Verhandlungen über Frieden in der Ukraine: Was die Player wollen
Von Siobhán Geets und Robert Treichler
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Einer gegen drei, so hätte das Design von Friedensverhandlungen noch vor einem halben Jahr ausgesehen. Russland auf der einen Seite, die Ukraine, die USA und Europa auf der anderen. Mit dem Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsident wurden die Rollen neu verteilt. Der neue Mann im Weißen Haus sieht das Bündnis mit der Ukraine eher als lose Situationship, und Russland will er wegen des Angriffskrieges keinen Vorwurf machen. Dennoch sind die USA auch unter Trump für Putin kein gänzlich angenehmer Verhandlungspartner, denn Trump will einen schnellen, publikumsträchtigen Erfolg – und das läuft Putins Strategie der Zermürbung der Ukraine zuwider. Was kann er in der neuen Konstellation erreichen?
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj muss sich überlegen, wie er seine wichtigsten Ziele bei den Verhandlungen bewahrt, indem er Trump ein paar weniger wichtige opfert. Aber welche?
Schließlich haben auch die Europäer Interessen, bloß wissen sie nicht so recht, wie sie die durchsetzen sollen, ohne am Verhandlungstisch Platz nehmen zu dürfen.
Die Lage vor einem – möglichen – Beginn von Friedensverhandlungen ist komplex. profil erklärt, was die einzelnen Player wollen.
Russland: Spiel auf Zeit
Wladimir Putin kann zufrieden sein. Seine Überlegenheit demonstrierte Russlands Präsident bereits vor dem Telefonat mit seinem amerikanischen Amtskollegen am Dienstagnachmittag. Mehr als eine Stunde lang ließ er Donald Trump warten. Gut gelaunt saß Putin bei einem Treffen mit russischen Unternehmern, und als er auf seinen Termin mit Trump hingewiesen wurde, winkte er ab und scherzte. Der ganze Saal lachte mit.
Putin lässt sich nicht drängen, auch nicht, was eine Waffenruhe in der Ukraine betrifft. Der Kreml ist ein Meister der Verzögerung, das hat er schon bei früheren Verhandlungen bewiesen. Jetzt geht es darum, eine 30-tägige, umfassende Waffenruhe, wie sie die Ukraine zusammen mit den USA vorgelegt hatte, geschickt zu vermeiden.
Mehr als eineinhalb Stunden sollen Trump und Putin am vergangenen Dienstag telefoniert haben. Übrig blieb die Zusage, Angriffe auf die Energie-Infrastruktur einen Monat lang auszusetzen.
Für Putin ist es kein großer Verlust: Zwar bombardierte die russische Armee unmittelbar nach dem Telefonat ein Umspannwerk in der nordöstlichen Stadt Sumy. Doch auch die
Ukraine greift Infrastruktur an. Mit Drohnenangriffen zerstört sie immer öfter Öldepots in Russland, die Produktion ist um 20 Prozent eingebrochen. Mit seinem Vorschlag hat Putin also vor allem eines erreicht: Schaden von Russland abzuwenden.
Zerstörung im ukrainischen Sumy
Die russischen Angriffe auf die Ukraine reißen nicht ab.
An einem Kriegsende hat Putin derzeit ohnehin kein Interesse. Im Osten und im Südosten des Landes rücken seine Truppen langsam vor, und in der russischen Region Kursk konnten sie beinahe das gesamte von der Ukraine eingenommene Gebiet zurückerobern.
Solange Russland in der Ukraine Gewinne erzielt, spielt Putin auf Zeit, seine Ziele sind dieselben wie zu Beginn des Überfalls vor drei Jahren: eine Demilitarisierung der Ukraine, deren Verzicht auf Mitgliedschaft in der NATO, eine prorussische oder zumindest neutrale Regierung in Kyiv sowie die Kontrolle über die gesamten von Russland annektierten Oblaste Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson, die als russisch anerkannt werden müssten. Sogar vom erträumten „Neurussland“ spricht Putin
wieder – ein Gebiet von Odessa bis Charkiw, also der gesamten Ost- und Südukraine.
Zu einer umfassenden Waffenruhe ist Moskau erst bereit, sobald Kyiv der Zugang zu Geheimdienstinformationen und ausländischen Militärhilfen entzogen wird – nicht nur jene der USA, sondern auch die Unterstützung aus Europa. Friedenstruppen aus NATO-Mitgliedstaaten lehnt Putin ab, verhandelt werden könne über zivile, unbewaffnete Beobachter – allerdings erst nach Abschluss einer Friedensvereinbarung. Gefordert wird auch eine Aufhebung der westlichen Sanktionen gegen Russland.
Bei ihrem Telefonat hat Putin Trump wohl auch erklärt, wieso der Krieg aus seiner Sicht überhaupt erst begonnen hat; die „Ursachen der Krise“ und die „legitimen Sicherheitsinteressen Russlands“ waren jedenfalls Gegenstand des Statements aus dem Kreml nach dem Gespräch. In den Augen Putins war die „Spezialoperation“ in der Ukraine nötig, weil die Osterweiterung der NATO die Sicherheitsinteressen Moskaus verletzt hätte. Folglich will Putin die NATO-Erweiterung rückabwickeln – und fordert den Abzug der NATO-Truppen aus Osteuropa.
Mit seinem Vorschlag für eine Feuerpause auf zivile Infrastruktur hat sich Putin Zeit gekauft. Russlands Präsidenten liegt viel daran, die Beziehungen zu den USA zu normalisieren – und mit Trump im Weißen Haus stehen die Chancen dafür so gut wie nie zuvor. Trump wie Putin wollen ihre Einflusssphären erweitern, Putin in Osteuropa, Trump in Grönland, Kanada und dem Panamakanal.
Putins langfristiges Ziel ist schon lange kein Geheimnis mehr: Russland soll eine Weltmacht auf Augenhöhe mit dem Westen werden. Gemeinsam mit Trump, so hofft Putin, könnte man eine neue geopolitische Ordnung schaffen.
Einen weiteren Schritt zur Versöhnung dürfte das Telefonat am Dienstag schon gebracht haben. Man habe „eine Reihe von Ideen diskutiert“, darunter die „Zusammenarbeit in der Wirtschaft und im Energiesektor“, hieß es aus dem Kreml. Trump unterstütze Putins Vorschlag, Eishockeyspiele der beiden Länder zu organisieren.
USA: Dealmaker mit Eigeninteressen
Seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine war klar, welche Ziele die USA verfolgten: das Bewahren der Ukraine als souveräner Staat, die Rückgewinnung des von Russland eroberten Territoriums, den Erhalt des Landes in der westlichen Sphäre. Kurz: Washington stand an der Seite Kyivs. Dann kam Donald Trump, und jetzt ist alles anders. Aber welche Absichten verfolgt der neue US-Präsident konkret?
Trump hält nichts von politischen Leitlinien, anhand derer Positionen abgeleitet werden. Er entscheidet von Fall zu Fall, was er für richtig hält. Man kann das prinzipienlos nennen oder pragmatisch, in jedem Fall ist das Ergebnis schwer vorhersehbar. Immerhin lässt Trump keinen Zweifel daran, worauf er hinsteuert: Frieden. Dies ist fraglos ein Wert an sich, aber Trump sieht darin nicht zuletzt Vorteile für sich und sein Land. Immer wieder betont er den wirtschaftlichen Nutzen einer neuerlichen Kooperation der USA mit Russland, in seinen Worten: „a huge win“.
Die heikle Frage ist, welche der bisherigen Bedingungen der USA Trump dafür zu opfern bereit ist.
Noch ehe Friedensverhandlungen überhaupt begonnen haben, schloss der US-Präsident bereits aus, dass die Ukraine Mitglied der NATO werden könnte: „Ich kann euch sagen, dass ihr die NATO vergessen könnt“, sagt er bereits im Februar zu einer ukrainischen Journalistin. Damit gönnte Trump Putin bereits einen ersten Erfolg.
Weiters hat der US-Präsident kein Problem damit, ukrainisches Territorium an Russland abzutreten. „Ich denke, wir werden über Land sprechen, es ist eine Menge Land“, sagte er vor dem Telefonat mit Putin am Dienstag dieser Woche.
Ein wenig überraschend brachte Trump auch die ukrainischen Kernkraftwerke in die Liste der Verhandlungsthemen ein. Die „New York Times“ zitierte anonyme ukrainische Quellen, die vermuten, dass Trumps Interesse an den Kraftwerken – besonders am Kernkraftwerk Saporischschja – damit zu tun habe, dass er den USA die Rechte an ukrainischen Bodenschätzen sichern will, für deren Abbau viel Energie benötigt wird. Via seiner Kurznachrichtenplattform „Truth Social“ gab der US-Präsident bekannt, dass die USA alle vier Atomkraftwerke der Ukraine übernehmen wollen. Trump interpretierte dies als mögliche Sicherheitsgarantie, da die USA den Schutz der Kraftwerke sicherstellen würden.

© APA/AFP/ED JONES / ED JONES
Größtes Kernkraftwerk Europas
Trump hat Interesse an den Kernkraftwerken der Ukraine. Das größte, Saporischschja, wird zum Verhandlungsgegenstand.
Größtes Kernkraftwerk Europas
Trump hat Interesse an den Kernkraftwerken der Ukraine. Das größte, Saporischschja, wird zum Verhandlungsgegenstand.
Was Trump vermeiden möchte, ist jegliche Form von zukünftigem US-Engagement in der Ukraine, das sein Land Geld und Ressourcen kosten könnte. Er will keine US-Truppen entlang einer noch zu vereinbarenden Grenze stationieren und scheut auch vor einer Sicherheitsgarantie für den Staat und das Territorium der Ukraine zurück. Beides würde das Risiko mit sich bringen, dass die USA in einen wieder aufflammenden militärischen Konflikt hineingezogen werden.
Damit decken sich gar nicht wenige der neu formulierten US-Interessen – kein NATO-Beitritt, Gebietsabtretungen, keine umfassenden Sicherheitsgarantien – mit denen von Russlands Präsident Wladimir Putin. Als jedoch Trump bei dem Telefonat am Dienstag Putin einen 30-tägigen Waffenstillstand vorschlug, blitzte der US-Präsident und „Dealmaker“ beim russischen Präsidenten ab. Dennoch sprach Trump danach von einem „großartigen Gespräch“. Warum tut er das? Dahinter steckt ein weiteres, persönliches Motiv von Trump. Er ist fest entschlossen, sich als der Mann feiern zu lassen, der den Krieg beendet hat. Das Eingeständnis, dass Putin möglicherweise doch kein Interesse an einem Ende des Krieges hat, solange er nicht seine wesentlichen Ziele erreicht hat, passt nicht zu dieser geplanten Erfolgsstory.
Mein Telefonat mit dem russischen Präsidenten Putin war ein sehr gutes und produktives Gespräch. (…) Dieser Krieg hätte nie begonnen, wenn ich Präsident gewesen wäre!
US-Präsident Donald Trump
Könnte Trump noch mehr berechtigte Interessen der Ukraine über Bord werfen, nur um als Friedensstifter dazustehen? Diese Gefahr sehen nicht nur Kritiker des Präsidenten. Die „New York Post“, die Trump politisch sehr nahesteht, brachte vergangenen Dienstag einen Leitartikel mit dem flehenden Titel „Mister President, widerstehen Sie Putins extremistischen Forderungen – die Amerikaner werden hinter Ihnen stehen“.
Ukraine: Es geht um die Existenz
Nichts scheint einfacher, als die Ziele der Ukraine bei Friedensverhandlungen aufzulisten: Kyiv will ein Ende des Krieges, einen Abzug der russischen Truppen von ihrem Territorium, die Wiederherstellung der Grenzen vor dem ersten Einmarsch 2014, Sicherheitsgarantien der USA, um einen neuerlichen Angriff Russlands zu verhindern, sowie die Anerkennung der Souveränität ihres Staates und dessen Recht, etwa der NATO beizutreten, wenn er dies will.
Doch Präsident Wolodymyr Selenskyj weiß spätestens seit dem katastrophalen Treffen mit US-Präsident Donald Trump und Vize-Präsident J. D. Vance im Weißen Haus, dass er sich gut überlegen muss, welche seiner Forderungen er aufrechterhalten und welche er wohl oder übel vergessen kann.
Die Tatsache, dass er sich ohne eine Vorbedingung zu einem 30-tägigen Waffenstillstand bereit erklärte, zeigte, dass der ukrainische Präsident neben den eigentlichen Intentionen vor allem eine strategische Komponente im Auge behalten muss: Er darf die USA – gemeint ist: die Person Donald Trump – nicht vergraulen. Nach dem desaströsen Treffen im Weißen Haus zu Beginn dieses Monats hatte es bereits so ausgesehen, als würde die US-Regierung die Ukraine gänzlich fallen lassen, mittlerweile ist die Unterstützung durch Waffen und Geheimdienstinformationen wieder angelaufen.
Erniedrigung im Weißen Haus
Nach einem Wortgefecht mit US-Präsident Trump und dessen Vize Vance wurde Selenskyj praktisch aus dem Weißen Haus geworfen.
Selenskyj muss Trump davon überzeugen, dass die Ukraine Frieden will und dafür zu weitreichenden Zugeständnissen bereit ist, andernfalls wird der US-Präsident der Ukraine seine Hilfe umgehend wieder entziehen. Damit muss Selenskyj einen diplomatischen Hochseilakt vollführen. Er muss öffentlich beweisen, dass seine Kriegsziele zumindest teilweise zur Disposition stehen, ohne Putin gegenüber zu kapitulieren, noch ehe die Verhandlungen begonnen haben. Merke: Es ist Trump, der Selenskyj in diese missliche Lage drängt.
Dass Selenskyj Trumps Vorschlag einer 30-tägigen Waffenruhe ohne großen Widerstand akzeptierte, brachte der Ukraine einen wichtigen Erfolg ein. Selenskyj sagte Ja, Putin sagte Nein (mit Ausnahme der minimalen Waffenruhe in Bezug auf Energie-Infrastruktur). Damit ist die von westlichen Rechtsaußen-Parteien gern verbreitete Legende, die Ukraine sei das wahre Friedenshindernis, zerstört. Wenn Trump zu dem Schluss gelangen sollte, dass es Putin ist, der seinen Friedensdeal sabotiert, hat Selenskyj gewonnen.
Die Verbündeten, auf die sich die Ukraine verlassen kann, sind die europäischen Staaten mit Ausnahme Ungarns. Selenskyj muss allerdings auch da aufpassen, von Trump nicht als Teil der europäischen Achse gesehen zu werden, denn Trumps Vorbehalte gegenüber Europa sind hinlänglich bekannt.
Der ukrainische Präsident hat zudem ein Interesse daran, aus einer innenpolitisch starken Position in die Verhandlungen mit Russland zu gehen. Die Vorwürfe, er sei kein Demokrat, weil wegen des Krieges die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine verschoben wurden, zielen darauf ab, sein Mandat zu unterminieren. Selenskyj will am Ende nichts anderes, als die Existenz der Ukraine zu retten. Wie es aussieht, wird er nicht das gesamte Territorium bewahren können. Er wird seine Bevölkerung davon überzeugen müssen, dass er die Kompromisse, die er eingeht, nicht leichtfertig schließt.
Europa: Frieden durch Aufrüstung
Ein möglicher Frieden in der Ukraine wurde schon an vielen Orten verhandelt. Im türkischen Istanbul etwa oder in der saudischen Hafenstadt Dschidda, in Washington und Moskau. Immer wieder forderten Vertreter aus Europa einen Platz am Verhandlungstisch – ohne Erfolg. Dabei bedroht der Angriff Russlands auf die Ukraine die Sicherheit des gesamten Kontinents.
Unter der Führung Frankreichs und des Vereinigten Königreichs arbeiten europäische Staaten gemeinsam mit der Ukraine seit Wochen an einem Plan für eine Waffenruhe. Aus ihrer Sicht ist ein Friedensabkommen nur dann sinnvoll, wenn gesichert ist, dass Putin keine neuerliche Invasion in der Ukraine beginnt. Dies soll die Stationierung von Friedenstruppen gewährleisten. Bis zu 200.000 Soldatinnen und Soldaten bräuchte es laut Schätzungen für eine ausreichende Abschreckung.
Bisher hat sich eine Reihe europäischer Staaten bereit erklärt, Friedenstruppen zu schicken, darunter
die NATO-Mitglieder Frankreich, Dänemark, Litauen und Schweden. Insgesamt haben laut dem britischen Premier Keir Starmer mehr als 30 Staaten ihre Bereitschaft erklärt.
Die Geschichte wird uns Untätigkeit nicht verzeihen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
Starmer hat sich zwar an die Spitze dieser „Koalition der Willigen“ gesetzt. Truppen zur Überwachung der Sicherheit in der Ukraine will er aber nur stellen, wenn die USA das ebenfalls tun (was Trump ausschließt). Auf die Bremse steigt auch die scheidende Regierung in Deutschland, die einen Krieg Russlands mit der NATO fürchtet. Und Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni schließt eine Beteiligung an einer Friedensmission komplett aus.
Weitgehend einig sind sich die EU-Mitgliedstaaten seit Donald Trumps Einzug ins Weiße Haus darüber, dass Europa deutlich mehr in Verteidigung investieren muss. Friedenssicherung durch Aufrüstung, so lässt sich die europäische Perspektive zusammenfassen. Bis 2030 will die EU-Kommission die Rüstungsbeschaffung massiv ausweiten, mehr in Waffensysteme, Munition, Raketenabwehr und Cybersicherheit investieren. Bis zu 800 Milliarden Euro sollen für Aufrüstung mobilisiert werden.
Bei den Friedensverhandlungen selbst leidet das Engagement Europas an einem Manko: Weder die EU noch Frankreich oder Großbritannien sitzen mit am Tisch.

Siobhán Geets
ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.

Robert Treichler
Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur