Schritt weiter und fordert regelmäßig den Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union. Und obwohl die AfD nicht mehr Mitglied der Fraktion der Patrioten im EU-Parlament ist, hält FPÖ-Chef Herbert Kickl ihr unverbrüchlich die Treue und gratuliert zu jedem Wahlerfolg.
Blaupause für Allianz mit Rechtsaußen
Kein Wunder, dass proeuropäische Parteien Unruhe erfasst, wenn Kickl sich anschickt, demnächst als Regierungschef im Europäischen Rat aufzutauchen. Dort nämlich bildet sich langsam eine Phalanx aus Vertretern, die an einer Untergrabung des Fundaments der EU arbeiten. Ein Kanzler Kickl wird Viktor Orbán gern hilfreich zur Seite stehen, wenn der ein Verfahren wegen Verstößen gegen das Rechtsstaatlichkeitsprinzip am Hals hat. Auch die Ablehnung der Russland-Sanktionen eint Kickl, Orbán und auch Marine Le Pen, die keine schlechten Chancen hat, sich nach den nächsten Präsidentschaftswahlen in Frankreich zu ihnen zu gesellen.
Le Pen hat auch schon eine Idee ventiliert, wie man das französische Budget sanieren könnte: durch die einseitige Kürzung des EU-Beitrags. Dass eine solche Vorgangsweise gegen die europäischen Verträge verstößt, stört sie kein bisschen – und mutmaßlich auch nicht ihre rechtspopulistischen Freunde in der Patriotischen Fraktion im EU-Parlament, die darin wohl eher ein nachahmenswertes Vorbild sehen.
In Deutschland halten die Unionsparteien noch dagegen und versuchen, die AfD von jeglicher Regierungsmacht fernzuhalten. Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) schließt eine Zusammenarbeit mit der AfD aus. Wenn die ÖVP Kickl zum Kanzler macht, liefert sie kurz vor der Bundestagswahl am 23. Februar eine unerwünschte Blaupause für eine Allianz mit Rechtsaußen und fällt ihren deutschen Parteifreunden damit in den Rücken. AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel jubelt bereits: „Das letzte Stündlein der ‚Brandmauer‘ wird auch bei uns bald schlagen!“