Tinatin Khidasheli ist seit Mai 2015 Verteidigungsministerin Georgiens
Georgiens Verteidigungsministerin: „Das ist für uns eine Überlebensfrage“

Georgiens Verteidigungsministerin: „Das ist eine Überlebensfrage“

Georgiens Verteidigungsministerin: „Das ist für uns eine Überlebensfrage“

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... die Beziehungen mit Russland:

Die Besetzung von etwas mehr als 20 Prozent unseres Territoriums geht weiter. Es gibt neue Grenzzäune, eine Art von Berliner Mauer mitten durch das Land. Und im vergangenen Sommer dehnte Russland sein besetztes Gebiet weiter um einige Dörfer und Felder aus. Und es gibt laufend Provokationen wie den Flug eines russischen Hubschraubers über der Stadt Gori als Reaktion auf die Eröffnung eines gemeinsamen Trainingszentrums mit der NATO. Wir leiden unter der Okkupation von zwei Landesteilen – Abchasien und Südossetien – durch Russland. Das ist etwas anderes als etwa der Konflikt in der Ostukraine, wo Russland eine bewaffnete Auseinandersetzung angezettelt hat. Gegenüber Georgien wird Russland weiterhin ein aggressives Verhalten zeigen, aber sie werden gegen uns keinen Krieg führen. Im wirtschaftlichen Bereich gibt es seit der Aufhebung des Handelsembargos durch Moskau eine Normalisierung. Moskau hat auch die Visumpflicht für Georgier erleichtert, übrigens genau an jenem Tag, als wir mit der EU über Visa-Liberalisierung sprachen. Bei der Energie sind wir nicht so abhängig von Russland, weil wir den Großteil unseres Bedarfs in Aserbaidschan decken können.

… die russische Militärstrategie:

Das Ziel Russlands besteht darin, die NATO überall dort, wo es möglich ist, herauszufordern. In der EU findet jetzt die Idee einer neuen Sicherheitsstrategie gegenüber der Bedrohung aus dem Osten immer mehr Anhänger. Ich habe schon vor zwei Jahren gewarnt, dass die Aktionen Russlands jedes europäische Land betreffen werden. Das geschieht jetzt mit der Flüchtlingskrise. Mit seinem einseitigen Vorgehen in Syrien – ohne Koordination mit der EU oder den USA – hat Russland jedenfalls den Konflikt in Syrien verschärft. Sehen Sie sich die Landkarte an: von der Nordsee bis zum Nahen Osten gibt es nur das kleine Georgien als Korridor der Freiheit, wie wir es nennen. Durch Georgien verlaufen auch wichtige Öl- und Gas-Pipelines zur Versorgung Europas sowie die Verkehrsverbindung von China, Kasachstan oder Turkmenistan bis in die EU. Dieser Korridor ist nur 80 km breit. Wenn Russland auch diesen schließen würde, hätte Moskau volle Kontrolle über den ganzen Kontinent. Darum ist es für uns eine Überlebensfrage, Mitglied der EU und der NATO zu werden. Aber auch umgekehrt brauchen die EU und NATO Georgien. Es ist eine Win-win-Situation für beide Seiten.

… die Möglichkeit eines NATO-Beitritts:

Bis jetzt gibt es darüber noch keinen Konsens unter den NATO-Mitgliedern. Der NATO-Gipfel in Warschau im kommenden Juli könnte eine Entscheidung bringen. Unser Ziel ist es, dass Georgien alle Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft erfüllt. Wir warten auf die politische Entscheidung. Wir nehmen schon jetzt an Militärmissionen der NATO und der EU teil, in Zentralafrika, in Mali, in Afghanistan. Außerdem haben wir uns an Missionen im Irak und im Kosovo beteiligt. In Afghanistan stellen wir sogar mit bisher insgesamt 12.000 Soldaten das zweitgrößte Truppenkontingent nach den USA. Georgien verfügt über die kleinste Armee in der Region, mit insgesamt 37.000 Mann, mich eingeschlossen. Wir werden übrigens im nächsten Jahr die Wehrpflicht abschaffen. Ziel ist eine kleine, aber einsatzfähige Berufsarmee zur Friedenssicherung.

Tinatin Khidasheli, 42, ist seit Mai 2015 Verteidigungsministerin Georgiens. Die Juristin und Politologin gehört der pro-westlichen Mitte-Rechts-Partei der Republikaner (Mitglied im liberalen ALDE-Parteibündnis) an und leitete früher die Soros Foundation für Georgien.