Gambia: Ein Urlaub im Krisengebiet
Es gibt nicht viele Jobs mit einem ähnlich schlechten Image wie dem des Militärchefs in einer schwarzafrikanischen Diktatur. Wer diesen Beruf ausübt, gilt von Amts wegen als übler, furchterregender Typ. Aber entweder tut die Welt diesen Burschen Unrecht, oder das ewige Bösesein-Müssen nervt irgendwann.
Lieutenant General Ousman Bargie, Chef der bewaffneten Truppen in Gambia, hat am Sonntagvormittag vergangener Woche erkennbar keine Lust, den wilden Mann zu markieren. Gegen halb elf Uhr steht er - in Uniform, mit schwarzer Sonnenbrille und Plastiksandalen - im Fährhafen der Hauptstadt Banjul und wirkt wie ein Kabarettist, der sich über das Militär lustig macht.
Wir schreiben Tag eins nach dem Sturz des Gambischen Diktators Yahya Jammeh, und eigentlich ist Bargie gekommen, um befreundete Truppen aus den Nachbarländern in Empfang zu nehmen. Aber weil diese Geschichte in Afrika spielt, hat die Einheit massiv Verspätung - und der Chief daher Zeit, sich vor Publikum zu produzieren. Bereitwillig lässt er sich fotografieren und steht sogar für Selfies zur Verfügung. Alles sei in schönster Ordnung, erzählt Bargie einigen Journalisten, die ebenfalls wegen der Soldaten gekommen sind. Schon bisher sei es im Land ziemlich gut gelaufen, und unter dem neuen Präsidenten Adama Barrow werde es mit Gambia dermaßen bergauf gehen, dass alle nur so staunen. Der General hat fix vor, diesen Höhenflug mitzumachen. In den letzten Jahren diente er dem Diktator, ab sofort kämpft er für die Demokratie. "Ich habe 100 Prozent für Präsident Jammeh gegeben, jetzt gebe ich 200 Prozent für Präsident Barrow", sagt Bargie. Dann posiert er noch einmal für die Kameras. "Mach ein Foto für die Titelseite", regt er an.
Eine Coverstory bekommt er zwar nicht, aber falls das seiner Eitelkeit schmeichelt: Ousman Bargie ist der erste Armeechef in meiner Urlaubsbildersammlung.
Wie ein Zahnstocher in einer Rindsroulade
Gambia ist ungefähr so groß wie Tirol und hat weniger als zwei Millionen Einwohner. In der Kolonialzeit hatten die Briten Anspruch auf den 400 Kilometer langen und im Schnitt nur etwa 40 Kilometer breiten Landstrich südlich und nördlich des gleichnamigen Flusses erhoben. Ohne diese seltsame Idee wäre Gambia heute vermutlich kein eigener Staat, sondern Bestandteil des Senegal, in dessen Territorium es drinsteckt wie ein Zahnstocher in einer Rindsroulade.
Die meisten Europäer dürften bis vor Kurzem nicht einmal gewusst haben, wo genau in Afrika dieses kleine, strategisch unwichtige Land liegt. Doch Anfang Dezember gewann Adama Barrow, Kandidat der Opposition, bei der Wahl überraschend gegen den seit 22 Jahren diktatorisch regierenden Yahya Jammeh. Der Besiegte weigerte sich, sein Büro zu räumen. Schlimm genug, dass ihm so ein Wahlergebnis passiert war; es sollte nicht auch noch Konsequenzen haben. In der dritten Jännerwoche nahte das Ende seiner Amtszeit, und die Situation spitzte sich zu. Gambia galt nun plötzlich als ein afrikanischer Krisenherd (profil 4/2017).
Die Schlagzeilen in internationalen Medien wurden ganz schnell bedrohlich: "Gambia versinkt im Chaos","Tausende Gambier flüchten vor Gewalt","Militärintervention steht bevor". Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Während sich alle Welt um Gambia sorgt, sitzen mein Freund und ich 20 Kilometer von Jammehs Amtssitz entfernt am Strand von Brufut, trinken Baobab-Juice und kämpfen allenfalls mit den Tücken der afrikanischen Mikroökonomie: Für zwei Softdrinks möchte der engagierte Jungunternehmer unter dem frisch zusammengenagelten Sonnenschirm 60 Dalasi (umgerechnet 1,30 Euro). Einen 100-Dalasi-Schein kann er aber leider nicht wechseln. Auch gut, dann gilt der Rest eben als Trinkgeld.
Urlaub im Notstandsgebiet, das klingt wie eine besonders zynische Idee der Tourismuswirtschaft - noch kranker als die beliebten Sightseeing-Touren zu Schauplätzen grausiger Verbrechen. Aber so war es ja nicht geplant. Als wir die Tickets nach Banjul buchten, war Gambia genauso ruhig und friedlich wie bei unserem letzten Besuch vor vier Jahren. Bis zum Abflug änderte sich das nicht ausreichend, um die Urlaubsplanung über den Haufen zu werfen. Außerdem wollten wir unsere Freunde Nina und Luis besuchen, ein österreichisches Ehepaar, das an der Küste ein kleines Hotel besitzt. Absagen war also keine Option.
"Hier ist alles ruhig"
Mit uns erwischte es ein paar Tausend vorwiegend britische und skandinavische Touristen, die nichts Verwegeneres vorgehabt hatten, als in der Sonne zu liegen und ein paar Krimis zu lesen. Stattdessen wurden sie zu Statisten einer politischen Krise, die sich an Ort und Stelle auf bizarre Art anders anfühlte, als die Headlines im Internet vermuten ließen. "Macht euch keine Sorgen, hier ist alles ruhig", war in diesen denkwürdigen Tagen zwischen 16. und 21. Jänner wahrscheinlich der häufigste Satz in Ferngesprächen zwischen Gambia und Europa. Und keiner, der ihn aussprach, hat gelogen.
Wer nach Gambia aufbricht, rechnet nicht mit Abenteuern. Es gibt hier weder Berge noch Schluchten, weder tosende Wasserfälle noch spektakuläre Tauchreviere. Vierbeinige Raubtiere wurden schon vor Jahrzehnten von Großwildjägern des Commonwealth ausgerottet, Safaris sind also auch keine Option. Obwohl das Land eine islamische Republik ist, stehen die Moralvorstellungen einem lustigen Urlaub nicht im Weg. Im Gegenteil: Gambia hat sich einen gewissen Ruf als Sehnsuchtsort für einsame Europäerinnen und Europäer erworben. Größte Attraktion ist aber die Atlantikküste mit ihren prächtigen, schier endlosen Sandstränden. Hier stehen die meisten Hotels, darunter auch das Senegambia, eine architektonisch diskussionswürdige Anlage mit 350 Zimmern.
Am frühen Dienstagnachmittag sind fast alle Sonnenliegen besetzt. Im Pool wird gerade Wasseraerobic betrieben. Konkret heißt das: Ein fitter, durchtrainierter, rundum hübsch anzusehender Gambier turnt am Beckenrand, ein Dutzend übergewichtiger Touristinnen himmelt ihn an und pritschelt dabei im Wasser. Ein paar Herren trinken an der Bar ihr erstes Bier, die Kellner wuseln herum, aus dem Radio dröhnt Popmusik. Rund um das Senegambia geht das Leben ebenso ungestört weiter. Die klapprigen Taxis fahren, fast alle Geschäfte und Restaurants sind offen. Zwischen dem Alarmismus in den Nachrichten und der Realität tut sich eine beachtliche Text-Bild-Schere auf. War es das schon mit der Krise?
Nicht ganz. Wenig später am gleichen Tag, dem 17. Jänner, ruft Jammeh im staatlichen Fernsehen den Notstand aus. Was das genau bedeutet, weiß keiner. "Morgen werden die Geschäfte alle zu sein", mutmaßt der Kellner bei uns in "Leos Hotel" und sorgt sich, dass auch das Sammeltaxi nicht fahren werde, mit dem er zur Arbeit kommt. "Jammeh muss endlich weg. Niemand will ihn mehr haben", schimpft er.
Anders als vor vier Jahren ist es diesmal kein Problem, mit den Einheimischen über Politik zu reden. Eine Meinung zu haben, die von jener des Diktators abweicht, gilt seit der Wahl im Dezember nicht mehr als gefährlich. Jammeh-Fans sind gefühlt so deutlich in der Minderheit, dass man sich fragt, wie der Mann überhaupt noch auf 40 Prozent der Stimmen kommen konnte.
Am Mittwoch sind die Geschäfte dann doch offen. Nur Eier und Brot sind plötzlich Mangelware, wie eine Einkaufsfahrt mit Luis zeigt. Offenbar haben einige Leute in den vergangenen Tagen zu emsig gehamstert.
"Inschallah, he is gone"
Am späteren Nachmittag verbreitet der Ehemann einer gambischen Künstlerin über Facebook das Gerücht, Jammeh sei bereits auf dem Weg nach Marokko ins Exil. Kurz vor Sonnenuntergang hat auch Yangs schon davon gehört, ein junger Mann mit Rastalocken, der mir beim Joggen am Strand über den Weg läuft. "Inschallah, he is gone", meint er. Bis Freitag werde das ganze Theater vorbei sein, prognostiziert er. Noch wichtiger wäre ihm höchstens, dass wir bald in seiner Bar vorbeischauen. Weiter unten am Strand, die mit den roten Sonnenschirmen, praktisch nicht zu verfehlen.
Wenige Stunden später ist aus Marokko Mauretanien geworden. Jammeh werde noch kommende Nacht dorthin ausreisen, berichtet die gambische Website "Jollofnews". Und tatsächlich verlässt laut "flightradar24. com" spätabends eine Maschine mit dem Kennzeichen MRT 1 den Flughafen von Banjul. Im Garten von "Leos Hotel" hören wir das Dröhnen des Jets über uns und verfolgen die Aktion, bei einem Glas Wein, nebenbei auf Ninas Handy. Was wäre so ein Beinahe-Krieg ohne Internet?
Am nächsten Morgen stellt sich heraus, dass die MRT 1 ohne Jammeh abgeflogen ist. Dafür hat Nigeria Truppen in den Senegal verlegt. Eine gemeinsame Intervention in Gambia zur Unterstützung des neuen Präsidenten rückt näher. Die Familie zu Hause ist ernsthaft besorgt.
Die Einheimischen scheinen die fremden Soldaten an der Grenze indes nicht als Bedrohung zu empfinden. Ein wenig Hilfe von auswärts kann sicher nicht schaden. Mehr aufs Gemüt drücken jene Fremden, die das Land gerade in Scharen verlassen. Am Donnerstag und Freitag holen die großen Reiseveranstalter Thomas Cook, TUI und Gambia Experience ihre Kunden mit sanfter Gewalt nach Hause -egal, wie lange deren Urlaub noch gedauert hätte. Widerspenstige Touristen bekommen zu hören, dass ein späterer Heimflug leider nicht garantiert werden könne. Das wirkt. Freitag Mittag sind die Hotels beinahe leer und wirklich alle Geschäfte zu, in den eben noch quirligen Straßen ist es still geworden. "Was sollen wir machen? London hat beschlossen, dass alle heimfahren müssen", seufzt eine Mitarbeiterin von Thomas Cook, die mit einer kleinen Gruppe verwirrter Gäste im Zentrum des Küstenortes Kololi steht.
Ganz logisch agiert die Reisebranche mitunter nicht. Während am Flughafen Banjul alle 30 Minuten eine Maschine abhebt, wird uns die Fluggesellschaft (wen es interessiert: Es handelt sich um ein Paradeunternehmen namens Vueling), etwas später informieren, dass der geplante Rückflug am Samstag "wegen der politischen Lage" leider nicht möglich sei.
Die Panik der Veranstalter lässt sich zum Teil erklären. In der Region endeten politische Konflikte schon zu oft mit Gewalt. 2015 wurde in Burkina Faso blutig geputscht, erst vor ein paar Wochen fielen Schüsse bei einer Meuterei von Soldaten in der nicht weit entfernten Elfenbeinküste.
"You have a cigarette for a soldier?"
In Gambia stehen die Zeichen aber nicht auf Eskalation. Und nur im Hotel oder am Strand herumzusitzen, ist auf die Dauer keine Option. Deshalb überreden wir am frühen Freitagnachmittag einen Taxifahrer, uns ins Zentrum von Banjul zu bringen. Der sogenannte Einmarsch hat bereits am Vorabend stattgefunden und weit vor der Hauptstadt haltgemacht; Videos im Netz zeigen begeisterte Menschen, die den Soldaten zujubeln. Richtig gefährlich scheint es also nicht zu sein.
Wir fahren über leere Straßen, vorbei an ein paar Checkpoints, die es in Gambia auch in ruhigen Zeiten gibt. Meistens muss man stehenbleiben, mit dem Polizisten oder Soldaten ein wenig plaudern - und kann dann weiterfahren. Taxler Dodou kennt das Prozedere zur Genüge und hat auch heute keine Schwierigkeiten. Nur einmal ist Bestechung nötig. Die Frage "You have a cigarette for a soldier?" kann man ja schlecht mit Nein beantworten.
Banjul ist eine Geisterstadt. Auf dem sonst so belebten Albert Markt sind die Geschäfte verrammelt, kaum jemand traut sich im Zentrum auf die Straße. Angeblich wurde sogar das Krankenhaus evakuiert. Nur ein paar Journalisten halten die Stellung. Auf einer Gasse unweit des Präsidentenpalasts steht ein einsamer Mitarbeiter der Deutschen Welle und produziert ein Handy-Video von sich selbst. Ums Eck wartet der Senegal-Korrespondent der spanischen Zeitung "El Pais" darauf, dass der Expräsident endlich das Feld räumt. "Niemand gibt ihm mehr eine Chance, das ist gelaufen", meint der Kollege schon leicht genervt. Ein hochrangiger gambischer Militär, den Dodou wenig später am Straßenrand entdeckt und freudig begrüßt, sieht das genauso: "Keiner von uns wird für ihn kämpfen. In ein paar Stunden ist es vorbei."
Das stimmt, wie sich bald herausstellt. Am Samstag Abend besteigt Yahya Jammeh ein Flugzeug in Richtung Guinea. Wie viel Geld er seinem armen Land gestohlen hat, muss noch ermittelt werden. Hauptsache, der Spuk ist vorbei. Auf der kleinen Vergnügungsmeile vor dem Senegambia Hotel wird gefeiert. Fröhlich, aber nicht allzu wild, wie die Gambier eben sind. Schade, dass kaum mehr Touristen hier sind. Es ist ein schöner, versöhnlicher Abend.
Angeblich sind fast 50.000 Einheimische aus Angst vor den Finten ihres Ex-Präsidenten geflohen. Am Sonntag kommen sie zurück. Viele von ihnen landen im Fährhafen von Banjul, wo ihr Armeechef eben noch seinen großen Auftritt hatte. Der Typ wäre fast genauso reif für den Rücktritt wie sein Ex-Chef. Falls für dieses Anliegen Demonstranten gesucht werden: Ich bin dabei.