Macron gegen Le Pen: Kampf um Frankreichs politische Kultur
Was für ein Duell: Mann gegen Frau. Linksliberal gegen rechtsextrem. Öffnung gegen Abschottung. Mehr Europa gegen möglichst wenig. Deutschland-Freund gegen Deutschland-Feindin. Brückenbauer gegen Demagogin. Beide Kandidaten können Frankreichs neuer Präsident werden.
Sie sind: Emmanuel Macron (39), smarter Liebling und Hoffnungsträger aller Pro-Europäer. Und Marine Le Pen (48) von der rechtsextremen Front National, das Schreckgespenst für Brüssel und Berlin.
Die erste Runde geht an Macron, den früheren Top-Banker und Ex-Wirtschaftsminister unter dem scheidenden und gescheiterten Präsidenten Francois Hollande, der überhaupt zum ersten Mal bei einer Wahl angetreten ist. Und: Traut man den Umfragen, ist Macron in Durchgang zwei der klare Favorit.
Das Land driftet ab in die Extreme
Doch Angela Merkel und die EU-Granden sollten sich nicht zu früh freuen. Das Brexit-Votum und die US-Wahl haben gezeigt: Alles ist möglich. Der erste Wahlgang in Frankreich macht auch deutlich: Das Land driftet ab in die Extreme. Über 40 Prozent holten die extreme Rechte und die extreme Linke zusammen.
Das etablierte Parteiensystem mit Sozialisten auf der linken Seite und Republikanern auf der rechten ist zusammengebrochen. Erstmals seit Jahrzehnten schaffen es deren Kandidaten nicht ins Finale.
Le Pen kann ihr Ergebnis von 2012 von 17,9 Prozent auf über 21 Prozent deutlich verbessern, Linksaußen Jean-Luc Melenchon erreicht über 19 Prozent. Und das bei einer hohen Wahlbeteiligung.
Schafft Le Pen es im zweiten Wahlgang nicht, könnte das moderaten Kräften nur eine Atempause verschaffen. Denn Macron hat zwar mit "En Marche!" (Auf dem Weg) eine hochmotivierte Bewegung geschaffen, aber keinen gut geölten Parteiapparat im Rücken. Um regieren zu können, braucht er jedoch Parlamentssitze.
Damit steht bei den Parlamentswahlen im Juni das Rückspiel bevor. Die Front National, bisher nur zwei Sitze stark, könnte 40 Mandate holen, heißt es. Zudem ist sie im Gegensatz zu "En Marche!" inzwischen in vielen Regionen bestens verankert, zum Teil auch mit eigenen Bürgermeistern.
Aber wieso sind die Radikalen in Frankreich so stark? Das Land ist in einer tiefen Terror- und Sinnkrise, das hat der turbulente Wahlkampf überdeutlich gezeigt. Le Pen profitierte ohne Zweifel von der Angst vor dem islamistischen Terrorismus.
Frankreich ist verwundbar geworden
Frankreich, Mitglied im UN-Sicherheitsrat und Atommacht, ist verwundbar geworden: Seit 2015 ist es wie kein anderes westliches Land von islamistischen Terroristen heimgesucht worden. Weltweite Chiffres dieser Terrorwelle sind die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" und der Musikclub "Bataclan".
In Frankreich hat das Morden tiefe Spuren hinterlassen und den Aufstieg des rechtsextremen Front National beschleunigt. Noch drei Tage vor der Wahl erschüttert eine tödliche Attacke auf Polizisten auf den Champs-Elysee das Land.
Aber da ist noch mehr: Die Le Pen und Melenchon wurden auch getragen von einer Welle des Frusts und der Enttäuschung über die da in Paris, über korrupte Politiker, über das System, über den wirtschaftlichen Stillstand. Über ein als unsozial empfundenes Europa, in dem der Musterschüler Deutschland so oft den Ton angibt. Es gibt aber auch Lust an der Revolte - etwa bei jungen Leuten in den großen Städten.
Und dann das FN-Thema Nummer eins: Die Einwanderung und Le Pens Gleichung: Mehr Flüchtlinge gleich mehr Terroristen. Sie will ihr Land abschotten und Ausländer beim kleinsten Vergehen ausweisen.
Da gibt es Parallelen zu Österreich und den Niederlanden, den jüngsten Stimmungstests über Europa. Überall streben die Rechtspopulisten an die Macht. Wie Norbert Hofer in Österreich und Geert Wilders in den Niederlanden könnte Le Pen jetzt in letzter Minute abgefangen werden. Der Sensationscoup von Donald Trump in den USA scheint noch nicht erreichbar. Doch der Zulauf der Rechten in Europa ist enorm. Und die EU muss nach Flüchtlingskrise und Brexit-Votum sowieso um ihre Zukunft kämpfen.
Macron wäre nicht nur ein Stabilisierungsfaktor für die EU ("Ich habe Europa im Herzen."), er wäre auch der jüngste französische Präsident aller Zeiten: Neun Jahre jünger als Valéry Giscard d'Estaing, der 1974 mit 48 Staatschef wurde. Macron ist wirtschafts- und europafreundlich und will die Partnerschaft mit Deutschland pflegen.
Er sieht sich weder links noch rechts, sondern will pragmatisch aus jedem Lager Themen aufnehmen. New Labour von Tony Blair und die Neue Mitte von Gerhard Schröder lassen grüßen. Ein strategischer Brückenschlag, der sich offensichtlich ausgezahlt hat. Profitiert hat er aber vor allem davon, dass sich Hollandes Sozialisten selbst zerlegt haben und die Konservativen an einem Kandidaten festhalten, der eigentlich nicht mehr zu halten war: Francois Fillon.
Der etablierten Politik trauen viele Franzosen eh nicht mehr viel zu. Der konservative Nicolas Sarkozy und sein Nachfolger Hollande haben viele Versprechungen gemacht, aber kaum welche gehalten. Hollandes Bilanz war so mies, dass er sich nicht mehr traute anzutreten.
Sarkozy versuchte nochmal, Hollandes Nachfolger zu werden, scheiterte aber an Fillon, der sich im Vorwahlkampf als Saubermann inszenierte und Ermittlungen gegen Sarkozy für sich nutzte. Nur leider wurde dann gegen ihn selbst ermittelt. Frau und Kinder sollen zum Schein für ihn im Parlament gearbeitet haben, er nahm teure Anzüge und andere Geschenke an. Er blieb trotzdem und bestätigte damit alle üblen Vorurteile gegen Politiker, die es so gibt. Die Quittung: Fillon schafft es nicht ins Stechen.
Doch nicht nur Macron, auch Le Pen sog Honig daraus. Marine Le Pen hat damit geschafft, was ihrem Vater Jean-Marie 2002 schon einmal gelungen ist: Sie zieht in die zweite Wahlrunde ein. Damals jagte das Ergebnis für Papa Le Pen eine Schockwelle durch das Land. Denn der heute Front-National-Gründer war als Antisemit und Holocaust-Leugner breiteren Schichten nicht vermittelbar. Das Ergebnis: Der Gaullist Jacques Chirac besiegte Le Pen haushoch.
Seine Tochter hat den Front National salonfähig gemacht. Sie hat ihren Vater aus der Partei gedrängt. Strategisch hat sie die FN für neue Wähler aus der Arbeiterschaft geöffnet, indem sie die Fremdenfeindlichkeit sozialistisch gefärbt hat.
Egal, ob Macron oder Le Pen. Sie übernehmen von Hollande ein schwer strapaziertes Land. Die immer noch zweitgrößte Volkswirtschaft in Europa gilt seit längerem als Problemfall mit Reformstau. Die Arbeitslosenquote liegt bei zehn Prozent - zweieinhalb Mal so hoch wie in Deutschland. Und was noch schwerer wiegt: Von den jungen Leuten hat nur jeder vierte einen Job. Die massiven sozialen Probleme in den Vorstädten mit hohen Kriminalitätsraten haben vor allem mit fehlender Integration und Zukunftsperspektiven zu tun. Dem Staat fehlen Geld und Ideen. Und ein zupackender, handlungsfähiger Präsident.