Franz Schellhorn: Der Fluch des billigen Geldes

Franz Schellhorn: Der Fluch des billigen Geldes

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Eines muss man den Linken lassen: das Talent, hochkomplexe Sachverhalte in klare und einfache Worte zu kleiden, alles Übel mit „Ergebnis der neoliberalen Spardoktrin!“ zu etikettieren, diese Erklärung erfolgreich auf die Reise um die Welt zu schicken und dabei auch noch so zu tun, als schwimme man damit einsam gegen den Strom. Wer sich etwa mit der Frage quält, warum die Lage in Griechenland ist, wie sie ist, wird von den Anti-Austeritäts-Ökonomen aus der Dunkelkammer geführt: Griechenland werde seit Jahren systematisch kaputtgespart. Renten würden gekürzt, Löhne gekappt, Staatsausgaben gesenkt und das staatliche Gesundheitswesen ausgehöhlt. Ein Weg, der in die Depression mit grassierender Massenarbeitslosigkeit führe, wie Ökonomen von Joseph Stiglitz abwärts ausdauernd behaupten.

Begonnen hat die Malaise mit der Euro-Einführung und der damit verbundenen Absenkung des Zinsniveaus

Eine Analyse, die auch nicht ganz falsch ist: Die Arbeitslosigkeit liegt in Griechenland heute bei 26 Prozent, 2008 waren es nur acht Prozent. Die Wirtschaftsleistung ist seither um ein Viertel geschrumpft, womit die Rettungsmaßnahmen nur schwer als durchschlagender Erfolg verkauft werden können.

Wie aber konnte es so weit kommen? Hat das Unheil tatsächlich mit gekürzten Staatsausgaben seinen Lauf genommen? Nein, begonnen hat die Malaise mit der Euro-Einführung und der damit verbundenen Absenkung des Zinsniveaus. Bereits im Jahr des Euro-Beitritts (2001) zahlte Griechenland nicht mehr 25 Prozent für seine Staatsschulden, sondern nur noch fünf Prozent, genauso viel wie Deutschland. Eigentlich ein Segen, der für die Hellenen aber zum Fluch wurde. Das billige Geld wurde nämlich nicht investiert, sondern konsumiert. Allen voran vom Staat, der die rasant gefallenen Finanzierungskosten nutzte, um Parteifreunde und Verwandte mit hoch dotieren Posten zu versorgen. Die Löhne der Beamten wurden nach Kräften angehoben, Staatsausgaben und öffentliche Schulden nach oben getrieben. Allein von 2001 bis 2009 hat sich der Personalaufwand im Staatsdienst verdoppelt. Der Privatsektor musste bei den Löhnen mitziehen, wollte er die besten Mitarbeiter nicht an den Staat verlieren.

Das alles war ganz nach dem Geschmack der Anti-Austeritäts-Ökonomen: Die gestärkte Kaufkraft führe ja schließlich zu mehr Nachfrage, mehr Beschäftigung und mehr Wohlstand. Die Nachfrage ist tatsächlich angesprungen – allerdings jene nach ausländischen Produkten. Die griechischen Arbeitskosten stiegen nämlich viel schneller als die Produktivität. Die Arbeitgeber verteuerten ihre Produkte, um die höheren Löhne zahlen zu können, und flogen deshalb reihenweise aus dem Markt. Der frühere Wirtschaftsminister Michalis Chrysochoidis, ein Sozialist, erklärte das so: „Während wir mit der einen Hand das Geld der EU nahmen, haben wir nicht in neue und wettbewerbsfähige Technologien investiert. Alles ging in den Konsum. Das Ergebnis war, dass alle, die etwas produzierten, ihre Betriebe schlossen und Importfirmen gründeten, weil sich damit mehr verdienen ließ. Das ist das eigentliche Desaster dieses Landes.“

Griechenland wurde nicht kaputtgespart. Griechenland hat sich kaputtkonsumiert und kaputtverschuldet

Ein Desaster, das sich in Zahlen fassen lässt: Vor dem Euro-Beitritt konsumierten private und öffentliche Haushalte weniger als das jährliche Nettonationaleinkommen, seit 2005 ausnahmslos mehr. Im Vorjahr waren es 113 Prozent. Aus Sicht des Ökonomen Hans-Werner Sinn ist das keine Austerität, sondern das Gegenteil davon. Mit anderen Worten: Griechenland wurde nicht kaputtgespart. Griechenland hat sich kaputtkonsumiert und kaputtverschuldet. Die Nettoauslandsschulden Griechenlands erhöhten sich vom Eurobeitritt bis zum Vorkrisenjahr 2007 von 68 Milliarden Euro auf 214 Milliarden Euro. Sie haben sich also verdreifacht oder im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung von 45 auf 92 Prozent verdoppelt.

Interessanterweise fehlen die Jahre vom Euro-Beitritt bis zum Beginn der Ausgabenkürzungen in sämtlichen Erzählungen jener, die Griechenland als Opfer einer zerstörerischen Sparpolitik beklagen. Ein Zufall? Keineswegs. Würden diese Jahre berücksichtigt, wäre die Austeritätsthese widerlegt. Jeder würde sehen, dass über schuldenfinanzierte Ausgabenprogramme ein künstliches Wohlstandsniveau geschaffen wurde, das so nicht haltbar war. Weil diesen Weg an den Kapitalmärkten niemand mehr finanzieren wollte. Weshalb die europäischen Steuerzahler, die EZB und der IWF Griechenland mit bis dato 323 Milliarden Euro vor dem Bankrott retteten. Paul Krugman nennt das „monströse Austerität“, Hans-Werner Sinn spricht von 36 Marshall-Plänen, die Griechenland zuteil wurden. Die an Deutschland gezahlten Wiederaufbauhilfen summierten sich auf 5,2 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung von 1952, im Falle Griechenlands waren es 185 Prozent, gemessen am BIP des Jahres 2014.

An dieser Stelle wird gerne darauf verwiesen, dass das Geld ja nie bei der griechischen Bevölkerung angekommen sei. Es sei vorwiegend zur Rettung der Banken eingesetzt worden. Selbst wenn das stimmte, sei der Hinweis erlaubt, dass die (fälschlicherweise) geretteten Banken das Geld ja vorher über Kredite an Staat und Private verliehen haben – das Geld war also längst beim griechischen Volk angekommen und auch konsumiert worden. Sinn zitiert Eurostat-Daten, denen zufolge die Hilfsgelder zu einem Drittel an die Gläubigerbanken gingen, ein Drittel wurde zur Abdeckung des Kapitalkraftabflusses ins Ausland und der Rest zur Finanzierung des Überkonsums eingesetzt.

Das alles ändert nichts daran, dass viele Griechen harte Einschnitte hinzunehmen hatten, mit teilweise tragischen Folgen. Betroffen waren vor allem jene, die nicht zur privilegierten Kaste der Staatsbediensteten zählten. Warum Athen 4,4 Milliarden Euro für die nationalen Streitkräfte hat, aber zwei Millionen Griechen nicht krankenversichert sind, bleibt ebenso das Geheimnis der griechischen Regierung wie der Umstand, dass die größten Steuersünder des Landes nicht behelligt werden. Wieso noch Geld da ist, großzügigste Renten an frühere Staatsbedienstete auszuzahlen, gleichzeitig aber in den Spitälern die Mittel zur Eindämmung der gestiegenen Kindersterblichkeit fehlen, weiß auch nur die griechische Regierung. Dasselbe gilt für die Frage, warum es bis heute weder ein funktionierendes System zur Steuereintreibung noch ein Grundbuch gibt.

Europa hat dem griechischen Treiben zu lange zugesehen – und damit auch Mitverantwortung an dem Desaster. Ausgelöst wurde es aber nicht durch die Absenkung der Staatsausgaben, sondern durch deren Aufblähung in den Jahren 2001 bis 2008.

Das ist mit frischem Geld nicht zu korrigieren. Sondern mit einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft, einem funktionierenden Steuersystem, einer modernen Verwaltung, einem schlankeren Staat und einem Ende der grassierenden Vetternwirtschaft. Europa sollte den Griechen helfen, diesen unumgänglichen Umbau ihres Staates zu organisieren.

Die Griechen haben natürlich das Recht, das abzulehnen. Aber sie haben kein Recht, über das Steuergeld der Bürger anderer Euro-Länder zu verfügen – auch wenn prominente Ökonomen das für „monströse Austerität“ halten mögen.

Franz Schellhorn ist Direktor der Denkfabrik Agenda Austria.