Gier Royal: Trump-Wahl als spektakulärer Betriebsunfall der Demokratie
Niemand ist so beeindruckt von Donald Trump wie Donald Trump selbst. Kleingeister mögen dies als untrügliches Indiz für fortgeschrittenen Größenwahn werten, doch dabei kann es sich nur um notorische „Verlierer und Hasser“ handeln, für die der Milliardärsdarsteller, so viel Grandezza darf sein, durchaus Mitgefühl aufbringt: „Mein IQ ist einer der höchsten, und ihr wisst es alle! Fühlt euch bitte nicht dumm oder unsicher – ihr könnt nichts dafür.“ Trump schaut keineswegs auf intelligenztechnisch weniger Privilegierte herab, im Gegenteil: „Ich liebe die Ungebildeten“, wie er immer wieder glaubhaft betont – schließlich verdankt er nicht zuletzt ihnen seine Wahl zum 45. Präsidenten der USA. Er wäre also schlecht beraten, dieses weithin brachliegende Humankapital gering zu schätzen. Aber Trump kann ohnehin nie schlecht beraten sein, denn er hört nur auf den Allerbesten: „Ich habe ein sehr gutes Hirn, und ich habe viele Dinge gesagt.“
Tatsächlich dürfte es schwerfallen, irgendeinen anderen Zeitgenossen zu finden, der ähnlich viele Dinge gesagt hat. Donald Trump spricht pausenlos, vermutlich sogar im Schlaf, und wenn er einmal nicht spricht, dann höchstens, um einen Tweet abzusetzen. Mehr als 34.000 waren es, seit er sich vor sieben Jahren erstmals auf Twitter zu Wort meldete; knapp 16,5 Millionen Follower lassen sich mittlerweile von seinen verbalen Schnellschüssen befeuern. Am 10. November 2012 hielt er in aller gebotenen Unbescheidenheit fest: „Viele sagen, ich bin der beste 140-Zeichen-Schreiber der ganzen Welt.“ Viele sagen genau das Gegenteil, doch dabei kann es sich wohl wieder nur um notorische Verlierer und Hasser handeln.
Wer aber sind die Gewinner? Es sind, streng wahlstatistisch betrachtet, jene 62,759,366 US-Amerikaner, die Trump am 8. November 2016 ihre Stimme gaben – manche davon vielleicht sogar im guten Glauben, ihr Kandidat habe so etwas wie eine ernst zu nehmende politische Agenda zu bieten. Die meisten aber dürften von der irrwitzigen Vorstellung berauscht gewesen sein, einen Mann ins Weiße Haus zu schicken, der sich, so wie sie selbst, keinen Deut um ausgewogene Ansichten, elaborierte Ausdrucksweise, präsentable Manieren oder irgendwelche sonstwie verbindliche Rücksichtnahmen schert; der jederzeit sagt, was er denkt, ganz egal, ob er vorher auch nur zwei Sekunden darüber nachgedacht hat (doch fürs Nachdenken wird einer wie Trump schließlich nicht bezahlt); der Beleidigungen austeilt, wann und wo er kann; der Widerspruch mit Häme und offene Gegnerschaft mit Hass beantwortet – kurz: der auf alles pfeift, was in gewissen Kreisen als zivilisatorischer Minimalstandard gilt, zumal wenn es eine so neuralgische Organisation wie die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika betrifft.
Wie um alles in der Welt konnte es so weit kommen? Und womit genau haben wir es hier zu tun: mit einem bedauernswerten Betriebsunfall oder einem handfesten Totalschaden der demokratischen Willensbildung?
Diese gewissen Kreise werden in anderen, mittlerweile signifikant weiten Kreisen gern als „das System“ verhöhnt. Das System, repräsentiert durch das politische, mediale, wirtschaftliche und kulturelle Establishment, war peinlich berührt, als Trump seine Präsidentschaftsaspirationen bekannt gab; es war zusehends alarmiert, als er eine republikanische Vorwahl nach der anderen gewann; es war heillos entgeistert, als er, offiziell zum Kandidaten gekürt, keine Anstalten machte, ein auch nur ansatzweise staatsmännisches Profil zu entwickeln; und es war der kollektiven Ohnmacht nahe, als er am Ende tatsächlich über Hillary Clinton triumphierte.
Wie um alles in der Welt konnte es so weit kommen? Und womit genau haben wir es hier zu tun: mit einem bedauernswerten Betriebsunfall oder einem handfesten Totalschaden der demokratischen Willensbildung? 62,759,366 Amerikaner würden keine der beiden Diagnosen unterschreiben. Vielmehr würden sie die Weisheit des gesunden Volksempfindens preisen und die einzigartige Strahlkraft jenes Mannes, der es wie kein Zweiter verkörpert. Donald J. Trump wurde nicht trotz zweifelhafter Befähigungsnachweise zum US-Präsidenten gewählt, sondern deswegen. Er ist im gespenstischsten Sinne mehrheitsfähig: Sein manischer Narzissmus, seine ungezügelten Macht- und Gewaltfantasien, seine chauvinistischen, minderheiten- und fremdenfeindlichen Exzesse, seine Abscheu vor dem Kulturdiktat politischer Korrektheit bilden neben den ureigenen Persönlichkeitsstörungen die Psychopathologie der amerikanischen Gesellschaft ab (und wohl nicht nur der amerikanischen).
„Grab them by the pussy“
Keiner respektiere Frauen mehr als er, sagte Trump im Oktober salbungsvoll. Er versuchte damit, den Erklärungsnotstand zu beheben, in den ein kurz zuvor publik gewordener Audiomitschnitt aus dem Jahr 2005 ihn versetzt hatte. „Ich werde automatisch von schönen Frauen angezogen“, war darauf zu hören: „Ich küsse sie einfach. Ich warte nicht mal. Und wenn du ein Star bist, lassen sie es zu. Du kannst alles machen. Ihnen zwischen die Beine greifen.“ Sogar republikanische Hardliner fühlten sich danach bemüßigt, ihrem Entsetzen Ausdruck zu verleihen. Trump sprach beschwichtigend von „locker room banter“ (Kabinengeplänkel), wie es halt unter Männern üblich sei.
Die Authentizität der Aufnahme stellte er gar nicht erst infrage, weil er damit ohnehin nicht weit gekommen wäre: Zu erdrückend ist das Konvolut einschlägiger Äußerungen aus der Vergangenheit. Es spiele keine Rolle, was jemand über ihn schreibe, meinte er einmal – „solange sie jung ist und einen schönen Arsch hat“. So wie Ivanka Trump zum Beispiel? „Wenn sie nicht meine Tochter wäre, würde ich vielleicht mit ihr ausgehen.“ Nicht alle Frauen jedoch passen ins bewährte Beuteschema. Die frühere Schönheitskönigin Alicia Machado bestimmt nicht: „Miss Piggy – eine Fressmaschine.“ Auch nicht die Journalistin Arianna Huffington: „Sie ist unattraktiv, innen und außen. Ich verstehe sehr gut, dass ihr Mann sie verlassen hat – für einen anderen Mann. Er hat eine gute Entscheidung getroffen.“ Ganz zu schweigen von Hillary Clinton: „Wenn sie ihren Mann schon nicht befriedigen kann, wie soll sie dann Amerika befriedigen? Wäre sie ein Mann, würde sie nicht einmal fünf Prozent der Stimmen kriegen. Und das Schönste ist: Frauen mögen sie nicht.“
Aber müssen sie deshalb einen bekennenden Kampfmacho mögen? Anders formuliert: Wie konnte auch nur eine einzige Amerikanerin einen Mann wählen, dessen misogyne Entgleisungen hundertfach und zweifelsfrei dokumentiert sind? Tatsächlich war der Zuspruch bestürzend hoch: Laut Exit Polls gaben 53 Prozent der weißen Frauen Trump ihre Stimme. Sie können sich nicht auf Unwissenheit hinausreden – sie wollen es wohl auch gar nicht: Sie sind in der anstandslosen Allgegenwart von Sexismus aufgewachsen und sehen darin womöglich einen Teil jener Kraft, die Amerika groß gemacht hat und, spätestens unter Trump, wieder ganz groß machen wird. „Tja“, schrieb dazu die profil-Kolumnistin Elfriede Hammerl: „Frauen irren sich. Frauen sind fehlbar. Frauen haben keine Verpflichtung, besser oder klüger zu sein als Männer.“
„They’re rapists“
Als Donald Trump am 16. Juni 2015 seine Präsidentschaftskandidatur erklärte, holte er zu einem blindwütigen Rundumschlag gegen die Zuwanderung von Latinos aus. „Mexiko schickt uns nicht seine besten Leute. Sie schicken uns Leute, die viele Probleme haben. Sie bringen Drogen ins Land. Sie bringen Verbrechen ins Land. Sie sind Vergewaltiger.“ Er werde deshalb, so Trump weiter, eine „große Mauer“ bauen („und keiner baut Mauern besser als ich!“), eine „große, große Mauer an unserer Südgrenze“ – und er werde dafür sorgen, dass Mexiko sie bezahle. Trump machte in der Folge keinerlei Anstalten, seine rassistischen Untergriffe auch nur zu relativieren (so wie er bei anderer Gelegenheit ernsthaft anregte, allen Muslimen die Einreise in die USA zu verweigern). Er wusste, dass er die tief sitzenden Ressentiments seiner weißen Kernklientel aufgriff, die Migration, ob legal oder illegal, für eine der Hauptursachen von Amerikas vermeintlichem ökonomischen Niedergang hält. Erstaunlicherweise wählten 30 Prozent der in den USA gemeldeten Latinos am 8. November Trump – um sich damit nachdrücklich von jenem „Menschenschlag“ abzugrenzen, den der republikanische Berserker pauschal zum Abschaum gestempelt hatte.
„My whole life I’ve been greedy, greedy, greedy“
Entgegen seiner schneidig kultivierten Selfmade-Attitüde wurde Donald Trump mit einem goldenen Löffel im Mund geboren. Der Vater, Frederick Trump Jr., hatte mit dem Bau von Mietskasernen in Brooklyn, Queens und Staten Island ein Millionenvermögen gemacht und das Immobilienimperium 1974 dem Sohn übergeben. Donald konzentrierte sich auf Manhattan, schlug astronomische Steuervorteile für hochspekulative Projekte heraus und brachte mit seinem protzig-forschen Habitus den alteingesessenen Geldadel gegen sich auf. Trumps glühender Hass auf das Establishment rührt aus dieser Zeit. Er kultivierte ein neureiches Gehabe, das vor allem dazu diente, eine scheinheilige Legende zu stricken: Ich habe es gegen alle Widerstände geschafft! Seine Geschäfte betrieb er im Stil eines windigen Raubritters: ohne Rücksicht auf Verluste – solange er sie anderen umhängen und damit auch noch vor aller Welt prahlen konnte. „Gier ist richtig, Gier funktioniert.“ Das Mantra des Börsehais Gordon Gekko aus Oliver Stones Blockbuster „Wall Street“ wurde zur Blaupause für Trumps entfesselten Vulgärkapitalismus. Fairplay-Weicheier, die seine Praktiken am Rand oder schlicht jenseits der Legalität ansiedelten, überzog er mit unflätiger Verachtung: „You can tell them to go fuck themselves.“
Mit der Castingshow „The Apprentice“ (2003–2015) stieg The Donald zum hauptberuflichen Medienstar auf. In der ihm eigenen Selbstherrlichkeit durfte er über Wohl und Wehe von Kandidaten entscheiden, die einen mit 250.000 Dollar dotierten Job in seinem Unternehmen anstrebten. Naturgemäß fiel der Satz „You’re fired!“ dabei sehr oft, und der auf Blitzangriff gefönte Terminator kostete ihn jedes Mal weidlich aus.
Dass Trump nicht nur im Fernsehen, sondern im Lauf seiner gesamten Karriere wohl mehr Jobs vernichtete, als er angeblich schuf; dass er seit 1999 keine Steuern mehr zahlte (und dies im TV-Duell mit Hillary Clinton auch noch ungeniert als „smart“ verkaufte); dass er wegen Zahlungsunfähigkeit seiner Casinos in Atlantic City vier Mal Gläubigerschutz in Anspruch nehmen musste, scherte seine unerschütterliche Wählerschaft ebenso wenig wie der brisante Umstand, dass die New Yorker Generalstaatsanwaltschaft gegen die Trump University wegen „Betriebs ohne Genehmigung und Täuschung der Kunden“ und gegen die Trump Foundation wegen des dringenden Verdachts auf „unangemessenen Umgang mit Spendengeldern“ ermittelte. (Eine Woche nach der Präsidentschaftswahl erklärte sich Trump im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung zur Entschädigung von 6000 Studenten in der Höhe von 25 Millionen Dollar bereit.)
„Ein Teil meiner Schönheit liegt darin, dass ich sehr reich bin“, sagte Trump 2011 in einem Interview. Millionen von Wählern erlagen diesem kruden Verständnis von „Schönheit“ – in der trügerischen Hoffnung, der monetäre Glanz möge auch auf sie abstrahlen. Der Rattenfänger peitschte sein Publikum mit dem Heilsversprechen einer kollektivierten Gier an. Er münzte das kapitalistische Ideal, um jeden, wirklich jeden Preis nach dem eigenen Vorteil zu trachten, in den Wahlspruch „America first“ um: Wir ziehen den Rest der Welt über den Tisch – Hauptsache, der Profit bleibt am Ende bei uns hängen. Schließlich hat Trump oft genug gezeigt, wie man sich nicht nur ruchlos, sondern vor allem ungestraft über lästige Fremdinteressen hinwegsetzt. Warum sollte er ausgerechnet im Weißen Haus damit aufhören?
Donald Trump ist das groteske Zerrbild einer wutbürgerlichen Endzeitstimmung.
Der nächste Präsident der USA ist also ein großkotziger, cholerischer, taktloser, unberechenbarer Egomane mit, dezent formuliert, höchst problematischen Positionen in Bezug auf Geld, Frauen und Ausländer, um nur die zentralen Tatbestände anzuführen. Er lästert, er schreit, er tobt. Er lügt, wenn es ihm nützt, und leugnet, wenn er der Unwahrheit überführt wird. Er provoziert, weil er Spaß daran hat, selbst wenn es ihm schaden könnte. Er würdigt Schwächere und Andersdenkende herab. Er beleidigt, verhöhnt und diffamiert erklärte wie vermeintliche Gegner, seien es Menschen, Institutionen oder Staaten. Er predigt Gewalt, wenn Drohungen nichts fruchten. Er macht Stimmung gegen die Eliten und rekrutiert sein Kabinett exklusiv aus dem Pool der Reichen und Superreichen. Er greift jedes noch so heilige Tabu auf, um es lustvoll zu brechen. Und das Aberwitzigste: Er kommt damit durch!
Hillary Clinton schaffte es nicht, die latenten bis aggressiven Vorbehalte gegen ihren Charakter nachhaltig auszuräumen. Ihr Gegner jedoch verstand es, auch und gerade mit seinen eklatanten Charakterdefiziten beim harten weißen Wählerkern zu punkten, der seine schwindende demografische Relevanz noch ein letztes Mal ins Ziel retten konnte.
Donald Trump ist das groteske Zerrbild einer wutbürgerlichen Endzeitstimmung. Seiner privilegierten Herkunft, seiner vielfach aktenkundigen Menschenverachtung, seiner auf Täuschung und Überwältigung gepolten Triebstruktur zum Trotz gelang es ihm, Abermillionen Menschen aus dem „Topf der Bedauernswerten“ (Hillary Clinton) das paradoxe Gefühl zu vermitteln, er sei einer von ihnen – mit einem offenen Ohr für die Lebensumstände, Nöte und Ängste derjenigen, die seit Jahrzehnten und Jahrhunderten einen selbstverständlichen Überlegenheitsanspruch erheben und nun lauthals beklagen, beim unaufhaltsamen Prozess der Gleichberechtigung und Globalisierung auf der Strecke geblieben zu sein.
„Ich wähle Donald, weil er stark und unabhängig ist und die Wahrheit sagt“, erklärte ein texanischer Frühpensionist auf dem Rechts-außen-Sender Fox News im Brustton der Erleuchtung, während seine Frau andächtig nickte. Tatsächlich war Trump stark und unabhängig genug, dem verhassten Politklüngel in Washington den Krieg zu erklären – und nach seinem Wahlsieg sofort die plutokratische Konterrevolution anzuzetteln. Die „Wahrheiten“ wiederum, die Trump ausspricht, sind nichts anderes als kalkuliert stumpfsinnige Antithesen zum allgemein verbindlichen Kanon der political correctness, auf den die populistische Internationale mit ihrer nahkampfbereiten Anhängerschaft sich schon länger eingeschossen hat – ein leichtes und deshalb besonders lohnendes Ziel.
In vorgezogener Schadenfreude können es manche jetzt schon kaum erwarten, Trump mit seinem Radikalprogramm der Abschaffung sämtlicher bisher gültigen Spiel- und Verhaltensregeln spektakulär scheitern zu sehen. Dabei unterschätzen sie jedoch erstens das von allen verkehrsüblichen Skrupeln befreite Propagandageschick eines ausgewiesenen Publicity-Champions und zweitens die grimmige Entschlossenheit seiner Kunden, das donaldistische Projekt gemeinsam mit ihm durchzudrücken – koste es, was es wolle. Der Weiße Riese mag spürbar an Spannkraft eingebüßt haben, er ist jedoch immer noch ausreichend vital, um notfalls das ganze Wohlstands- und Zivilisationsmobiliar kurz und klein zu schlagen.
Niemand weiß das besser als Donald J. Trump. Mit 70 Jahren hat er den Zenit seiner angemaßten Großartigkeit erreicht. Zur Vollendung der persönlichen libidinösen Erfolgsbilanz fehlte ihm neben Geld und Ruhm nur noch ein Fetisch, und zwar der kostbarste: Macht. In der Welt, wie er sie sieht, muss er nun niemandem mehr etwas beweisen. Die Außen- und Gegenwelt mag das zwar dramatisch anders sehen, aber Trump hat sich bekanntlich noch nie um abweichende Zweitmeinungen geschert – oder, um den Mann bei seinem eigenen Wort zu nehmen: Keiner baut Mauern besser als er.
„Endlich wieder ein Präsident, der Eier hat und unsere Interessen vertritt“, schwärmte die Frau des texanischen Frühpensionisten, während ihr Mann beifällig nickte.
Sie werden sich noch wundern!