Freiwilligenarbeit in Charkiw: „Der Himmel kann es doch“
Seit kurzem erst ist Serhij Chubukow in Wien. Er wird nicht bleiben. Frau und Kinder sind in Sicherheit, doch er wird, wenn dieser Artikel erscheint, schon wieder in Charkiw sein, in jener Stadt im Nordosten der Ukraine, die als erste unter russischen Artilleriebeschuss genommen wurde, Raketen, Zerstörung, Kälte und Hunger nun schon die zehnte Kriegswoche hindurch erträgt. 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt.
Jungen Männern wie Chubukow ist es für drei, vier Tage erlaubt, die ukrainische Grenze zu überschreiten, aber dann müssen sie wieder zurück, jederzeit telefonisch erreichbar sein, für den Fall, dass sie in der kämpfenden Truppe gebraucht werden.
Vor ein paar Wochen hat Chubukow gemeinsam mit Gastronomen, Taxifahrern, DJ’s und Lehrern eine Initiative ins Leben gerufen: sie helfen bei der Evakuierung, auch ein Tierheim wurde aufgelöst - „jeder von uns hat ein jetzt ein herrenloses Haustier in der Küche“, sagt Chubukow. Aber das allerwichtigste: jeden Tag werden 8000 warme Mahlzeiten gekocht, in Riesenkübeln und Wannen in einen Van geladen und ausgeliefert. Etwa 60 Freiwillige helfen beim Verarbeiten der Lebensmittel, beim Ein- und Ausladen und Zustellen. Etwa 6000 Überlebenspakete- Reis, Mehl, Zucker, das Nötigste, um nicht zu verhungern, werden wöchentlich verteilt. Ein Video zeigt, wie die Fahrer ihre Fracht durch Schutt und Trümmer lenken, wie Freiwillige die Straßen von herabgefallenen Stücken befreien. Die Kamera fährt an zerstörten Fassaden von einst repräsentativen Gebäuden entlang, an ausgebrannten Fensterhöhlen, an einer Frau, die auf der Straße steht, auf Hilfe wartet, der Van stoppt und der Fahrer verspricht, in 20 Minuten wieder dazu sein, mit Essen.
Eine Bäckerei, die 1000 Brote täglich herstellte, wurde am 13. April zerstört. Aus Sicherheitsgründen wird nun nicht mehr in einer, sondern an drei Stellen gekocht. Noch sei keiner von ihnen bei dem gefahrvollen Unternehmen ums Leben gekommen, aber jeder habe in seinem engsten Umfeld schon jemanden verloren, sagt Chubukow. Er gibt eine kleine Pressekonferenz in einem Büro der Wiener NGO „Klimabündnis“, bevor es wieder zurückgeht.
Er mache das „aus einem europäischen Geist heraus“, sagt Chubukow. Seine Initiative nennt sich „NEBO“- der Himmel - nach dem Namen einer Restaurantkette, die in der Ukraine jeder kennt.
240.000 Mahlzeiten, horrende Preissteigerung
Anfangs wurde das alles von nur sechs Personen finanziert. Neuerdings bekommen sie auch Unterstützung von öffentlichen Stellen, also ukrainischen. Doch ohne Spenden ginge es gar nicht. Etwa 400.000 Euro brauchen sie im Monat – für 240.000 Mahlzeiten und 24.000 Überlebenspakete.
Schwer zu schaffen macht ihnen die horrende Preissteigerung bei Lebensmitteln in der Heimat. Die Marktlogik wird durch den Krieg sogar befeuert.
„Alles wird teurer, Lebensmittel, die Mieten im Westen des Landes, Diesel und Benzin, auch für den Öffentlichen Verkehr müssen wir bezahlen, und die Regierung tut nichts dagegen. Damit wird sich der Staat später einmal befassen müssen“ sagt Serhij Chubukow und man sieht ihm an, dass er es nicht gern sagt, dass es aber gesagt werden müsse. Denn er schätzt Präsidenten Woloydymr Selenskij und unterstützt ihn.
Die Initiative ist auf Spenden angewiesen. Große Summen wurden noch nicht überwiesen. Auf die Frage von profil, ob nicht der eine oder andere ukrainische Oligarch die gute Sache auf feste Beine stellen könne, etwa der in Wien lebende Unternehmer Dmytro Firtasch, lächelt Chubukow müde, nein, da kam nichts.
„Der Himmel kann es doch“, sagt der Philosoph Peter Sloterdijk in einem Interview in der „Zeit“. Und auch wenn er gar nichts weiß von Chubukow und seinen Freunden, so reden sie doch von derselben Sache, von der Katastrophe, die die Menschen zusammenschweißt und allen klar macht, „dass wir am Ende nur einander haben, nur uns selbst und die Nachbarn.“