Fragen und Antworten zum Kosovo-Serbien-Konflikt: Land in Sicht?
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Ist der Kosovo ein Staat?
Ja, aber damit sind wir schon Mitten im Thema. Denn je nachdem wen man fragt, wird man unterschiedliche Antworten bekommen. Der Kosovo hat sich 2008 (einseitig) von Serbien unabhängig erklärt und eine Mehrheit der Staaten auf der Welt hat die Unabhängigkeit völkerrechtlich anerkannt. Insgesamt sind das rund 117 Länder, darunter auch Österreich und Deutschland. Aber: Serbien, dessen autonome Provinz der Kosovo zurzeit Jugoslawiens war, sieht den Kosovo noch immer als Teil des eigenen Staatsgebietes. Und Belgrad ist nicht allein. Russland und China – Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat – haben den Kosovo ebenfalls nie anerkannt. Auch fünf EU-Mitglieder (Griechenland, Rumänien, Slowakei, Spanien, Zypern) erkennen die Unabhängigkeit nicht an.
Ist der Kosovo in der NATO?
Nein, aber er wäre es gerne. Russland und China blockieren derzeit eine Aufnahme in die Vereinten Nationen. Bei der NATO sind die Aussichten etwas besser. Das liegt auch daran, dass der Kosovo historisch gesehen ein Produkt der NATO ist, die 1999 militärisch im Krieg intervenierte. Doch vier NATO-Mitglieder blockieren die Aufnahme des Kosovo in das westliche Verteidigungsbündnis, darunter Spanien und Griechenland. Der Kosovo möchte auch Teil der EU werden. Anders als bei Serbien laufen die Beitrittsgespräche aber noch nicht. Der Kosovo ist das einzige Land auf dem Balkan, dass noch nicht den Status eines Beitrittskandidaten besitzt. Im Dezember 2022 hat die Regierung in Prishtina einen offiziellen Antrag gestellt.
Könnte Serbien einmarschieren?
Nein, das ist so gut wie ausgeschlossen, weil der Kosovo unter dem Schutzschirm der NATO steht. Seit 1999 ist die NATO-geführte Friedenstruppe „KFOR“ im Kosovo stationiert, um einen neuen Konflikt zu verhindern. Seit damals hat die serbische Armee die Pufferzone an der Grenze nie übertreten. Ursprünglich beteiligten sich an der Kfor-Mission über 40 Staaten mit knapp 50.000 Soldaten. Aktuell wird die Kfor-Truppe von 27 Staaten gestellt, darunter auch neutrale Länder wie Österreich. Mehr als zwanzig Jahre nach dem Krieg befinden sich noch 3.800 Soldaten und Soldatinnen im Land, davon derzeit 300 aus Österreich.
Was ist der Grund für die Spannungen?
Die wiederkehrenden Spannungen im Norden des Kosovo haben unterschiedliche Auslöser, aber die Grundproblematik ist immer dieselbe: Serbien will die Staatenwerdung des Kosovo verhindern. In regelmäßigen Abständen entzündet sich der Konflikt an vermeintlich kleinen Details, zuletzt an Kfz-Kennzeichen und an Einreisepapieren. Bis vor kurzem bekamen kosovarische Bürger, die nach Serbien einreisen, ein provisorisches Ausweispapier ausgestellt, weil die serbische Behörden ihre Dokumente nicht anerkennen. Als Prishtina daraufhin das Prinzip der Reziprozität (Gegenseitigkeit) walten ließ und die Serben ebenfalls zwang, bei der Einreise in den Kosovo ein solches Papier vorzuweisen, kam es zu Straßenblockaden und Aufständen in den mehrheitlich von Serben bewohnten Gemeinden im Norden des Kosovo. Zu Eskalationen kam es auch, als Pristina der serbischen Minderheit eine Frist setzte, bis zu der sie ihre serbischen Kfz-Kennzeichen durch kosovarische ersetzen mussten. Im Herbst zogen sich die serbischen Vertreter aus Protest gegen die Regierung in Pristina aus den Institutionen zurück. Die Serben-Partei im Kosovo kündigte einen Boykott der Kommunalwahlen an. Es kam zur Festnahme von Rädelsführern durch die kosovarischen Behörden und zu Schießereien. Ende Dezember verkündete Präsident Vučić, die serbische Armee in höchste Gefechtsbereitschaft zu versetzen.
Hat der EU-Dialog etwas gebracht?
Seit 2012 vermittelt die EU im Dialog mit Serbien. „Es ging relativ vielversprechend los“, sagt der Balkanexperte Florian Bieber im Podcast mit profil, „etwa bei der Anerkennung von Diplomen, der Rückkehr der Serben in die Institutionen und so weiter.“ Der Dialog hat technische Details gelöst: eine eigene Handy-Vorwahl für den Kosovo, die Integration des Nordens in das Justiz-, und Polizeiwesen des Kosovo, der Abbau von Parallelstrukturen, das Abhalten von Regionalwahlen unter OSZE-Aufsicht. Die große Frage wurde aber nicht geklärt: Was muss passieren, damit Serbien den Kosovo anerkennt? Was die Verhandlungen zusätzlich erschwert ist, dass der Dialog hinter verschlossenen Türen stattfindet. Die EU hat mit Miroslav Lajčák einen Sondergesandten. Aus den USA vermittelt Gabriel Escobar im Dialog. „Die Abkommen sind keine schriftlichen Verträge, die der Öffentlichkeit vorliegen. Das erschwert eine Überprüfung, welche Seite was umgesetzt hat“, sagt Florian Bieber.
Warum erkennen fünf EU-Länder den Kosovo nicht an?
Genau das hat den Dialog von Anfang an erschwert. Griechenland, Rumänien, die Slowakei, Spanien und Zypern haben die Unabhängigkeit des Kosovo bis heute nicht anerkannt. Dahinter stehen innenpolitische Gründe und Konflikte mit Minderheiten im eigenen Land. Spanien befürchtet, dass sich Katalonien abspalten könnte. Im Fall Zypern ist es der türkische Teil der Insel. Den fünf Nicht-Anerkennern der EU kommt im Kosovo-Konflikt eine Schlüsselrolle zu. „Wenn nur einer von ihnen den ersten Schritt macht, zum Beispiel Griechenland, könnte Schwung in die Sache kommen“, sagt René Schlee, Büroleiter der SPD-nahen „Friedrich Ebert Stiftung“ in Pristina. Derzeit gilt das Credo, dass die fünf Länder erst dann nachziehen, wenn Serbien sich mit dem Kosovo geeinigt hat. Aber warum sollte ausgerechnet Serbien, der historische Erzfeind, den ersten Schritt machen, wenn sich nicht einmal EU-Länder bewegen?
Was beinhaltet der deutsch-französische Vorschlag?
Auf dem Balkan machen immer wieder sogenannte „non papers“ die Runde, geleakte Dokumente aus diplomatischen Verhandlungen. Im Falle des Kosovo hat keines davon eine Lösung erzielt. 2019 machte ein territorialer Gebietsaustausch zwischen Kosovo und Serbien die Runde, 2021 eine Autonomie Nordkosovos. Vieles deutet darauf hin, dass der aktuelle Vorschlag vielversprechender ist. Erstens: Er sieht keine Grenzverschiebungen vor, die laut Experten einen Domino-Effekt auf dem Balkan auslösen könnten. Zweitens: Der Vorschlag ist transparent und die Öffentlichkeit weiß, woher er kommt, nämlich aus der Feder der Berater des deutschen Kanzlers Olaf Scholz und des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Mittlerweile haben auch die USA und die EU das Papier übernommen. Es handelt sich also um keine bilaterale Initiative, sondern um einen euro-atlantischen Vorstoß. Leaks zufolge sieht der Plan vor, dass Belgrad die Unabhängigkeit des Kosovo nicht formell anerkennt, sondern nur de facto akzeptiert. Erst dann, wenn beide Länder der EU beitreten, soll ein Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung geschlossen werden. Der Vorschlag löst die Krise also nicht, sondern normalisiert sie nur. Er zielt auf einen Status Quo ab, mit dem beide Seiten gut leben können. Weil der Vorschlag mit den EU-Ländern abgesprochen ist, könnte er dazu führen, dass die fünf Nicht-Anerkenner ihre Blockade aufgeben. Damit könnte der Kosovo Beitrittsgespräche beginnen, wie sie Serbien bereits seit 2014 führt.
Was ist der serbische Gemeindeverband?
Es handelt sich um eine Art Dachorganisation für jene zehn Gemeinden, in denen Serben die Mehrheit stellen. Vier davon befinden sich im Norden an der Grenze zu Serbien, der Rest ist als Enklaven im Rest des Kosovo verteilt. Der serbische Gemeindeverband ist ein Produkt der EU-Verhandlungen. 2013 einigten sich die Premierminister Serbiens und des Kosovo in Brüssel darauf. Umgesetzt wurde er aber nie. 2015 entschied der kosovarische Verfassungsgerichtshof, dass ein solcher Gemeindeverband verfassungswidrig wäre, weil er eine dritte Verwaltungsebene schaffen und somit das staatliche Gewaltmonopol untergraben würde. Vereinfacht gesagt: Die Regierung in Pristina hat Angst, dass der Kosovo dann nicht mehr regierbar wäre und sich Parallelstrukturen mit Exekutivbefugnissen bilden könnten. „Die Kosovaren sind besorgt, dass der Gemeindeverband eine eigenständige Einheit bilden könnte, ähnlich der Republika Srpska in Bosnien Herzegowina“, sagt Südosteuropa-Experte Florian Bieber im profil-Podcast. Doch anstatt einen Gegenvorschlag zu machen, wischt die Regierung von Albin Kurti den Gemeindeverband gleich ganz vom Tisch. In Belgrad drängt man auf eine Umsetzung und betont, dass der Kosovo seinen Verpflichtungen von 2013 nicht nachkomme. Wie der Verband konkret aussehen könnte, ist bis heute unklar. Die SPD-nahe Friedrich Ebert Stiftung (FES) hat an einem Statut gearbeitet und es von einer Verfassungsrechtlerin überprüfen lassen. Es wird kommenden Montag in Prishtina präsentiert und an Botschaften sowie die Konfliktparteien geschickt. Es ist der erste veröffentlichte Vorschlag, auf dessen Grundlage sich die FES eine Diskussionen erhofft. Ob er offiziell in den EU-Dialog aufgenommen wird, ist unklar.