Wajiha Al-Abyad mit ihren Kindern Ahmed (li.) und Taim
Nahost-Konflikt

Gaza: Der Weg nach draußen

Die Frau, mit der profil seit Kriegsausbruch in Gaza Kontakt hält, ist nach Ägypten geflüchtet. Das gelingt nur wenigen. Die Frage, wo die Bevölkerung des Gazastreifens in Zukunft leben soll, ist eine persönliche und höchst politische zugleich.

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Am Abend des 19. Dezember 2023 sitzt Wajiha Al-Abyad mit ihrem drei Jahre alten Sohn Taim und ihrem sieben Wochen alten Sohn Ahmed in einem Bus, der sie nach Rafah an der südlichen Grenze des Gazastreifens gebracht hat. Doch der Übertritt nach Ägypten bleibt ihr an diesem Tag verwehrt. Die Dunkelheit bricht herein, es ist zu gefährlich, um wieder zurückzufahren. Der Bus würde im Dunkeln von den israelischen Streitkräften vielleicht unter Beschuss genommen. Al-Abyad kennt niemanden in Rafah, aber schließlich wird sie von einer Familie aufgenommen und darf mit ihren Kindern in dem Haus auf dem Boden schlafen. Es ist eiskalt, Al-Abyad hat Angst, und sie hat für ihre Kinder nichts zu essen. In dieser Nacht schwört sie, wenn sie es rausschafft, nie wieder nach Gaza zurückzukehren.

Doch sie weiß, dass es nicht leicht sein wird, diesen Vorsatz zu beherzigen. Wohin soll eine Palästinenserin aus Gaza gehen? Wo wird sie bleiben können? Wird sie es schaffen, ihrer Heimat für immer den Rücken zuzuwenden? All das ist nicht nur ein individuelles Problem einer jungen Frau und ihrer beiden Kinder. Die Frage, was mit der Bevölkerung von Gaza geschehen soll, beschäftigt die Regierungen in Israel, Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien, Europa und den USA.

Unmittelbar jedoch ist Wajiha Al-Abyad auf sich allein gestellt. Am nächsten Tag, dem 20. Dezember, wartet sie nach einer durchfrorenen Nacht hungrig wieder an der Grenze. Sie will aus Sicherheitsgründen nicht sagen, wie es ihr schließlich gelungen ist, nach Ägypten einzureisen.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Grenzposten in Rafah phasenweise durchlässig ist. Das Kriterium ist, welche Summe jemand zahlen kann. Vor dem Krieg boten kleine „Agenturen“ in sozialen Medien ihre Hilfe bei der „Koordination“ des Grenzübertritts an. Damals lagen die Kosten bei umgerechnet 1100 Euro. Jetzt werden angeblich bis zu 9000 Euro verlangt. Hinter den sogenannten Agenturen werden Mitarbeiter des ägyptischen Geheimdienstes vermutet.

Jetzt ist Al-Abyad mit ihren Kindern in der ägyptischen Hauptstadt Kairo. Sie ist im Besitz eines Visums für ein Monat, das gerade ausläuft. Ab dann hält sie sich illegal im Land auf. Das hat zunächst keine Konsequenzen. Doch wenn sie das Land verlässt, wird sie, je nachdem, wie lange sie ohne Genehmigung geblieben ist, eine Strafe zahlen müssen.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur