Generalmajor Hasspredigt
„Es geht hier um das Recht auf freie Meinungsäußerung, das auch Mitglieder des Heeres haben“, sagt Generalmajor Roberto Vannacci. Der 54-Jährige mit Bürstenhaarschnitt und Hawaiihemd sitzt in einem Fernsehstudio und verteidigt sein eben erschienenes Buch. Dabei wirkt er so gar nicht wie der Hetzer, als der er von einem guten Teil der italienischen Öffentlichkeit verurteilt wird. Er habe sich doch nur etwas von der Seele schreiben wollen, erklärt Vannacci freundlich.
Vannacci ist Autor eines der umstrittensten und erfolgreichsten italienischen Bücher in diesem Jahr. Das ursprünglich über Amazon vertriebene Buch „Il mondo al contrario“ (Verkehrte Welt) wird inzwischen auch von einem katholischen Verlag gedruckt. In den Bestsellerlisten des Landes liegt Vannaccis Werk seit Wochen auf Platz eins, rund 10.000 Exemplare werden jeden Tag verkauft.
Es wird den Kunden empfohlen, nicht nach Vannaccis Buch zu fragen, denn hier wird es nicht verkauft.
Das Buch trieft nur so von homophoben, antifeministischen und ausländerfeindlichen Parolen. Schwule sind für Vannacci „abnormal“, Feministinnen gelten ihm als „Hexen“, Ausländer würden die italienische Kultur unterminieren. Vannacci sieht überall mächtige Eliten am Werk, die der Mehrheit der „Normalen“ das Leben schwer machen würden. Eine „schwule Lobby“ dominiere die öffentliche Meinung; schwarze Sportlerinnen und Sportler, die Italien bei internationalen Wettkämpfen repräsentieren, findet der Generalmajor bedenklich – denn ihr Aussehen entspreche nicht der „italienischen Ethnie“.
Auf Regierungslinie
„Ein Skandal!“, schimpft die Buchhändlerin Clara Abatangelo aus dem norditalienischen Castelfranco Veneto. Am Eingang ihrer Buchhandlung hängt ein Hinweis: „Es wird den Kunden empfohlen, nicht nach Vannaccis Buch zu fragen, denn hier wird es nicht verkauft.“ Abatangelo ist nicht die Einzige, die sich weigert, das Buch anzubieten.
Ein Sturm der Entrüstung richtet sich gegen den Autor. Linksparteien, Bürgervereinigungen, Journalisten und Intellektuelle fordern, dass der Generalmajor seines Amtes enthoben wird. Verteidigungsminister Guido Crosetto von der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia versetzte Vannaccis zwar auf einen neuen Posten. Von Entlassung ist aber keine Rede.
Hat der Generalmajor mit seinem Buch die Büchse der Pandora geöffnet? Drückt er aus, was viele denken, sich aber bisher nicht zu sagen trauten?
Vannaccis gefährliche Äußerungen sind nicht weit entfernt von dem, was verschiedene Regierungspolitiker denken.
Dieser Eindruck sei leider nicht von der Hand zu weisen, meint die Schriftstellerin Ginevra Bompiani: „Durch den Umstand, dass eine extrem rechte Regierung am Ruder ist, fühlen sich viele Italiener dazu berechtigt, endlich zu sagen, was sie bisher zurückhielten.“ Vannaccis „gefährliche Äußerungen“ seien „nicht weit entfernt von dem, was verschiedene Regierungspolitiker denken“.
Konkurrenz für Meloni?
Da ist etwa Matteo Salvini, Chef der ausländerfeindlichen „Lega“, Minister für Infrastruktur und Mobilität und Italiens Vize-Premier. Der Rechtsextreme umgarnt den Bestseller-General und will ihn als Kandidat der Lega für die Europawahlen 2024 gewinnen.
Auch Italiens Neofaschisten würden Vannacci zu gern auf ihrer Seite sehen. In den sozialen Medien haben sich Dutzende von Fangruppen für Vannacci gebildet. Sie fordern ihn auf, so schnell wie möglich in die Politik zu gehen und, so ein Sprecher der neofaschistischen römischen Gruppierung „Casa Pound“, „Italien von Grund auf zu säubern“.
Und der Generalmajor? Der sonnt sich in der Rolle des Umworbenen, spricht davon, dass er sich nach den Turbulenzen um sein Buch wieder auf die Arbeit freue, „auf den Dienst am Vaterland“. Womöglich wartet er auch nur auf den richtigen Moment, um seine Ankunft auf der politischen Bühne zu verkünden.
Zum großen Leidwesen von Regierungschefin Giorgia Meloni. Bisher galt sie als unbestrittene „Kreuzritterin christlicher Werte“, die medienwirksam gegen Minderheiten wetterte. Sollte Vannacci tatsächlich in die Politik gehen, könnte er ihr die Rolle der politischen Hardlinerin rasch streitig machen.